Europas Schritt ins Weltall

Von Dirk Lorenzen |
Am 7.2.2008 ist Europas Raumlabor Columbus mit einem Space Shuttle zur Internationalen Raumstation ISS gestartet. Columbus ist jetzt ein Modul der ISS - es ist das Herzstück der Forschung im Weltall. Mit dem Weltraumlabor wurde Europa zum vollwertigen Partner auf der Raumstation, die bis dahin nur von Russland und den USA betrieben wurde.
7. Februar 2008, 15:45 Uhr Ortszeit am Kennedy Space Center. Laut dröhnend stemmt sich der Space Shuttle Atlantis in den Himmel über Florida. An Bord teures Gepäck: Europas Raumlabor Columbus, das – wie der NASA-Kommentator blumig verkündet – mit dem Start die Segel setzt für eine Forschungsreise: Mit Columbus soll die Internationale Raumstation ISS endlich zum orbitalen Wissenschaftslabor werden.

"Super natürlich. Columbus ist jetzt endlich gestartet. Also jetzt geht es richtig los."

Der Gemütszustand von Helmut Luttmann kann kaum besser sein. Er arbeitet in Bremen bei EADS Astrium und ist verantwortlich für den Betrieb und die Nutzung der aufwändigsten Laboranlage, die je ins All geflogen ist.

Für diesen Moment der Erleichterung über den geglückten Start haben zahllose Ingenieure, Wissenschaftler, Gerätebauer und Raumfahrtstrategen in Europa mehr als zwei Jahrzehnte lang gearbeitet.

18. Januar 1985. Auf ihrer Tagung in Rom haben die Forschungsminister der an der Europäischen Raumfahrtagentur Esa beteiligten Staaten das Columbus-Programm beschlossen: Es soll aus zwei frei fliegenden Forschungsplattformen und einem an eine Raumstation gekoppelten Forschungsmodul bestehen.
Ein Jahr zuvor hatte US-Präsident Ronald Reagan den Bau der amerikanischen Raumstation Freedom verkündet.

"Tonight I am directing NASA to develop a permanently manned space station and to do it within a decade."

Freedom sollte ursprünglich 1992 ins All starten – genau 500 Jahre nach der Entdeckung Amerikas durch Christopher Columbus. Dazu kam es nicht. Das Projekt stellte sich schnell als viel zu teuer heraus. Das Ende des Kalten Krieges tat sein Übriges. Fortan setzte man lieber auf die Zusammenarbeit im All. Die Idee der Internationalen Raumstation war geboren.

Europa wollte sich an der ISS nur noch mit dem angedockten Forschungslabor beteiligen. Die frei fliegenden Segmente wurden aus Kostengründen gestrichen.

28. Februar 1996. Die Europäische Raumfahrtagentur Esa hat dem Bremer Unternehmen Dasa den Auftrag erteilt, das Raumlabor Columbus zu einem Festpreis von 880 Millionen Euro zu bauen.
Columbus entsteht bei EADS Astrium in Bremen, wozu die Dasa mittlerweile gehört. Die Entwicklung geht zügig voran. 1998 beginnt der Aufbau der Internationalen Raumstation, seit dem Jahr 2000 leben dauerhaft Menschen in den Modulen in der Umlaufbahn. Alle Beteiligten freuen sich auf einen baldigen Start mit einer US-Raumfähre zur ISS.

"And Columbia, Houston. We see you tire pressure messages, and we do not copy your last." "Roger, .... "
"This is mission control Houston. A space shuttle contingency has been declared."
"At nine o'clock this morning, mission control in Houston lost contact with their space shuttle Columbia. There are no survivors."

1. Februar 2003. Die US-Raumfähre Columbia ist beim Wiedereintritt in die Erdatmosphäre auseinander gebrochen und mit sieben Astronauten an Bord verglüht. Die Shuttle-Flüge werden bis auf weiteres ausgesetzt.
Den Europäern wird schlagartig ihre Abhängigkeit von den Amerikanern bewusst. Denn Columbus ist so konzipiert, dass es nur mit dem US-Space Shuttle starten kann, nicht aber mit der europäischen Ariane-Rakete. Jetzt heißt es erst einmal warten, ob und wann die Raumfähren der Nasa wieder ins All starten.

"Columbus steht noch in der Halle, wir machen noch ein paar Restarbeiten. Wir wollen es möglichst bald nach Florida zum Startplatz schicken - in der Hoffnung, dass das Space Shuttle seinen Betrieb bald wieder aufnimmt und dann auch zügig die weiteren Flüge vollzogen werden."

Günther Brandt ist bei Astrium der Chefkonstrukteur des Columbus-Moduls. Zum Abwarten gibt es keine Alternative. In der jahrelangen Zwangspause legen die Ingenieure bessere Kabel, erneuern manche Anschlüsse und tauschen Computer aus. Das ständige Hin und Her, das Auf und Ab zwischen Hoffnung und Pessimismus zehrt allen an den Nerven.

"Wir werden unsere künftige Forschung auf der Raumstation auf die langfristigen Effekte eines Weltraumaufenthalts auf den menschlichen Körper konzentrieren. Kosmische Strahlung und Schwerelosigkeit sind Gefahren für die menschliche Gesundheit. Wir müssen über diese Effekte viel mehr lernen, bevor wir zu monatelangen Reisen durch die leeren Weiten des Weltraums aufbrechen."

Ein Jahr nach dem Columbia-Absturz kommt die nächste Hiobsbotschaft: 2004 verordnet US-Präsident Bush einseitig der ISS das Ziel, vor allem Daten zu sammeln, die für künftige bemannte Missionen zum Mond oder gar zum Mars gebraucht werden. Bei den Europäer macht sich der Verdacht breit, die Nasa wolle die ungeliebte Raumstation auslaufen lassen und Columbus nicht mehr starten.

"Zur Raumstation ist es eben sehr, sehr wichtig, dass man nicht die Flinte ins Korn wirft, dass man auf höchster politischer Ebene den Amerikanern sagt, dass sie nicht einseitig bestimmte Dinge nun verändern. Wir brauchen mindestens zehn bis 16 Flüge des Shuttle, damit wir sicher sind, dass das Columbus-Labor und genügend Ausrüstung aus Europa nach oben kommt. Für uns wäre es eine Katastrophe, würde Columbus nicht mit dem Shuttle transportiert werden."

Zur von Ernst Messerschmid, der selbst einmal mit einem Shuttle im All war, geäußerten Befürchtung kommt es nicht. Die Nasa hält sich an ihre Abkommen und nimmt die Shuttle-Flüge wieder auf.

25. Juli 2005. Die US-Raumfähre Discovery ist zur Internationalen Raumstation gestartet. Bis zum Jahr 2010 sollen die Space Shuttle im Einsatz bleiben. Mit dem 7. Flug ab jetzt wird Europas Raumlabor Columbus ins All starten.
Im Februar 2008 ist es endlich so weit: Die US-Raumfähre Atlantis bringt Columbus ins All. Esa-Generaldirektor Jean-Jacques Dordain fällt mehr als ein Stein vom Herzen:

"Es ist schlicht unglaublich. 20 Jahre habe ich auf diesen Start gewartet – und nun ist Columbus endlich in der Umlaufbahn. Wir sind jetzt volle Partner der Raumstation und die Forschungsarbeit im Labor geht sofort los. Es erscheint mir immer noch ganz unwirklich. Aber gut. Ich weiß jetzt, dass es wahr ist!"

Die Astronauten hieven Columbus aus der Ladebucht des Shuttle heraus und montieren es an der vorgesehen Position.
Schließlich bekommt das Columbus-Kontrollzentrum in Oberpfaffenhofen die Meldung aus dem All, auf die man in Europa so lange gewartet hat.

"Go ahead Leo, we are here."
"Houston and Munich.The European Columbus Laboratory Module is now part of the ISS." -- "Beautiful work. Nice job, to all involved."

Columbus ist ein voll ausgestattetes Forschungslabor. Ob Handschuhkasten zum Hantieren mit gefährlichen Stoffen, Einrichtungen zum Experimentieren mit Flüssigkeiten, Tiefkühlschrank, Brutkammer oder demnächst ein Schmelzofen – in Columbus ist alles vorhanden. Einzigartig ist sein "Standort": Im Labor in der Umlaufbahn herrscht Schwerelosigkeit. Dort lassen sich spezielle Kristalle züchten, neue Legierungen herstellen oder Phänomene wie die Verbrennung störungsfrei untersuchen. Selbst das Leben auf der Erde lässt sich im All erforschen, erklärt Günter Ruyters. Biologie am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt in Bonn:

"Im Biolab geht es um ganz grundlegende Fragen, wie Zellen, Pflanzen, kleine Tiere oder auch Zellkulturen, wie diese Organismen Schwerkraft wahrnehmen und verarbeiten. Von den ganz anfänglichen Prozessen der Schwerkraftwahrnehmung über die Weiterleitung in den Zellen, in den Geweben bis zur Reaktion der Pflanze. Ganz einfach gesagt, woher die wissen die Pflanzen, dass sie ihre Wurzeln zum Erdmittelpunkt wachsen lassen sollen und den Spross zum Licht, damit die Pflanze nachher Photosynthese machen kann."

So vielseitig nutzbar Columbus auch ist. Es hat im Moment ein gravierendes Problem: Dem Labor mangelt es an noch Laboranten. Erst ab Mitte des Jahres sollen sechs Menschen dauerhaft auf der ISS im Einsatz sein. Drei von ihnen könnten stets Experimente im Labor durchführen.

Columbus steht jetzt allen Forschern offen, die sich auf die einzigartigen Bedingungen im Weltraum einlassen, betont Esa-Chef Dordain.

"I think that Columbus has discovered a new world. And I think with Columbus we at Esa, we are discovering a totally new world."

Einst habe Christopher Columbus eine neue Welt entdeckt. Und nun entdeckt die Esa eine total neue Welt, die Welt der Schwerelosigkeit – und zwar mit dem Forschungslabor Columbus.