Europäischer Metall-Gewerkschaftsbund fordert Reform der betrieblichen Mitbestimmung

Moderation: Leonie March · 07.07.2005
Vor dem Hintergrund der Korruptionsaffäre im Volkswagen-Konzern hat der Generalsekretär der European Metalworkers Federation (Europäischer Metall-Gewerkschaftsbund), Peter Scherrer, eine Reform der betrieblichen Mitbestimmung gefordert. In diesem Zusammenhang forderte er eine Europäisierung der Aufsichtsräte.
Leonie March: Steht aber nicht mehr so sehr der Verdacht auf Betrug und Untreue, vielmehr wird über die Ursachen debattiert. FDP-Wirtschaftsexperte Brüderle forderte gestern hier im Deutschlandradio Kultur eine Reform der Mitbestimmung und die Abschaffung des VW-Gesetzes. CDU-Wirtschaftsexperte Pofalla warnte davor, die Mitbestimmung in Frage zu stellen und SPD-Politiker sprachen sogar von einer Hetze gegen die Mitbestimmung. Am Telefon begrüße ich nun Peter Scherrer, er ist Generalsekretär der European Metalworkers Federation, also dem europäischen Metallgewerkschaftsbund und Mitglied im Aussichtsrat von Thyssen-Krupp. Guten Morgen, Herr Scherrer.

Peter Scherrer: Guten Morgen.

March: Ist Mitbestimmung nun ein historisches Relikt oder nach wie vor ein wichtiges Instrument guter Corporate Governance?

Scherrer: Ich glaube, die Mitbestimmung ist kein historisches Relikt, die gibt es schon lange, seit den 50er Jahren. Der Ursprung der Mitbestimmung war ja nun, dass man im Konsens versucht, gemeinsam mit den Arbeitnehmervertretern und den Gewerkschaften gute Lösungen für die Betriebe und das wirtschaftliche Wohlergehen aller Arbeitnehmer durchzusetzen und gemeinsam Lösungen zu finden. Ich glaube, es ist richtig, dass man sich auf diesem Weg, gerade in besonders schwierigen Zeiten, in wirtschaftlich schwierigen Zeiten, weiterbewegt. Reformen halte ich selbst auch für nötig.

March: In welchen Punkten?

Scherrer: Zum Beispiel Europäisierung der Aufsichtsräte. Ich glaube, da müssen wir auf beiden Seiten noch eine Menge tun, auf Arbeitnehmerseite wie auch auf Arbeitgeberseite. Ich denke einmal, in Zeiten der Globalisierung und weiter voranschreitenden Europäisierung ist es wichtig, dass man auch Vertreter aus anderen Ländern, mit anderen Blickwinkeln in die Aufsichtsräte hineinholt. Ich hätte aber auch noch einen zweiten Punkt für die Reform. Zum Beispiel die Wahlen. Wenn man sich das 76er Mitbestimmungsgesetz anschaut, die Wahlen sind enorm kostenintensiv und die Wahlen dauern lange. Ich denke, auch bei den Wahlen müsste man Wege finden, um diese Wahlen schneller und weniger kostenintensiv durchzuführen. Das ist, glaube ich, ein ganz wichtiger Punkt insbesondere bei großen Betrieben.

March: Das wäre wahrscheinlich auch gar nicht so schwierig, das zu schaffen?

Scherrer: Nein, die Gewerkschaften haben dazu auch Vorschläge gemacht, bloß da ist man sich mit den Arbeitgebern nicht einig. Ich denke einmal, wenn man da einen Reformausschuss zusammensetzen würde, würde man, wenn man ernsthaftes Interesse hat, die Mitbestimmung zu erhalten, sich auch einigen. Die Frage stelle ich mir. Im Moment wird die Mitbestimmung unter Beschuss genommen, und will man wirklich ernsthaft an der Mitbestimmung festhalten, das ist die Frage.

March: Prinzipiell meinen Sie, in großen Unternehmen sollten weiterhin Vertreter der Anteilseigner und Arbeitnehmervertreter zu gleichen Teilen im Aufsichtsrat vertreten sein?

Scherrer: Auf jeden Fall. Ich denke, das hat sich bewährt. Es gibt ganz viele Betriebe, bei denen es gute Beispiele gibt. Sie haben gerade gesagt, dass ich bei Thyssen-Krupp im Aufsichtsrat bin. Dort haben wir eine ausgeprägte Mitbestimmungskultur aufgrund der Industrie, die dieser Konzern vertritt, Stahlindustrie. Jetzt gibt es eben sehr lange eine ausgeprägte Montanmitbestimmung in einigen Bereichen und das hat sich bewährt, und ich glaube, da können alle sagen, das ist ein stolzes Ergebnis, zum Beispiel, was dieser Konzern im letzten Geschäftsjahr vorgelegt hat: Das beste Rekordergebnis in seiner Geschichte. Da frage ich mich, ist das Argument, behindern die Arbeitnehmervertreter das oder ist das so schlimm, dass sie so viele Entscheidungen blockieren, dass ein Unternehmen nicht wirtschaftlich arbeiten kann? Dafür gibt es viele gute Gegenbeispiele.

March: Nun wendet sich die Kritik der FDP ja auch und vor allem gegen das Gewerkschaftsprivileg. Sie fordert, dass Arbeitnehmer ihre Vertreter in den Aufsichtsgremien künftig selbst auswählen sollen, dass es also keine Funktionäre sind, die mit dem Unternehmen eigentlich gar nichts zu tun haben. Was halten Sie davon?

Scherrer: Wir werden ja gewählt. Ich bin selbst gewählt worden von den Arbeitnehmern. Es gibt einen Wahlprozess. Es kann natürlich sein, dass, wenn einer vorzeitig ausscheidet aus einem Aufsichtsrat, dass man dann nachbestellt wird, das ist die so genannte registergerichtliche Bestellung, aber alle Vertreter werden gewählt.

March: Aber nicht alle Vertreter sind Arbeitnehmer von Thyssen-Krupp.

Scherrer: Das ist in der Tat richtig. Ich denke mal, das macht auch großen Sinn, dass nicht alle aus dem Betrieb kommen. Denn Arbeitnehmervertreter aus dem Betrieb haben ein ganz anderen Druck, unter den sie der Vorstand setzen kann, als externe Vertreter, die sind nicht unmittelbar so von den Entscheidungen betroffen, können aber zusammen mit den betrieblichen Arbeitnehmervertretern eher etwas unabhängiger für gute Lösungen wirken.

March: Zur amerikanischen Corporate Governance gehören Transparenzregeln und die persönliche Haftung von Vorständen und Aufsichtsräten. Wäre so etwas nicht auch in Deutschland denkbar?

Scherrer: Viele Unternehmen machen das, zum Beispiel, weil Sie gerade gesagt haben, ich bin im Thyssen-Krupp Aufsichtsrat. Sie können exakt sehen, wie viel Geld ich bekomme, dann brauchen Sie nur einen Internetzugang zu haben. Alle Arbeitnehmervertreter legen offen, was sie bekommen, also die Aufsichtsratstantieme sind öffentlich. Wenn man gute Corporate Governance pflegt, dann ist das so und alle Arbeitnehmervertreter, die den DGB-Gewerkschaften angehören, führen diese Aufsichtsratstantieme bis auf einen kleinen Mindestbehalt an die Hanns-Böckler-Stiftung ab, an eine öffentliche Stiftung. Das ist alles nachvollziehbar. Wenn Sie jetzt auf die Gehälter der Betriebsräte abzielen, dann würde ich sagen, man kann die Betriebsräte nicht mit Managern vergleichen. Betriebsräte sind Angestellte oder Arbeiter eines Betriebs, sie haben einen ganz normalen Arbeitsvertrag und für ihre Wahlperiode machen sie, wenn sie freigestellt werden, eine andere Arbeit. Aber wenn sie dann nicht wiedergewählt werden, dann werden sie ganz normal wieder Arbeiter sein. Insofern würde ich das jedem Betriebsrat anheim stellen, ob er das machen will oder nicht. Außerdem sind nach meiner Kenntnis das eben nicht die Managergehälter, die Betriebsräte beziehen, sondern ganz normale Gehälter, die sie in Tarifverträgen ablesen können.

March: Wie steht es mit dem zweiten Punkt, den ich eben genannt habe, nämlich die persönliche Haftung von Vorständen und Aufsichtsräten?

Scherrer: Ich denke, das ist ein Punkt, da muss man drüber nachdenken und da muss man diskutieren. Da sind wir auf einem Wege. Ich glaube schon, dass es da einen Reformbedarf geben wird. Da möchte ich mich aber im Moment nicht dazu äußern, wie weit das gehen kann. Da sind wir in einer Debatte, und ich denke schon, dass man auch da an der Frage arbeiten muss, aber das kann ich Ihnen jetzt nicht dezidiert auseinander legen.

March: Aber es wäre an sich ein Instrument, mit dem man Verhältnisse wie jetzt bei VW diese Schmiergeldaffäre verhindern könnte?

Scherrer: Das glaube ich nicht. Erstens mal zu VW will ich nichts sagen, kann ich nichts sagen, da bin ich auf die Zeitungen angewiesen, und deswegen würde ich auch das Wort Schmiergeldaffäre nicht benutzen, das ist ein Schlagwort. Ich glaube, wenn es dann zu Korruption kommt, dass man die generell sowieso auch nicht verhindern kann. Es gibt immer Möglichkeiten und Wege, Korruption zu machen. Unter denen Bedingungen, unter denen jetzt zum Beispiel Unternehmen arbeiten müssen, unter Druck der Verlagerung und so weiter, glaube ich, da nimmt eher die Möglichkeit noch zu, dass man Leute unter Druck setzt und dass man dann vielleicht Türen öffnet dafür.

March: Der Generalsekretär des europäischen Metallgewerkschaftsbundes, Peter Scherrer, war das.