Euroskepsis in Frankreich

Wie der Front National für einen "Frexit" wirbt

Vizepräsident des Front National, Florian Philippot, aufgenommen am Rednerpult im Vorfeld der französischen Regionalwahlen 2015
Vizepräsident des Front National, Florian Philippot © picture alliance / dpa / Mathieu Cugnot
Von Jürgen König · 01.08.2016
In Frankreich herrscht Krisenstimmung. Terroranschläge, Dauerkonflikte rund um das neue Arbeitsrecht, anhaltende Streiks und Demonstrationen. Um das zerrissene Land zu neuer Größe zu führen, setzt sich der Front National für den "Frexit" ein.
2016 herrscht Krisenstimmung in Frankreich. Terroranschläge, Dauerkonflikte rund um das neue Arbeitsrecht, anhaltende Streiks, Demonstrationen, Straßenblockaden. Begriffe wie "Religionskrieg" oder "Bürgerkrieg" machen die Runde, vom "Ende der Fünften Republik" ist schon die Rede. Um das zerstrittene, aufgeriebene Land zu beruhigen und zu neuer Größe zu führen, bietet sich am lautesten der Front National an: Sollte man die Präsidentschaftswahl gewinnen, sagt Vizepräsident Florian Philippot im Fernsehsender "iTélé", sei eines völlig klar:
"Nach sechs Monaten werden wir ein Referendum über die Zugehörigkeit Frankreichs zur EU durchführen. Was der 'Brexit' für Großbritannien ist, wird bei uns der 'Frexit' sein. Und er wird auf jeden Fall kommen, das ist ganz klar. Die ganze historische Entwicklung läuft darauf hinaus. Überall in Europa wird es Referenden geben, ein Wind der Freiheit geht durch Europa – denn das ist die Bedingung für Souveränität, Wohlstand, Sicherheit: eine starke Nation."
In dieser Denkweise nimmt ein möglicher "Frexit" einen zentralen Platz ein. Florian Phlippot stellt ihn als Teil einer natürlichen Entwicklung dar, eine Art Befreiungsbewegung, in der von einer autoritären Zentralmacht unterdrückte Völker - umgeben vom "Wind der Freiheit" - nach und nach ihre Ketten sprengen.
Erst ein "starkes, unabhängiges Frankreich", so die Lesart des Front National, werde das Land wirtschaftlich wieder aufrichten, der Bevölkerung hinlänglich Arbeit verschaffen und durch Abschaffung des Asylrechts und streng kontrollierte Grenzen endlich auch wieder das Gefühl von Sicherheit geben. Und noch etwas ist wichtig, und Florian Philippot bringt es publikumswirksam auf eine einfache Formel: "Mit dem Front National an der Macht hat Frankreich nach spätestens sechs Monaten wieder eine eigene Währung."
"Si nous arriverons au pouvoir, il est certain qu’au bout de six mois maximum, la France a une monnaie nationale."

Vereinfachte Zusammenhänge, kraftvolle Wirkung

In der Öffentlichkeitsarbeit des Front National dominieren einfache Bilder und eine klare Sprache, die komplexe Zusammenhänge oft arg vereinfacht, auch verkürzt und die gerade dadurch kraftvoll wirkt und anziehend.
"Alle Mitglieder des Front National sind für den Ausstieg aus dem Euro und für die Währungssouveränität. Alle. Aus einem einfachen Grund. Ich gebe Ihnen ein Beispiel, ein sehr einfaches! Wenn Frankreich morgen zum Beispiel den Schengen-Raum verlassen möchte, wird das der EU nicht gefallen. Und die EU hat eine zerstörerische Waffe in der Hand, die heißt: Europäische Zentralbank in Frankfurt. Und wenn die mit uns nicht einverstanden ist, dreht sie uns den Geldhahn zu!
"So kann Frankreich immer erpresst werden und kann keine eigene Politik mehr machen. Deshalb brauchen wir unsere eigene Währung! Mit einer eigenen Währung gewinnen wir sofort 20 Prozent an Wettbewerbsfähigkeit gegenüber Deutschland! Sofort!"
Solche Reden kommen bei vielen Franzosen gut an. Die Euroskepsis der Briten haben sie immer gut verstanden, einer aktuellen Umfrage zufolge sind nur 45 Prozent der Franzosen ausdrücklich dafür, dass Frankreich in der EU bleibt. 33 Prozent sind für einen "Frexit", 22 Prozent noch unentschieden.

Marine Le Pen fordert seit Jahren Referendum in Frankreich

Genau auf diese Klientel setzt der Front National, setzt dessen Präsidentin Marine Le Pen. Seit Jahren fordert sie ein solches Referendum in Frankreich. In einem Blog stellte sie Europa als eine vom Euro verursachte "Wüste der Arbeitslosigkeit" dar, ließ kein gutes Haar an "Eurofanatikern" wie Martin Schulz, Jean-Claude Juncker oder Mario Draghi. Marine Le Pen in einem Interview des Schweizer Rundfunks:
"Die EU ist immer mehr zu einem totalitären Machtsystem geworden. Man kann nicht französische Präsidentschaftskandidatin sein, ohne dass man dem Volk seine Souveränität zurückgeben möchte. Ohne dass man ihm seine Freiheit zurückgeben möchte. Der Präsident garantiert die Unabhängigkeit der Nation! Heute aber ist Frankreich komplett abhängig. Es werden uns Vorschriften gemacht, es werden uns Richtlinien aufgezwungen: durch diese europäische Struktur, die wir nicht gewählt haben!"
Dass aus den Brüsseler EU-Kassen schon sehr viel Geld nach Frankreich geflossen ist, dass die gemeinsame Währung die Wechselkursschwankungen beseitigt, den grenzüberschreitenden Handel erleichtert, die Wirtschaft stabilisiert, die europäische Integration intensiviert hat – davon spricht der Front National nicht. Auch nicht davon, dass inzwischen zwei Drittel der Investitionen in Frankreich aus dem Ausland kommen.
Was geschehen würde, sollte Frankreich das Europäische Währungssystem verlassen, wollte Frankreichs Regierung schon 2011 wissen – auf dem Höhepunkt der Eurokrise. Drei Experten wurden vom damaligen Finanzminister Franҫois Baroin beauftragt. Ihre Analyse war verheerend: um 30 Prozent würde die neue französische Währung abgewertet werden, die staatliche Verschuldung auf 130 Prozent der Wirtschaftsleistung steigen und die Kaufkraft der abhängig Beschäftigten um weit über 20 Prozent sinken.
Ein "starkes, unabhängiges Frankreich"? Das wird es so bald nicht geben.
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