Euroregion Pomerania
Unabhängig von der politischen Großwetterlage zwischen Deutschland und Polen und Polen und Europa laufen die Beziehung im kleinen Grenzverkehr zwischen Swinemünde und Ahlbeck beispielsweise vorbildlich.
Ein deutsch-polnisches Frauenforum, ein deutscher Kindergarten mit polnischem Sprachunterricht und ein neuer Straßengrenzübergang auf der Insel Usedom lassen ahnen, wie klein ein Anfang sein kann und was noch nötig ist, um von einer lebendigen Euroregion Pomerania zu sprechen.
Grenzübergang Ahlbeck/Swinoujscie an einem Freitagvormittag. Hunderte steigen hier an der Endstation aus der Usedomer Bäderbahn. Oder stellen ihr Auto auf dem riesigen Parkplatz ab und strömen dann in Richtung deutsch-polnischer Grenze:
Ein ständiger Fluss von Menschen bewegt sich an der Passkontrolle vorbei. Polen ist seit 2004 zwar EU-Mitglied, aber noch nicht dem Schengener Abkommen beigetreten. Deshalb besteht weiterhin Ausweispflicht. In einer Hand den Personalausweis, in der anderen den Regenschirm, so schiebt sich ein Greifswalder Ehepaar langsam vorwärts.
"Einmal im Vierteljahr fahren wir schon. Wir finden das angenehm. Man kann sich äußern, die verstehen alle sehr gut Deutsch. Man wird freundlich aufgenommen. Sie freuen sich, wenn man was kauft. Natürlich sind sie auch sauer, wenn man nichts kauft, wenn man sich was zeigen lässt. Also, letztendlich leben sie ja auch von dem Grenzverkehr hier."
Die Touristen haben alle das gleiche Ziel: Den so genannten "Polenmarkt", gleich hinter der Grenze in Swinoujscie, zu Deutsch: Swinemünde.
Auf polnischer Seite warten in langen Reihen Pferdekutschen und Taxen auf die deutsche Kundschaft. Denn der Grenzübergang ist nur für Fußgänger und Radfahrer geöffnet. An einem betagten Mercedes lehnt ein polnischer Taxi-Fahrer.
"Ich habe viele Kontakte mit Deutschen, die zu uns kommen, um die alte Heimat anzugucken. Jeden Monat fahre ich zwei bis drei Mal solche Gäste. Aber die Leute kommen und haben sehr gute Kontakte zu den Polen, die jetzt dort wohnen. Beide Seiten sind sehr positiv eingestellt."
Von den Verstimmungen zwischen Warschau und Berlin hat er in der Zeitung gelesen. Er weiß, dass der polnische Präsident erzürnt war über eine Satire in einer deutschen Tagesszeitung, die ihn mit einer Kartoffel verglich. Der Taxifahrer hat gelesen, dass die Regierung in Warschau eine Ausstellung über Vertreibung kritisiert, die in Berlin eröffnet wurde. Und im Radio hat er von dem Vorstoß der polnischen Familien-Liga gehört, das Recht der deutschen Minderheit in Polen einzuschränken. Doch hier, an der Grenze, ist von solchen Zwistigkeiten nichts zu spüren, sagt er.
Ich verstehe nicht, warum die Politiker die einfachen, zwischenmenschlichen Kontakte zerstören, sagt der Mitfünziger und schüttelt den Kopf.
In jeder Hand eine Plastiktüte, so schlendert ein Urlauber-Paar in Richtung Ahlbeck.
"Wir gehen Zigaretten holen. Aber ansonsten gehen wir nur auf die Polenmärkte. (...) Ich hab viel mehr Vorurteile..."
Ins Zentrum von Swinoujscie hat sie sich noch nicht getraut, erzählt die Touristin aus Berlin. Weil sie von ihren Bekannten zu Hause so viel Negatives über Polen gehört hat.
"Dass alle falsch sind, aber sind sie nicht. Sie sind freundlich. Man hat zu wenig Kontakt. Was ich gehört habe, war immer negativ. Aber ich bin angenehm überrascht. Mit der Zeit wird das immer besser, hoffe ich."
Dass es mit der Zeit besser wird, dafür haben hier auf Usedom vor allem auch die Frauen gesorgt.
Gut 30 Frauen und zwei Männer sitzen an gedeckten Kaffeetischen im Bürgertreff von Ahlbeck. Die Mitglieder des Deutsch-Polnischen beziehungsweise des Polnischen-Deutschen Frauenforums treffen sich zu einer Lesung der Ueckermünder Autorin Ilse Sarecka. In ihrem neuen Roman geht es um die Vertreibung von Deutschen und von Polen im Zweiten Weltkrieg. Ein politisch heikles Thema, das zwischen Warschau und Berlin gerade wieder für Verstimmung sorgt. Doch die Frauen wollen sich nicht vorschreiben lassen, was sie zu denken haben. Christina Dulnik, die Vorsitzende des Polnischen-Deutschen Frauenforums in Swinoujscie.
Wir beschäftigen uns nicht mit der großen Politik, absolut nicht, sagt Christina Dulnik, die resolute Vorsitzende der polnischen Seite. Die Frauen interessiert in erster Linie die Zusammenarbeit vor Ort. Und die läuft gut. Während sich die Beziehungen "oben" abkühlen, erwärmt man sich an der Basis füreinander. Angst, über schwierige Themen zu sprechen, gibt es nicht.
Das Deutsch-Polnische Frauenforum feiert in diesem Jahr sein zehnjähriges Bestehen. Zehn Jahre, in denen sich die Beziehungen in der Grenzregion deutlich verbessert haben, urteilt Käthe Falk, Vereinsvorsitzende auf deutscher Seite:
"Ich kenne noch die Jahre, als die Volkshochschulen, die die Sprachkurse anboten, die ausfallen lassen mussten, weil nicht genügend Schüler sich angemeldet hatten. Jetzt ist es schon so, dass sie die Lehrer für die Polnischkurse suchen."
Die polnischen und deutschen Frauen haben sich gegenseitig ihre Heimat gezeigt, Kontakte zwischen Landfrauen, Unternehmerinnen, Schulen und Kindergärten vermittelt. Kultur- und Gedenkveranstaltungen organisiert. Diskussionsabende durchgeführt. Ziel ist es immer, zu einem Thema die Erfahrungen beider Länder einzubringen, sagt Käthe Falk:
"Zum Beispiel Brustkrebs war eine Reihe von Veranstaltungen, daraus erwachsen ist auch die Gründung einer Selbsthilfegruppe in Swinemünde, dass wir gesagt haben: Wir haben einen deutschen Radiologen als Referenten, eine polnische Referentin – wie wird Vorsorgeprävention bei euch gemacht, wie bei uns? Welche Heilungsmethoden werden hier angewandt, welche dort?"
Jetzt gibt es eine deutsch-polnische Brustkrebs-Selbsthilfegruppe. Überhaupt sind viele private Freundschaften entstanden. Deutsche und Polinnen fahren gemeinsam in den Urlaub. Treffen sich zum "Kaffeeklatsch" mit angeschlossenem Sprachunterricht. Mussten die Forumsfrauen früher viele Kontakte überhaupt erst anregen, fragen die Vereine heute von sich aus nach. Trotzdem bleibt viel zu tun.
"Ich sag mal ganz platt: Alles ist Friede, Freude, Eierkuchen – das ist es bestimmt nicht. Dann wären wir als Frauen nicht aufgestanden und würden heute, nach zehn Jahren, noch arbeiten an unseren Zielen, wenn es so wäre."
Zigaretten, Aale, Handtaschen, Armbanduhren, Kinderkleidung – in den Bretterbuden des so genannten "Polenmarktes" in Swinoujscie stapeln sich die Waren. Marek, ein junger Zigarettenhändler, arbeitet auch im Tourismusgeschäft. Er wünscht sich, dass der Grenzübergang endlich auch für Autos geöffnet wird.
"Die Bewohner aus Swinemünde könnten nach Deutschland fahren und dort einkaufen. Und von anderer Seite deutsche Touristen können auch mit dem Auto fahren. Problem ist Parkplatz, Autoverkehr, das muss von zwei Seiten, von polnische Regierung und von deutsche Regierung muss das auch lösen sowas."
Sein Kollege, ein paar Bretterbuden weiter, weiß auch schon wie.
"Muss erstmal eure Seite große schöne Parkplatz hier in Swinemünde machen. Und EU muss machen schönes Brücke oder schöne Tunnel nach zweite Insel und dann machen wir auf Grenze."
Das ist natürlich nicht ganz ernst gemeint. Macht aber das Problem deutlich: Swinoujsce liegt am östlichen Ende der Insel Usedom. Ohne Straßenverbindung zum Festland. Fähren blubbern durch die Swine. Bringen Menschen und Autos ans Ostufer nach Pommern. Ein Zustand, den Swinoujsces Stadtpräsident Janosz Zmurkiewicz nur zu gerne ändern würde. Das Rathaus der rund 40.000-Einwohnerstadt liegt nur wenige hunderte Meter entfernt von den Budengassen des Marktes. In einem ehemaligen Kasernengebäude aus rotem Backstein. Janosz Zmurkiewicz blättert in einem kleinen Bildband: "Swinoujscie na starych pocztuwkach" – Swinemünde auf alten Fotos.
"Jeder, der sich diese alten Ansichtskarten anschaut, kann vergleichen, wie sieht das heute aus. Fast sieht es wieder aus wie früher. Wenn wir etwas Neues machen, versuchen wir es ähnlich dem alten Stil zu machen, aber heute ist es hier viel grüner."
Allerdings: Die Promenade liegt heute hinter einem Wäldchen, ohne Meerblick. Dafür gibt es jede Menge Cafes, Biergärten, Verkaufsstände, Rummelbuden. Schlichte Bauten aus den 70er und 80er Jahren stehen neben frisch renovierten Villen. Swinoujscie ist nicht so nobel herausgeputzt wie die so genannten "Kaiserbäder" Ahlbeck, Heringsdorf oder Bansin. Dafür aber deutlich billiger. Schon heute kommen 30 Prozent der Gäste aus Deutschland, sagt der Bürgermeister. Vor allem, um die günstigen Kur-Angebote wahrzunehmen. Es wären noch mehr, könnten die Gäste mit dem Auto via Ahlbeck anreisen, glaubt er:
"Wissen sie, unsere Insel ist künstlich geteilt, aber wenn die Insel geteilt ist, dann müssen wir normale Grenzübergänge machen. Das bedeutet, die Grenzübergänge sollten nicht nur für Fußgänger und Radfahrer offen sein, sondern auch für Autos. Wenn die Grenzübergänge für Autos geöffnet werden, wird das eine große Hilfe für die Einwohner sein. Jetzt ist es so, dass selbst wenn die Leute mit dem Bus fahren, dann können sie nur bis zur Grenze fahren, müssen dort aussteigen, zu Fuß über die Grenze gehen und dann wieder in den Bus steigen."
"Rendevous"-Verkehr nennen das die Verkehrsplaner euphemistisch. Wer heute mit dem Auto von Swinoujscie ins gut zwei Kilometer entfernte Ahlbeck fahren möchte, muss den Umweg über Stettin, Pasewalk und Anklam nehmen. 250 Kilometer oder gut vier Stunden einkalkulieren. Eine unhaltbare Situation, findet der Stadtpräsident. Er hat aber auch Verständnis für die Ängste der deutschen Seite vor dem Verkehrsinfarkt.
"Unsere deutschen Partner sagen, dass der Verkehr auf der Insel begrenzt sein sollte. Aber sie haben nichts dafür getan, um den Verkehr zu begrenzen. Die Brücken auf die Insel wurden nicht geschlossen, die Autos haben freie Fahrt. Deshalb habe ich vorgeschlagen, wenn wir die Grenze öffnen, dann verteilen sich die Autos über die ganze Insel, das bedeutet, ein Teil der Autos kommt auf unser Gebiet."
Eine bessere Verkehrsanbindung, das könnte weitere Vorteile bringen, hofft Zmurkiewicz. Denn Swinoujsce lebt nicht nur vom Heilbäder-Betrieb. Es ist auch eine Hafenstadt mit Fährverbindung ins schwedische Ystadt. Schweden, Tschechen, Norweger und Finnen haben bereits in Swinoujsce investiert.
"Ich weiß nicht, warum bis jetzt kein Deutscher zu uns gekommen ist, um eine kleine Fabrik zu bauen und Arbeitsplätze zu schaffen. Wahrscheinlich, weil es keine Grenzübergänge gibt. Weil man keine gute Verkehrsanbindung an Swinoujsce hat. Wenn wir einen guten Grenzübergang hätten, wäre es kein Problem für einen Bürger aus Bremen oder Hamburg zu uns zu kommen. Das ist schon paradox, dass es für einen Schweden leichter ist, Swinoujsce zu erreichen als für einen Deutschen."
Doch trotz dieser Unstimmigkeiten, auch das betont der polnische Bürgermeister, läuft die Zusammenarbeit gut. Man nutzt gemeinsam die Kläranlage, vermarktet sich als eine Insel auf deutschen und polnischen Tourismusmessen.
"Und das möchte ich unterstreichen, was auch immer in Warschau unternommen wird, das wird keinen Einfluss haben auf die gute Zusammenarbeit an der Grenze."
Djen dobre – Guten Tag, so begrüßt die Erzieherin Katarzyna die fünfjährige Laura. Seit gut einem Jahr arbeitet die junge Frau aus Polen in Kindertagesstätte der Arbeiterwohlfahrt Ahlbeck.
"Ich sitze am Tisch und dann mit Kinder basteln – dann spreche ich polnisch – einige Wörter, die kleinen Wörter, also, Guten Tag auf Polnisch. Auf Wiedersehen, Danke. Bitte, Entschuldigung oder zum Bespiel Körperteile Oko Uo, Nase, Nos, was noch –Farbe, das ist auch ein bisschen kompliziert. Zahlen, sie können auf Polnisch Zahlen..."
Sich im Spiel mit der polnischen Sprache und Kultur vertraut machen. Das ist das Ziel. Begonnen hatte alles mit einem Austausch mit dem Swinoujscer Kindergarten. Dort können die Kinder ab dem fünften Lebensjahr Deutsch lernen. In Ahlbeck aber gab es kein entsprechendes Angebot. So wurde die Idee einer bilingualen Gruppe in der Ahlbecker Awo-Kita geboren, erzählt Kita-Leiterin Marion Ryba. Die Eltern willigten ein:
"Es gibt einige wenige, die ganz bewusst sagen: Ich möchte, dass mein Kind in diese Gruppe, möchten auch schon tauschen – die Masse ist damit einverstanden und sagt, wir haben nichts dagegen, wir sind dafür, dass unsere Kinder diese Sprache lernen, sie sollen auch Englisch lernen, aber sie können auch Polnisch lernen... "
Außer der polnischen Erzieherin kommt auch ein kleiner Junge jeden Tag von Swinoujsce nach Ahlbeck in den Kindergarten.
"Die Antrage kommen von Polen, das ist klar. Von unserer Seite wurde noch nie ein Antrag gestellt, dass das Kind in Swinemünde in den Kindergarten geht. Aber – tja – das weiß ich jetzt nicht, ob sich das noch mal verändern wird, aber im Moment ist das so."
Gerne würde Marion Ryba die Gruppe um ein paar polnische Kinder erweitern. Doch wer soll das bezahlen? Die Elternbeiträge reichen nicht. Landes beziehungsweise kommunale Zuschüsse aber gibt es nur für die ortsansässigen Kinder. Und auch die weitere Finanzierung der polnischen Kindergärtnerin ist derzeit noch unklar. Marion Ryba klingt frustriert. Die deutsch-polnische Kita – für viele sei das ein süßes Vorzeigeprojekt, sagt sie. Dabei sei es viel mehr. Prävention nämlich.
"Bei uns ist die Ausländerscheu sehr groß und nun haben wir den polnischen Nachbarn und wenn ein Kind mit einem Kind spricht, das eine andere Sprache spricht und spielt, dann erkennt es, dass er auch einen Freund haben kann, der anders spricht... Das ist ja unser Ziel, dass die Kinder die Berührungsängste überwinden, denn daraus entstehen ja diese Vorurteile und die wollen wir abbauen."
Ahlbeck will im nächsten Jahre ein neues Kita-Gebäude bauen, den deutsch-polnischen Schwerpunkt noch erweitern. Auch den Bau eines Begegnungszentrums direkt auf dem Grenzstreifen könnte sich Klaus Kottwittenborg vorstellen. "Die Chemie stimmt", sagt der Bürgermeister von Ahlbeck und Heringsdorf mit Blick auf seinen polnischen Kollegen in Swinoujscie. Nur:
"Unsere Sorge ist, wenn starker Transitverkehr einsetzt, dass die Straßen noch stärker frequentiert werden, dass wir auch Probleme kriegen mit unserem Seeheilbad-Status."
Das Verkehrskonzept, das mit der polnischen Seite abgestimmt wurde, wie Kottwittenborg betont, sieht vor, dass die Touristen das Auto – wie bisher – stehen lassen und mit Bussen und Bahnen nach Swinoujsce fahren. Oder mit dem PKW den neu zu bauenden Übergang im wenige Kilometer entfernt Garz benutzen.
"Und wir stellen uns vor und da liegen wir auch gar nicht auseinander mit den Verantwortlichen der Stadt Swinemünde, dass wir vielleicht in so einer Art ‚kleinem Grenzverkehr’ für die Bewohner der Insel und für die Bewohner Swinemündes PKW-Regelungen finden können."
Kottwittenborg hofft, dass man sich einigen wird. Wie man sich in der Vergangenheit schon geeinigt hat. Jüngstes Beispiel: Die Usedomer Bäderbahn will ihre Endstation nach Swinoujscie verlegen. Das Gelände für Schienen und Bahnhof auf polnischer Seite wollte man kaufen. Was zu Unstimmigkeiten zwischen Swinoujscie, Stettin und Warschau führte. Da stellte der Swinoujscier Bürgermeister das Grundstück kurzerhand in Erbpacht zur Verfügung. Polnisch-deutsche Zusammenarbeit auf dem kurzen Dienstweg - gewissermaßen:
"Das hängt natürlich immer von den handelnden Personen ab. Ob die Befehlsempfänger sind oder selbst Handlungsspielraum für sich in Anspruch nehmen."
Grenzübergang Ahlbeck/Swinoujscie an einem Freitagvormittag. Hunderte steigen hier an der Endstation aus der Usedomer Bäderbahn. Oder stellen ihr Auto auf dem riesigen Parkplatz ab und strömen dann in Richtung deutsch-polnischer Grenze:
Ein ständiger Fluss von Menschen bewegt sich an der Passkontrolle vorbei. Polen ist seit 2004 zwar EU-Mitglied, aber noch nicht dem Schengener Abkommen beigetreten. Deshalb besteht weiterhin Ausweispflicht. In einer Hand den Personalausweis, in der anderen den Regenschirm, so schiebt sich ein Greifswalder Ehepaar langsam vorwärts.
"Einmal im Vierteljahr fahren wir schon. Wir finden das angenehm. Man kann sich äußern, die verstehen alle sehr gut Deutsch. Man wird freundlich aufgenommen. Sie freuen sich, wenn man was kauft. Natürlich sind sie auch sauer, wenn man nichts kauft, wenn man sich was zeigen lässt. Also, letztendlich leben sie ja auch von dem Grenzverkehr hier."
Die Touristen haben alle das gleiche Ziel: Den so genannten "Polenmarkt", gleich hinter der Grenze in Swinoujscie, zu Deutsch: Swinemünde.
Auf polnischer Seite warten in langen Reihen Pferdekutschen und Taxen auf die deutsche Kundschaft. Denn der Grenzübergang ist nur für Fußgänger und Radfahrer geöffnet. An einem betagten Mercedes lehnt ein polnischer Taxi-Fahrer.
"Ich habe viele Kontakte mit Deutschen, die zu uns kommen, um die alte Heimat anzugucken. Jeden Monat fahre ich zwei bis drei Mal solche Gäste. Aber die Leute kommen und haben sehr gute Kontakte zu den Polen, die jetzt dort wohnen. Beide Seiten sind sehr positiv eingestellt."
Von den Verstimmungen zwischen Warschau und Berlin hat er in der Zeitung gelesen. Er weiß, dass der polnische Präsident erzürnt war über eine Satire in einer deutschen Tagesszeitung, die ihn mit einer Kartoffel verglich. Der Taxifahrer hat gelesen, dass die Regierung in Warschau eine Ausstellung über Vertreibung kritisiert, die in Berlin eröffnet wurde. Und im Radio hat er von dem Vorstoß der polnischen Familien-Liga gehört, das Recht der deutschen Minderheit in Polen einzuschränken. Doch hier, an der Grenze, ist von solchen Zwistigkeiten nichts zu spüren, sagt er.
Ich verstehe nicht, warum die Politiker die einfachen, zwischenmenschlichen Kontakte zerstören, sagt der Mitfünziger und schüttelt den Kopf.
In jeder Hand eine Plastiktüte, so schlendert ein Urlauber-Paar in Richtung Ahlbeck.
"Wir gehen Zigaretten holen. Aber ansonsten gehen wir nur auf die Polenmärkte. (...) Ich hab viel mehr Vorurteile..."
Ins Zentrum von Swinoujscie hat sie sich noch nicht getraut, erzählt die Touristin aus Berlin. Weil sie von ihren Bekannten zu Hause so viel Negatives über Polen gehört hat.
"Dass alle falsch sind, aber sind sie nicht. Sie sind freundlich. Man hat zu wenig Kontakt. Was ich gehört habe, war immer negativ. Aber ich bin angenehm überrascht. Mit der Zeit wird das immer besser, hoffe ich."
Dass es mit der Zeit besser wird, dafür haben hier auf Usedom vor allem auch die Frauen gesorgt.
Gut 30 Frauen und zwei Männer sitzen an gedeckten Kaffeetischen im Bürgertreff von Ahlbeck. Die Mitglieder des Deutsch-Polnischen beziehungsweise des Polnischen-Deutschen Frauenforums treffen sich zu einer Lesung der Ueckermünder Autorin Ilse Sarecka. In ihrem neuen Roman geht es um die Vertreibung von Deutschen und von Polen im Zweiten Weltkrieg. Ein politisch heikles Thema, das zwischen Warschau und Berlin gerade wieder für Verstimmung sorgt. Doch die Frauen wollen sich nicht vorschreiben lassen, was sie zu denken haben. Christina Dulnik, die Vorsitzende des Polnischen-Deutschen Frauenforums in Swinoujscie.
Wir beschäftigen uns nicht mit der großen Politik, absolut nicht, sagt Christina Dulnik, die resolute Vorsitzende der polnischen Seite. Die Frauen interessiert in erster Linie die Zusammenarbeit vor Ort. Und die läuft gut. Während sich die Beziehungen "oben" abkühlen, erwärmt man sich an der Basis füreinander. Angst, über schwierige Themen zu sprechen, gibt es nicht.
Das Deutsch-Polnische Frauenforum feiert in diesem Jahr sein zehnjähriges Bestehen. Zehn Jahre, in denen sich die Beziehungen in der Grenzregion deutlich verbessert haben, urteilt Käthe Falk, Vereinsvorsitzende auf deutscher Seite:
"Ich kenne noch die Jahre, als die Volkshochschulen, die die Sprachkurse anboten, die ausfallen lassen mussten, weil nicht genügend Schüler sich angemeldet hatten. Jetzt ist es schon so, dass sie die Lehrer für die Polnischkurse suchen."
Die polnischen und deutschen Frauen haben sich gegenseitig ihre Heimat gezeigt, Kontakte zwischen Landfrauen, Unternehmerinnen, Schulen und Kindergärten vermittelt. Kultur- und Gedenkveranstaltungen organisiert. Diskussionsabende durchgeführt. Ziel ist es immer, zu einem Thema die Erfahrungen beider Länder einzubringen, sagt Käthe Falk:
"Zum Beispiel Brustkrebs war eine Reihe von Veranstaltungen, daraus erwachsen ist auch die Gründung einer Selbsthilfegruppe in Swinemünde, dass wir gesagt haben: Wir haben einen deutschen Radiologen als Referenten, eine polnische Referentin – wie wird Vorsorgeprävention bei euch gemacht, wie bei uns? Welche Heilungsmethoden werden hier angewandt, welche dort?"
Jetzt gibt es eine deutsch-polnische Brustkrebs-Selbsthilfegruppe. Überhaupt sind viele private Freundschaften entstanden. Deutsche und Polinnen fahren gemeinsam in den Urlaub. Treffen sich zum "Kaffeeklatsch" mit angeschlossenem Sprachunterricht. Mussten die Forumsfrauen früher viele Kontakte überhaupt erst anregen, fragen die Vereine heute von sich aus nach. Trotzdem bleibt viel zu tun.
"Ich sag mal ganz platt: Alles ist Friede, Freude, Eierkuchen – das ist es bestimmt nicht. Dann wären wir als Frauen nicht aufgestanden und würden heute, nach zehn Jahren, noch arbeiten an unseren Zielen, wenn es so wäre."
Zigaretten, Aale, Handtaschen, Armbanduhren, Kinderkleidung – in den Bretterbuden des so genannten "Polenmarktes" in Swinoujscie stapeln sich die Waren. Marek, ein junger Zigarettenhändler, arbeitet auch im Tourismusgeschäft. Er wünscht sich, dass der Grenzübergang endlich auch für Autos geöffnet wird.
"Die Bewohner aus Swinemünde könnten nach Deutschland fahren und dort einkaufen. Und von anderer Seite deutsche Touristen können auch mit dem Auto fahren. Problem ist Parkplatz, Autoverkehr, das muss von zwei Seiten, von polnische Regierung und von deutsche Regierung muss das auch lösen sowas."
Sein Kollege, ein paar Bretterbuden weiter, weiß auch schon wie.
"Muss erstmal eure Seite große schöne Parkplatz hier in Swinemünde machen. Und EU muss machen schönes Brücke oder schöne Tunnel nach zweite Insel und dann machen wir auf Grenze."
Das ist natürlich nicht ganz ernst gemeint. Macht aber das Problem deutlich: Swinoujsce liegt am östlichen Ende der Insel Usedom. Ohne Straßenverbindung zum Festland. Fähren blubbern durch die Swine. Bringen Menschen und Autos ans Ostufer nach Pommern. Ein Zustand, den Swinoujsces Stadtpräsident Janosz Zmurkiewicz nur zu gerne ändern würde. Das Rathaus der rund 40.000-Einwohnerstadt liegt nur wenige hunderte Meter entfernt von den Budengassen des Marktes. In einem ehemaligen Kasernengebäude aus rotem Backstein. Janosz Zmurkiewicz blättert in einem kleinen Bildband: "Swinoujscie na starych pocztuwkach" – Swinemünde auf alten Fotos.
"Jeder, der sich diese alten Ansichtskarten anschaut, kann vergleichen, wie sieht das heute aus. Fast sieht es wieder aus wie früher. Wenn wir etwas Neues machen, versuchen wir es ähnlich dem alten Stil zu machen, aber heute ist es hier viel grüner."
Allerdings: Die Promenade liegt heute hinter einem Wäldchen, ohne Meerblick. Dafür gibt es jede Menge Cafes, Biergärten, Verkaufsstände, Rummelbuden. Schlichte Bauten aus den 70er und 80er Jahren stehen neben frisch renovierten Villen. Swinoujscie ist nicht so nobel herausgeputzt wie die so genannten "Kaiserbäder" Ahlbeck, Heringsdorf oder Bansin. Dafür aber deutlich billiger. Schon heute kommen 30 Prozent der Gäste aus Deutschland, sagt der Bürgermeister. Vor allem, um die günstigen Kur-Angebote wahrzunehmen. Es wären noch mehr, könnten die Gäste mit dem Auto via Ahlbeck anreisen, glaubt er:
"Wissen sie, unsere Insel ist künstlich geteilt, aber wenn die Insel geteilt ist, dann müssen wir normale Grenzübergänge machen. Das bedeutet, die Grenzübergänge sollten nicht nur für Fußgänger und Radfahrer offen sein, sondern auch für Autos. Wenn die Grenzübergänge für Autos geöffnet werden, wird das eine große Hilfe für die Einwohner sein. Jetzt ist es so, dass selbst wenn die Leute mit dem Bus fahren, dann können sie nur bis zur Grenze fahren, müssen dort aussteigen, zu Fuß über die Grenze gehen und dann wieder in den Bus steigen."
"Rendevous"-Verkehr nennen das die Verkehrsplaner euphemistisch. Wer heute mit dem Auto von Swinoujscie ins gut zwei Kilometer entfernte Ahlbeck fahren möchte, muss den Umweg über Stettin, Pasewalk und Anklam nehmen. 250 Kilometer oder gut vier Stunden einkalkulieren. Eine unhaltbare Situation, findet der Stadtpräsident. Er hat aber auch Verständnis für die Ängste der deutschen Seite vor dem Verkehrsinfarkt.
"Unsere deutschen Partner sagen, dass der Verkehr auf der Insel begrenzt sein sollte. Aber sie haben nichts dafür getan, um den Verkehr zu begrenzen. Die Brücken auf die Insel wurden nicht geschlossen, die Autos haben freie Fahrt. Deshalb habe ich vorgeschlagen, wenn wir die Grenze öffnen, dann verteilen sich die Autos über die ganze Insel, das bedeutet, ein Teil der Autos kommt auf unser Gebiet."
Eine bessere Verkehrsanbindung, das könnte weitere Vorteile bringen, hofft Zmurkiewicz. Denn Swinoujsce lebt nicht nur vom Heilbäder-Betrieb. Es ist auch eine Hafenstadt mit Fährverbindung ins schwedische Ystadt. Schweden, Tschechen, Norweger und Finnen haben bereits in Swinoujsce investiert.
"Ich weiß nicht, warum bis jetzt kein Deutscher zu uns gekommen ist, um eine kleine Fabrik zu bauen und Arbeitsplätze zu schaffen. Wahrscheinlich, weil es keine Grenzübergänge gibt. Weil man keine gute Verkehrsanbindung an Swinoujsce hat. Wenn wir einen guten Grenzübergang hätten, wäre es kein Problem für einen Bürger aus Bremen oder Hamburg zu uns zu kommen. Das ist schon paradox, dass es für einen Schweden leichter ist, Swinoujsce zu erreichen als für einen Deutschen."
Doch trotz dieser Unstimmigkeiten, auch das betont der polnische Bürgermeister, läuft die Zusammenarbeit gut. Man nutzt gemeinsam die Kläranlage, vermarktet sich als eine Insel auf deutschen und polnischen Tourismusmessen.
"Und das möchte ich unterstreichen, was auch immer in Warschau unternommen wird, das wird keinen Einfluss haben auf die gute Zusammenarbeit an der Grenze."
Djen dobre – Guten Tag, so begrüßt die Erzieherin Katarzyna die fünfjährige Laura. Seit gut einem Jahr arbeitet die junge Frau aus Polen in Kindertagesstätte der Arbeiterwohlfahrt Ahlbeck.
"Ich sitze am Tisch und dann mit Kinder basteln – dann spreche ich polnisch – einige Wörter, die kleinen Wörter, also, Guten Tag auf Polnisch. Auf Wiedersehen, Danke. Bitte, Entschuldigung oder zum Bespiel Körperteile Oko Uo, Nase, Nos, was noch –Farbe, das ist auch ein bisschen kompliziert. Zahlen, sie können auf Polnisch Zahlen..."
Sich im Spiel mit der polnischen Sprache und Kultur vertraut machen. Das ist das Ziel. Begonnen hatte alles mit einem Austausch mit dem Swinoujscer Kindergarten. Dort können die Kinder ab dem fünften Lebensjahr Deutsch lernen. In Ahlbeck aber gab es kein entsprechendes Angebot. So wurde die Idee einer bilingualen Gruppe in der Ahlbecker Awo-Kita geboren, erzählt Kita-Leiterin Marion Ryba. Die Eltern willigten ein:
"Es gibt einige wenige, die ganz bewusst sagen: Ich möchte, dass mein Kind in diese Gruppe, möchten auch schon tauschen – die Masse ist damit einverstanden und sagt, wir haben nichts dagegen, wir sind dafür, dass unsere Kinder diese Sprache lernen, sie sollen auch Englisch lernen, aber sie können auch Polnisch lernen... "
Außer der polnischen Erzieherin kommt auch ein kleiner Junge jeden Tag von Swinoujsce nach Ahlbeck in den Kindergarten.
"Die Antrage kommen von Polen, das ist klar. Von unserer Seite wurde noch nie ein Antrag gestellt, dass das Kind in Swinemünde in den Kindergarten geht. Aber – tja – das weiß ich jetzt nicht, ob sich das noch mal verändern wird, aber im Moment ist das so."
Gerne würde Marion Ryba die Gruppe um ein paar polnische Kinder erweitern. Doch wer soll das bezahlen? Die Elternbeiträge reichen nicht. Landes beziehungsweise kommunale Zuschüsse aber gibt es nur für die ortsansässigen Kinder. Und auch die weitere Finanzierung der polnischen Kindergärtnerin ist derzeit noch unklar. Marion Ryba klingt frustriert. Die deutsch-polnische Kita – für viele sei das ein süßes Vorzeigeprojekt, sagt sie. Dabei sei es viel mehr. Prävention nämlich.
"Bei uns ist die Ausländerscheu sehr groß und nun haben wir den polnischen Nachbarn und wenn ein Kind mit einem Kind spricht, das eine andere Sprache spricht und spielt, dann erkennt es, dass er auch einen Freund haben kann, der anders spricht... Das ist ja unser Ziel, dass die Kinder die Berührungsängste überwinden, denn daraus entstehen ja diese Vorurteile und die wollen wir abbauen."
Ahlbeck will im nächsten Jahre ein neues Kita-Gebäude bauen, den deutsch-polnischen Schwerpunkt noch erweitern. Auch den Bau eines Begegnungszentrums direkt auf dem Grenzstreifen könnte sich Klaus Kottwittenborg vorstellen. "Die Chemie stimmt", sagt der Bürgermeister von Ahlbeck und Heringsdorf mit Blick auf seinen polnischen Kollegen in Swinoujscie. Nur:
"Unsere Sorge ist, wenn starker Transitverkehr einsetzt, dass die Straßen noch stärker frequentiert werden, dass wir auch Probleme kriegen mit unserem Seeheilbad-Status."
Das Verkehrskonzept, das mit der polnischen Seite abgestimmt wurde, wie Kottwittenborg betont, sieht vor, dass die Touristen das Auto – wie bisher – stehen lassen und mit Bussen und Bahnen nach Swinoujsce fahren. Oder mit dem PKW den neu zu bauenden Übergang im wenige Kilometer entfernt Garz benutzen.
"Und wir stellen uns vor und da liegen wir auch gar nicht auseinander mit den Verantwortlichen der Stadt Swinemünde, dass wir vielleicht in so einer Art ‚kleinem Grenzverkehr’ für die Bewohner der Insel und für die Bewohner Swinemündes PKW-Regelungen finden können."
Kottwittenborg hofft, dass man sich einigen wird. Wie man sich in der Vergangenheit schon geeinigt hat. Jüngstes Beispiel: Die Usedomer Bäderbahn will ihre Endstation nach Swinoujscie verlegen. Das Gelände für Schienen und Bahnhof auf polnischer Seite wollte man kaufen. Was zu Unstimmigkeiten zwischen Swinoujscie, Stettin und Warschau führte. Da stellte der Swinoujscier Bürgermeister das Grundstück kurzerhand in Erbpacht zur Verfügung. Polnisch-deutsche Zusammenarbeit auf dem kurzen Dienstweg - gewissermaßen:
"Das hängt natürlich immer von den handelnden Personen ab. Ob die Befehlsempfänger sind oder selbst Handlungsspielraum für sich in Anspruch nehmen."