"Damit wird natürlich das Regime unterstützt"
Der Europäische Theaterpreis wird von der Europäischen Kommission vergeben.(*) Während Milo Rau den diesjährigen Innovationspreis nicht entgegennehmen konnte, wurde ein Putin-naher Theaterdirektor mit dem Hauptpreis in Höhe von 15.000 Euro belohnt.(**)
"We can pretend that Milo Rau is with us, but he is not. We can pretend, that Kirill Serebrennikov is with us, but he is not." Mit diesem kurzen Statement benannte der polnische Regisseur Jan Klata die zwei eigentlich wirklich Wichtigen beim diesjährigen Europäischen Theaterpreis. Den Schweizer Milo Rau, einen der Preisträger des Innovationspreises in diesem Jahr, weil er seit seiner Produktion über die Freiheit der Kunst unter dem Titel "Moskauer Prozesse" nicht mehr nach Russland einreisen darf und ihm nun erst, als es zu spät war, plötzlich noch ein Visum in Aussicht gestellt wurde.
Und den Regisseur Kirill Serebrennikov, der hier in Russland in einem fadenscheinigen Veruntreuungsprozess seit über einem Jahr unter Hausarrest gestellt, schon als Preisträger des letzten Jahres nicht nach Rom zur Preisverleihung reisen durfte. Und auf beide Abwesende wiederum bezog sich auch Jan Klata mit seinem in Petersburg in diesen Tagen gezeigten fulminanten "Volksfeind" von Hendrik Ibsen vom Krakauer Stary Teatr, in dem er auf der Bühne des Petersburger Baltic-Houses die Frage stellen ließ, ob jemand Milo Rau und Kirill Serebrennikov gesehen hätte?
Weiterer Innovationspreis für Jan Klata
Auch Jan Klata ist als Intendant des Krakauer Stary-Teatrs längst von der regierenden polnischen Pis-Partei abgesetzt und so ist seine Auszeichnung mit dem diesjährigen Innovationspreis für das Jurymitglied Joachim Lux, den Hamburger Thailiatheater-Intendanten, auch ein politisches Statement: "In dem Sinne ist es klar so, dass wir natürlich versuchen, so etwas zu unterstützen und in dem Zusammenhang ist dann – was ja seine künstlerische Leistung nicht mindern soll – ein Regisseur wie Jan Klata aus Polen auf den Radar gekommen."
Mit Jan Klata, Milo Rau und anderen hat die Jury um Joachim Lux auch jetzt wieder viele wichtige jüngere Theaterkünstler mit dem Europäischen Theaterpreis ausgezeichnet, doch ist diese Jury ausschließlich für den Innovationspreis – nicht jedoch für den Hauptpreis zuständig, der in diesem Jahr auffälligerweise in St. Petersburg an Valery Fokin und damit ausgerechnet an einen Petersburger Theaterdirektor ging.
"Wenn dann eine große Stadt wie Rom, wie Petersburg sagt, wir haben das Geld, dann würde ich mal vermuten, dass die Frage, wer dann in dem jeweiligen Land den Preis bekommt, dass die sich auf diplomatisch undurchsichtigen Wegen mit der Geldfrage verknüpft", erklärt Joachim Lux.
Viel anders lässt sich wohl nun auch die Auszeichnung für den inzwischen 72-jährigen Valery Fokin nicht erklären, der - wie es heißt - äußerst machtbewusst das Petersburger Alexandrinski-Theaters leitet, dessen theatrale Sturm-und-Drang-Zeit als Regisseur dagegen seit Jahrzehnten vorbei sein soll. Man glaubt es gern, hat man etwa als Teil eines leicht konsternierten internationalen Publikums jetzt seine Theatralisierung von Jaroslav Hašeks Schwejk-Roman über sich ergehen lassen.
Valery Fokins dezidiertes Bekenntnis zu Wladimir Putin
Ob seine – zumindest für westliche Augen – als altbackener Mummenschanz daherkommende Antimilitarismus-Groteske ein wirkliches politisches Statement ist, hätte man gern im Exklusiv-Interview geklärt, was Valery Fokin allerdings nicht bereit war zu geben. Und so hält man sich an eine Stimme wie die international renommierte russische Theaterkritikerin Marina Davidova, die ebenfalls der Innovationspreisjury angehört, und die Fokin schon seit Längerem vorwirft, sich mit seinem dezidierten Bekenntnis zu Wladimir Putin künstlerische Freiheiten teuer erkauft zu haben:
"Es gibt wirklich eine große Nähe Fokins zur politischen Elite, sowohl hier in St. Petersburg als auch zum Kreml. Und es gibt eine Nähe zu Putin. Für mich hat die Verleihung des Europäischen Theaterpreises an ihn nichts mit seinen Qualitäten als Regisseur zu tun, sondern nur mit der Tatsache, dass er ein Big Boss eines russischen Theaters ist. Hier in Russland hat man nicht verstanden, dass er den Preis nicht von einer Jury bekommen hat, sondern von russischen Offiziellen. Und was dann dementsprechend dieser Preis für das russische Theater bedeutet? Für mich bedeutet es nichts!"
"Damit wird natürlich das Regime unterstützt"
Marina Davidova ist wohl eine der mutigsten Stimmen zurzeit in der russischen Theaterszene. Und auch was den Europäischen Theaterpreis angeht, nimmt sie kein Blatt vor den Mund:
"Finanziell hängt der Europäische Theaterpreis von jener Stadt ab, die bereit ist, ihn auszurichten. Und Russland ist wirklich sehr dafür geeignet, weil: Es gibt Geld. Und wir haben einen sehr speziellen Minderwertigkeitskomplex, der uns anfällig macht für solche Großereignisse. Soweit ich das sehe, ist es dem zuständigen Preisgremium ziemlich egal, woher das Geld kommt. Wenn es von Hugo Chavez käme, wäre das auch ok."
Anmerkungen der Redaktion:
* "Der Europa-Preis für das Theater" wurde 1987 von der Europäischen Kommission initiiert. Er wird vom Europaparlament und von der Europäischen Kommission als "Fördermaßnahme der europäischen Kultur" unterstützt und von einem Board überwacht. Die Auswahl der Innovationspreise trifft eine für mehrere Jahre bestellte Jury. Der Hauptpreis hingegen wird von einer jährlich wechselnden Jury der jeweiligen Gastgeberstadt vergeben.
**In einer früheren Version war an dieser Stelle das Preisgeld versehentlich mit 60.000 Euro angegeben worden. Der von der Gastgeberstadt St. Petersburg 2018 vergebene Hauptpreis war jedoch mit 15.000 Euro dotiert. In den Vorjahren war der Hauptpreis teilweise mit 60.000 Euro dotiert gewesen.