Europagegner in Frankreich im Aufwind

Von Günter Müchler · 10.04.2013
Kanzlerin Merkel wird mit Unflat überschüttet, je heftiger die Krise in Europa wütet, umso mehr. Frankreich ist den Deutschen derzeit kein Partner, zu viel haben die Franzosen mit sich selbst zu tun. Hier sind die Europagegner auf dem Vormarsch - beunruhigend vor der kommenden Europawahl.
Denkt man an die Europawahl im Mai nächsten Jahres, kann einem nur schwarz vor Augen werden. Mit einem Zustimmungsstreik ihrer Bürger dürfte die Gemeinschaft bei diesem Anlass wohl noch gut bedient sein. Wahrscheinlicher ist, dass den Europagegnern überall auf dem Kontinent die Hemdbrust gestärkt wird.

Auch in Deutschland könnte sich die Europastimmung verfinstern. Der Unflat, der aus der Südzone der Gemeinschaft über die Kanzlerin ausgeschüttet wird, empört. Politisch sind die Hiebe auf Deutschland ein Warnzeichen: Je tiefer die Krise, desto größer die Nachfrage nach dem Sündenbock.
Als zu Unrecht Angegriffener sähe man es in Berlin gern, wenn aus Paris ein Wort der Solidarität käme. Aber abgesehen davon, dass die deutschen Stabilitätsvorstellungen von der Regierung unter dem Präsidenten Hollande nicht geteilt werden, hat Frankreich genug mit sich selbst zu tun.

Das Geständnis des Budgetministers Cahuzac, sein privates Geld vorzugsweise in Steueroasen geparkt und Parlament und Volk belogen zu haben, war ein schwerer Schock für die gesamte politische Klasse, vor allem aber für das sozialistische Regierungslager, das seit der Inauguration Hollandes einen beispiellosen Gewichtsverlust erlebt.

Hochmut kommt vor dem Fall: Die "untadelige Republik" hatte Hollande den Franzosen versprochen. Nach einem Jahr haben die regierenden Sozialisten schon so viele Skandale am Bein wie Frankreich unter Hollandes Vorgänger Sarkozy, der im Ruf eines Tricksers stand und momentan selbst Gegenstand juristischer Untersuchungen ist.

Die Stimmen, die darin den Ausdruck eines kompletten Elitenversagens sehen, häufen sich. Wem soll man noch vertrauen?

Die Abgesänge auf die Fünfte Republik sind übertrieben. Es ist einfach viel, was auf die Franzosen derzeit an Hiobsbotschaften niederprasselt: Die Arbeitslosigkeit steigt, die Wirtschaft lahmt, die Sparziele werden nicht erreicht, das Ausbildungssystem ist überholungsbedürftig, die Kriminalität nimmt zu.

Es wächst die Unzufriedenheit; ihre Ursachen sind unterschiedlich, ihre Äußerungen überraschend. Seit Monaten gibt es Massenproteste gegen die Einführung der Homo-Ehe, hunderttausende gingen wieder und wieder auf die Straße, Menschen, die das Demonstrieren nicht gelernt haben, die brav ihre Steuern zahlen. Auch Frankreich hat seine Wutbürger.

Wie viele Franzosen denken, offenbarte kürzlich eine Umfrage der Tageszeitung Le Monde: Danach wünschen sich 71 Prozent einen starken Mann an der Spitze, einen, der die Dinge in Frankreich in Ordnung bringt.

Auf den Gedanken, Hollande könnte dieser Messias sein, käme wohl kaum jemand. Die Zustimmungswerte für den Präsidenten rangieren derzeit bei einem Minusrekord von 25 Prozent. Genauso wenig kommt für die Rollenbesetzung momentan die rechtsbürgerliche UMP infrage. Sie hat genug damit zu tun, vor dem eigenen Haus zu kehren.

Bei dieser Ausgangslage bieten sich als Krisenprofiteure nur der rechtsextreme Front National unter Marine Le Pen und der linksextreme Front de Gauche unter Jean-Luc Mélenchon an. Beide Bewegungen sind populistisch, beide nähren sich von Ängsten, die eine von der Fremdenangst, die andere von der Globalisierungsangst.

Manchmal fließen die Linien ineinander, zum Beispiel wenn es gegen EU-Europa geht. Und gemeinsam schüren sie den Hass auf das "System", das sich, so meinen sie, in der Affäre Cahuzac selbst enttarnt habe. Mélenchon fordert eine "Säuberungsaktion", Frau Le Pen behauptet, nur Neuwahlen könnten "die Eiterbeule leeren".

Bei der Präsidentschaftswahl vor knapp einem Jahr brachten es die Flügelparteien auf ein Drittel der Stimmen. So wie es aussieht, muss es dabei nicht bleiben.

Dr. Günter Müchler, studierte Politikwissenschaften, Neuere Geschichte und Zeitungswissenschaften. Er arbeitete als Redakteur der Günzburger Zeitung und der Deutschen Zeitung/Christ und Welt, später als Bonner Korrespondent der Augsburger Allgemeinen und der Kölnischen Rundschau (1974 – 1987).

Im Deutschlandfunk war er Leiter der Aktuellen Abteilung, Chefredakteur und Programmdirektor, zuletzt auch von Deutschlandradio Kultur (bis 2011). Buchveröffentlichungen: "CDU/CSU-Das schwierige Bündnis" (München 1976) und "Wie ein treuer Spiegel. Die Geschichte der Cotta’schen Allgemeinen Zeitung" (Darmstadt 1998)

Günter Müchler, Programmdirektor Deutschlandradio
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