Europäischer Green Deal

Ein ökologisches Bauhaus wagen

04:38 Minuten
Das Bauhaus in Dessau.
Das Bauhaus war in den 1920er-Jahren ein wichtiger Motor auch von Wirtschaft und Gesellschaft. Das könnte ein Europäisches Bauhaus 100 Jahre später doch auch sein. © picture alliance / imageBROKER / Michael Nitzschke
Ein Standpunkt von Klaus Englert · 27.01.2021
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Die EU hat einen Green Deal ins Leben gerufen und dazu noch ein neues Europäisches Bauhaus in Aussicht gestellt. Bis Herbst soll ein Konzept dafür stehen. Das klingt vielversprechend, meint der Publizist und Architekturkritiker Klaus Englert.
Vor Kurzem forderte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen im EU-Parlament ein neues – europäisches – Bauhaus, initiiert durch die Europäische Union. Der Vorschlag kam, nachdem von der Leyen der EU den europäischen Green Deal verordnet hatte – einen Aktionsplan für nachhaltiges Wirtschaften. Nur durch diese Doppelstrategie – so die Christdemokratin – könnten die Gefahren der globalen Klimakatastrophe wirkungsvoll begegnet werden.
Nur, brauchen wir wirklich ein Europäisches Bauhaus? Von der Leyen erinnerte zu Recht daran, dass das Dessauer Bauhaus in den 1920er-Jahren nicht allein ein wichtiger Motor für die Erneuerung der Kunst, sondern auch von Wirtschaft und Gesellschaft war. Tatsächlich profitierte die berühmte Kunsthochschule von einem Antriebsimpuls, der auf viele Bereiche übersprang.


So gelang es dem Gründungsdirektor Walter Gropius in den Zeiten der beginnenden Weltwirtschaftskrise, in der Bauindustrie neue Fertigungstechniken für qualitätsorientierten, kostengünstigen Wohnungsbau einzusetzen. Das kam breiten Bevölkerungsschichten zugute. Sicher, Gropius glückte das nicht immer, aber gleichwohl setzte er Maßstäbe, die weiterhin gelten.

Bauen gehört zu den größten CO2-Treibern

Wenn heute das Bauhaus seinen reformerischen, vorwärtstreibenden Geist bewahren will, muss es sich neu erfinden. Zu dem sozialen und künstlerischen Impuls käme heute der ökologische hinzu. Die Einsichten in die Klimakatastrophe lehren, dass wir nicht so weiter bauen können wie bisher. Denn Bauen gehört zu den größten CO2-Treibern überhaupt. Ursula von der Leyen erinnerte zu Recht daran, dass etwa 40 Prozent unserer Treibhausgasemissionen durch Gebäude und Infrastrukturen produziert werden.
Ein Leitgedanke des künftigen Bauhauses müsste folglich lauten: Die Welt von morgen aus anderen Baustoffen errichten. Und: Für mehr Menschen mit weniger und leichterem Material bauen und dabei auf fossil basierte Energie verzichten. Denn Gebäude können mit neuen Baumaterialien so gebaut werden, dass sie recyclebar sind und keine Rückstände hinterlassen. Desgleichen sind Gebäude möglich, die im Betrieb keinerlei Schadstoffemissionen und keinen zusätzlichen Energieverbrauch erzeugen.
Auch die Frage für wen man baut, müsste heute anders beantwortet werden als zu Gropius‘ Zeiten. Die Welt ist heterogener und fragiler als in den Golden Twenties. Während Walter Gropius moderne Siedlungen für die heimische Bevölkerung baute, rücken heute ganz andere Adressaten in den Vordergrund: Zum Beispiel Flüchtlinge, die den Krisenherden ihrer Heimatländer entfliehen. Ein Europäisches Bauhaus müsste sich auf anschwellende Fluchtbewegungen vorbereiten. Und überlegen, welches Habitat sie diesen Menschen anbieten kann.

Ein offenes Experimentierlabor für alle Akteure

Aber das ist noch lange nicht alles. Schaut man sich die steigenden demografischen Kurven in Asien und Afrika an, dann wird deutlich, dass die Erdbevölkerung in den nächsten 25 Jahren einen Nettozuwachs von 550 Millionen Menschen verkraften muss. Das schafft gewaltige Herausforderungen für Forschung und Bauindustrie.

Das Europäische Bauhaus müsste sich einmischen in die politischen und wirtschaftlichen Abläufe. Und in Städten und Dörfern demonstrieren, dass Kreislaufwirtschaft nicht Verzicht, sondern Gewinn für jeden Einzelnen bedeutet. Das Beispiel Architektur macht es möglich, ökologisches Umdenken fassbar und anschaulich zu machen.
Und was wäre das neue Bauhaus? Es müsste ein möglichst offenes Experimentierlabor für alle Akteure sein, die imstande sind, das geistige und technische Know-how für die Klimawende zu entwickeln. Angesprochen sind Architekten, Ingenieure, Geisteswissenschaftler, Designer und Künstler. Das Europäische Bauhaus braucht kein Zentralinstitut in Brüssel oder Berlin. Wirksamer sind dezentrale und miteinander vernetzte Labore, in denen die unterschiedlichsten Akteure experimentell an intelligenten und kollektiven Lösungen arbeiten.

Klaus Englert ist Journalist und Buchautor. Er schreibt für Zeitungen und den Hörfunk, vornehmlich über architektonische und philosophische Themen. Zudem ist er als Kurator für Architekturausstellungen tätig. 2019 ist bei Reclam sein aktuelles Buch erschienen: "Wie wir wohnen werden: Die Entwicklung der Wohnung und die Architektur von morgen".

Klaus Englert steht im Freien vor grünen Bäumen und blickt in die Kamera.
© Quelle: privat
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