Europas Kulturhauptstadt 2016

Breslau schafft sich ein Viertel gegenseitigen Respekts

Blick über Breslau
Blick über Breslau © dpa/picture alliance/Forum Marek Maruszak
Von Robert B. Fishman · 16.10.2015
Breslau war bis in die 1930er Jahre mit 25.000 Mitgliedern die drittgrößte jüdische Gemeinde Deutschlands. Heute entdeckt die Stadt, 2016 Europas Kulturhauptstadt, dieses deutsche und jüdische Erbe wieder.
An einem rohen Holztisch im neuen koscheren Café der jüdischen Gemeinde lauschen acht Leute dem Vortrag eines Gelehrten. Er informiert über das Yom Kipur Fest und seine Bedeutung. Jeden Montag treffen sie sich hier zur Schul.
Abends ist das freundliche, helle Café gut besucht. Auch Nichtjuden genießen die koscheren Leckereien aus der kleinen Küche: Suppen, Kuchen und mehr. Gegenüber erstrahlt die Synagoge Zum Weißen Storch frisch restauriert. Erbaut wurde sie 1827-29 nach Plänen des klassizistischen Architekten Carl Ferdinand Langhans.
"Die jüdische Gemeinde hat die Synagoge Zum weißen Storch restauriert, aber es war wenig Geld und sie haben gefragt, ob ich wollte Kulturveranstaltungen da machen", erzählt Bente Kahan. Seit 2001 lebt die Norwegerin mit ihrem Mann Alexander Gleichgewicht in Breslau: "Erst glaubte ich nicht, aber dann sagte ich okay, aber dann habe ich verstanden, dass man gar nichts machen kann, denn es ist eine Ruine. Man könnte einen Stein in den Kopf bekommen, so habe ich eine Stiftung gemacht mit sehr viel Hilfe von fantastischen Leuten hier in Wroclaw."
Lesungen, Konzerte, Theateraufführungen in der restaurierten Synagoge
Bente Kahans gleichnamige Stiftung organisiert in der nun fertig restaurierten Synagoge Lesungen, Konzerte, Theateraufführungen und mehr. Nach Veranstaltung auf und über das Jiddische plant sie ihr nächstes Projekt: Theaterstücke, Liederabende und Sprachkurse in Jiddisch und Ladino, der alten Sprache der spanischen, sephardischen Juden – eine multimediale Reise durch die europäisch-jüdische Geschichte: "Es ist über zwei Sprachen, kleine Kursen, Werkstätten für Lieder, Workshops, Masterclasses, Konzerten, Vorstellungen, Ausstellungen. Die Leute lernen sehr viel über Jiddisch und Ladino und die Leute, die das konsumieren, diese Kultur, weil ich denke, das durch Kultur kennt man viel mehr über europäische Identität lernen und ich glaube, dass Jiddisch und Ladino nicht nur jüdische Erbe sondern die europäische Erbe."
Aber wie kommt eine Osloer Jüdin nach Breslau: "Mein Mann war eine sehr aktive Mitglied von Solidarnosc, von die Opposition, und derweil war er als eine Flüchtlinge, als eine politische Flüchtlinge nach Norwegen gekommen in 84 und so haben wir uns getroffen. Ich bin eine Jüdin aus Norwegen. Ich habe am Theater in Norwegen und Israel gearbeitet. ..."
Teil des positiven Wandels
Inzwischen ist Bentes Mann Alexander Gleichgewicht Vorsitzender der jüdischen Gemeinde – mit rund 350 Mitgliedern die zweitgrößte in Polen.
"Erstens empfand ich es als meine Pflicht als politischer Flüchtling zurückzukommen und Teil des positiven Wandels in meinem Land zu werden. Als Jude fühle ich mich als polnischer Patriot. Und.. dann später, hatte ich dieses Gefühl, dass dieses neue Polen an der Renaissance des jüdischen Lebens teilhaben sollte. Jüdische Geschichte kann ich mir nicht ohne Polen und polnische Geschichte nicht ohne Juden vorstellen."
In Wroclaw/Breslau fühlt sich der 62jährige wohl: "Breslau ist für mich die beste Stadt in Polen. Nach dieser dramatischen Geschichte des deutschen, polnischen und jüdischen Wroclaw/Breslau, hat sich hier einige ganz besondere Mischung von Menschen gefunden, die einander nicht fragen woher sie kommen. Es ist eine Pioniergesellschaft, ein bisschen wie in Israel oder den USA, wo die Leute keine Komplexe wegen ihrer Herkunft haben. Fremdenfeindlichkeit und Nationalismus sind hier viel weniger verbreitet, als in konservativeren Teilen Polens."
Von der Stadt fühlen sich Bente Kahan und Aleksander Gleichgewicht gut unterstützt: "Es gibt hier ein rechtsextremes Milieu, oft in Verbindung mit Fußballfans. Daraus rekrutieren sich die Teilnehmer für nationalistische Demonstrationen gegen Einwanderer. Aber es ist kein großes Problem. Hier im Viertel des gegenseitigen Respekts und der vier Religionen arbeiten wir mit Katholiken, Protestanten und orthodoxen Christen zusammen. Vor kurzen haben wir auch zusammen mit Muslimen gemeinsam für die Christen im Irak und Syrien gebetet. Wir verstehen das als Beitrag zum Aufbau einer neuen Identität dieser Stadt."
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