Evangelikaler Ex-Dealer gründet Drogenklinik

Ein Bekehrter hilft Junkies in der Dominikanischen Republik

Danilo Matus leitet heute ein Rehabilitationszentrum.
Der breitschultrige und scheinbar immer gut gelaunte Danny ist ein Vorbild für viele Menschen in San Luis. © Andreas Boueke
Von Andreas Boueke · 29.07.2018
Ein Viertel der Gläubigen in der ehemals streng katholischen Dominikanischen Republik hängt heute Evangelikalen Kirchen an. Auch der ehemalige Dealer Danilo Matus hat zum Glauben gefunden – und heilt heute Drogenabhängige mithilfe des heiligen Geistes.
Lobpreis und laute Gebete im Eingangssaal des Zentrums "Cristo me cambia" – "Christus verändert mich". Die Luft ist schwül und stickig. Junge Männer strecken tätowierte Arme in die Luft. Sie halten ihre Augen geschlossen. Einige wispern leise Gebete, andere geben Zeugnis von ihrem Weg aus der Sucht.
Ricardo Sanchez: "Wir sind hier, um jeden Tag aufs Neue den Kampf aufzunehmen. Ich habe eine Familie, die zu mir hält. Gott sei Dank hat sie mich nie allein gelassen."
Ricardo Sanchez, ein junger Mann mit wenigen Zähnen und schütterem Haar, berichtet seinen Glaubensbrüdern stolz, er habe seit drei Monaten keine Drogen mehr konsumiert.
Das Rehabilitationszentrum "Cristo me cambia" ("Christus verändert mich") im Armenviertel San Luis.
Das Rehabilitationszentrum "Cristo me cambia" ("Christus verändert mich") im Armenviertel San Luis.© Andreas Boueke

"Wegen der Drogen bin ich oft verwirrt"

Neuankömmlingen wie Ricardo ist es ein ganzes Jahr lang verboten, das kleine Grundstück des Zentrums zu verlassen. Tatsächlich hat er seit seiner Ankunft keinen Schritt nach draußen gemacht, auf die Straßen von San Luis, einem Armenviertel im Norden der dominikanischen Hauptstadt Santo Domingo.
"Wegen der Drogen bin ich oft verwirrt. Ich werfe immer alles durcheinander. Aber ich bin Gott dankbar, dass ich hier sein kann. Er hat mich aus der Welt der Drogen befreit."
Der Leiter des Rehabilitationszentrums ist Danilo Matus. Der breitschultrige und scheinbar immer gut gelaunte Danny ist ein Vorbild für viele Menschen in San Luis. Einige sind ihm dankbar, weil er den Sohn oder den Bruder aus der Sucht geführt hat. Andere verehren ihn als spirituellen Führer der rund zwanzig Bewohner des Zentrums. Aber, so sagt er, es gebe auch Menschen, die ihn verachten oder gar hassen, denn es gab eine Zeit, da war er selbst ein Gangster der lokalen Drogenszene.
"Da war ein Mädchen. Wir hatten viele Drogen genommen. Nach sieben, acht Stunden habe ich ihr nichts mehr gegeben. Als sie Stress machte, wollte ich sie rauswerfen. Aber sie ging nicht. Da habe ich ihr den Arm gebrochen. Heute erzählt sie den Leuten, ich sei kein wirklicher Christ. Sie berichtet, was ich ihr angetan habe. Sie hat mir nie verziehen. Jedes Mal, wenn wir uns auf der Straße begegnen, erkenne ich den Hass in ihren Augen."
Danny ist ein charismatischer Prediger. Es gelingt ihm, viele seiner Zuhörer zu überzeugen, der Heilige Geist sei unmittelbar anwesend.

Berichte von Versuchungen des Teufels und von Wunderheilungen

Ganz in der Tradition der evangelikalen Pfingstbewegung zielen seine Worte nicht auf den Verstand der jungen Männer, sondern auf ihr Gefühl. Seine ekstatischen Predigten gehen Hand in Hand mit rigiden Vorschriften. Alkohol ist verboten, genauso wie Frauenbesuche, Homosexualität sowieso, aber auch längeres Nichtstun. Untereinander achten die Bewohner auf eine strikte Befolgung der Regeln. So entsteht ein moralischer Wetteifer, den Danny auch im Gebet noch weiter fördert.
"Wir sind dankbar für einen neuen Tag ohne Drogen, ohne die Verschmutzung unserer Seelen. Wir sind privilegiert. Dort draußen gibt es viele Menschen, die sich wünschen, hier drin zu sein, aber sie schaffen es nicht, von den Drogen los zu kommen."
Wortgewaltig garniert Danny seine Andachten mit den typischen Elementen der evangelikalen Glaubensgemeinschaften: starke Gemeinschaftserfahrungen, Berichte von Versuchungen des Teufels und von Wunderheilungen.
"Draußen in der Welt wird getötet und gesündigt, ohne Glaube, ohne Hoffnung. Satan hat den Tätern gesagt, dass sie sich nicht ändern können, dass ihre Mutter sie nie mehr lieb haben wird, dass ihr Vater sie nicht mehr sehen möchte, dass ihre Frau nichts mehr mit ihnen zu tun haben will, dass ihre Kinder sie verabscheuen. Ihr alle kennt diese Worte des Satans."
Viele Evangelikale glauben, der Teufel nähere sich den Menschen, um ihnen den Segen Christi zu rauben. Danny berichtet von einer Zeit, als Satan auch von seiner Seele Besitz ergriffen hatte.
"Wenn Du anfängst, Drogen zu konsumieren, dann verändert sich dein Gesicht. Du änderst dein Verhalten, dein ganzes Leben. Dir ist egal, ob du schmutzig bist und stinkst. Nichts ist mehr wichtig außer deiner Droge. Bei mir war es Crack. Ich wollte immer nur Crack. Immer wieder."
Das auf Kokain basierende Crack gilt als eine der billigsten Drogen mit dem höchsten Abhängigkeitspotential. Gerade unter den Armen in Lateinamerika ist das Rauchen der weißen Klümpchen seit Jahrzehnten enorm populär. Die Vermarktung von Crack ist ähnlich erfolgreich wie die Ausbreitung der evangelikalen Bewegung, deren Anhängerschaft mit einer Geschwindigkeit wächst, die in der Geschichte des Christentums Lateinamerikas ihresgleichen sucht. Vor fünf Jahrzehnten noch waren nahezu alle lateinamerikanischen Christen katholisch. Heute sind über ein Viertel evangelikal. Sie glauben, der Heilige Geist greife direkt in ihr Leben ein, um sie zu beschenken oder zu bestrafen.

Der Tochter ein Versprechen gegeben

Besonders gerne erzählt Danny seine eigene Erweckungsgeschichte. Der Heilige Geist sei in ihn gefahren und habe den Teufel besiegt. Daraufhin sei es ihm gelungen, seine Drogensucht zu überwinden.
"Ich hatte meiner Tochter ein Versprechen gegeben: 'Hör zu, ich werde weggehen, in ein Rehablitationszentrum. Und wenn ich zurückkomme, dann wirst du dich nicht mehr für mich schämen müssen.'"
Danny hat es geschafft, die Sucht zu überwinden. Seine Schwester Milagros ist stolz, dass er heute andere Junkies in ihrer Rehabilitation begleitet.
"Dieselben Leute, die ihn früher angezeigt haben, weil er ihnen etwas gestohlen hat, gehen heute zu ihm hin und bitten um seine Hilfe, weil jemand in ihrer Familie der Sucht verfallen ist."
Die Andacht geht zu Ende. Danny freut sich über den Erfolg seines Zentrums. Trotzdem plagt ihn das schlechte Gewissen.
"Manchmal frage ich mich: 'Mein Gott, was kann ich tun, um all den Schmerz aufzuwiegen, den ich verursacht habe.' Gott hat mir die Vision gegeben, mit diesen jungen Menschen zu arbeiten, die verloren waren. So kann ich meine Schuld abbezahlen. Deshalb sind wir hier."
Allerdings weiß Danny sehr wohl, dass längst nicht alle jungen Männer nach ihrem Therapiejahr nachhaltig geheilt sein werden. Rückfälle sind häufig. Aber es gibt auch Erfolgsgeschichten.
"Dort draußen sind viele junge Leute, die es geschafft haben. Sie waren hier und mit Gottes Hilfe tun sie heute etwas Positives und sind bei ihren Familien. Einige sind sogar Pastoren geworden, haben geheiratet und sind gläubige evangelikale Christen."
In einer vorigen Version dieses Beitrags wurde in der Überschrift ein anderes Land genannt.
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