Europäischer Gerichtshof

Mehr Geld für deutsche Beamte?

28.11.2013
Darf sich die Beamtenbesoldung in Deutschland nach dem Lebensalter richten? Darüber muss der Europäische Gerichtshof entscheiden. Der Staatsrechtler Ulrich Battis vermutet, dass das Urteil für die Beamten "überwiegend positive Folgen" haben wird.
André Hatting: Mal angenommen, Sie arbeiten in Ihrem Betrieb, sagen wir mal, seit zehn Jahren. Jetzt stellt Ihr Chef jemanden neu ein. Der hat viel weniger Berufserfahrung als Sie, ist auch nicht höher qualifiziert, bekommt aber trotzdem mehr Geld – und zwar, weil er älter ist. Klingt komisch, ist aber so: bei den deutschen Beamten. Zwar wurde diese Praxis vor zwei Jahren korrigiert, weil der Europäische Gerichtshof das für ungerecht befunden hat, aber das gilt nicht für diejenigen, die schon vor 2011 im Staatsdienst gewesen sind. Vielleicht fragen Sie sich jetzt: Was hat dieser spezielle Fall mit mir zu tun? Ich bin ja gar kein Beamter. Ganz einfach: Wenn die Gutachter des Europäischen Gerichtshofs heute befinden, ja, auch diese Sonderregelung für Bestandsbeamte, die geht nicht, dann kostet das den Staat, also uns alle, mindestens 3,6 Milliarden Euro. Zum Vergleich: Das ist doppelt so viel wie der Etat des Bundesumweltministeriums. Dann müsste man vielleicht doch die eine oder andere im Koalitionsvertrag geplante Ausgabe noch mal nachrechnen. Am Telefon ist jetzt der Staatsrechtsprofessor Ulrich Battis. Guten Morgen!
Ulrich Battis: Guten Morgen, Herr Hatting!
Hatting: Wie ist Ihre Einschätzung: Wird der Europäische Gerichtshof auch diese Übergangsregelung kippen?
Battis: Nun, sicher kann man das nie voraussagen, aber es spricht eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür, und zwar hat ja der Generalanwalt entsprechend plädiert, und in ungefähr 80 Prozent aller Fälle entscheidet der Gerichtshof, wie der Generalanwalt beantragt hat.
Hatting: Welche Folgen hätte das für die 1,6 Millionen Beamte in Deutschland?
Battis: Nun, für die hätte das überwiegend positive Folgen, weil sie dann doch besser bezahlt werden als das bisher der Fall ist, und ich meine, wenn ich eine Bemerkung machen darf: Das betrifft natürlich im Moment nur Beamte, aber der Umstand, dass jemand, der länger in einer Firma ist, mehr Geld bekommt, ist nicht so ganz ungewöhnlich, auch in der Wirtschaft. Man nennt das dann spöttisch zwar Verkalkungsprämie, aber die gibt es.
Hatting: Das bezieht sich aber auf die Zugehörigkeit zu einem Betrieb, das wäre ja der Normalfall, aber hier geht es darum, dass jemand bei der Einstellung älter ist als ein anderer, der länger im Betrieb war.
Battis: Ja, aber es ist so, dass in der Vergangenheit immer schon im öffentlichen Dienst die Zeit, das Zeitmoment eine Rolle spielte. Ich halte das für verfassungswidrig, weil es müsste abgestellt werden auf die Leistung. Und das ist genau der Standpunkt jetzt des Europäischen … wird der Standpunkt des Europäischen Gerichtshofs sein, ist der Standpunkt des Generalanwaltes, dass mehr auf Leistung abgestellt wird und weniger auf das Zeitmoment.
Hatting: Aha, das geht also noch darüber hinaus, weil die EU keinen Unterschied macht zwischen Angestellten und Beamten?
Battis: Ja, so ist es.
Hatting: Bund und Länder in Deutschland haben sich schon darauf geeinigt: Es wird nichts nachgezahlt. Alle Anträge würden abgelehnt. Aber dürfen die das überhaupt, wenn die Kläger recht bekommen?
Battis: Nun, das wird sich zeigen, ob nun alles abgelehnt wird oder ob ein Teil abgelehnt wird. Auf jeden Fall kann das für die Zukunft ganz … Man muss unterscheiden zwischen was nachgezahlt wird und was künftig anders gezahlt wird, und das Künftige können sie sicherlich nicht ablehnen, für die Vergangenheit, da kommt es doch darauf an, wer geklagt hat und wer nicht.
Höchstbesoldung als Entschädigung "halte ich für überzogen"
Hatting: Sind da auch Strafzahlungen zu befürchten?
Battis: Nein. Also gut, Strafzahlungen, wenn Deutschland sich nicht kümmern würde, aber das stellt sich ja im Moment gar nicht, die Frage. Wenn die nun sagen würden, interessiert uns nicht, dieses Urteil – aber das macht keine deutsche Landesregierung. Die betrifft es ja auch in erster Linie, weil die meisten Beamten sind ja bei den Ländern, und nicht beim Bund.
Hatting: Die Anwälte der klagenden Beamten fordern sogar für die Zeit dieser Altersdiskriminierung eine Höchstbesoldung als Entschädigung. Ist das realistisch?
Battis: Nun, das ist eine alte Forderung, die halte ich für überzogen.
Hatting: Warum hat man eigentlich nach dem ersten Urteil 2011 nicht gleich Nägel mit Köpfen gemacht, warum diese Übergangslösung?
Battis: Nun, man trennt sich eben ungern von bestehenden Regelungen, insbesondere, wenn sie für den Staat günstiger sind. Es kostet zusätzliches Geld und in den öffentlichen Dienst mehr Geld zu stecken ist unpopulär und man spielt auf Zeit, und das ist ein, wie ich meine, kurzsichtiges Verhalten. Ich habe seinerzeit schon gesagt: Das wird wahrscheinlich danebengehen. So kommt es jetzt, ja.
Hatting: Dann wäre es vielleicht dann doch sicherlich am Ende kostengünstiger gewesen, schon von Anfang an diese Regelung in toto umzusetzen?
Battis: Ja, mit Sicherheit.
Hatting: Der EuGH kann, muss aber nicht, diese enormen finanziellen Folgen für die Beklagten, also Länder und Bund in Deutschland, berücksichtigen. Was meinen Sie, wird er das tun?
Battis: Nein, das ist ja das Problem: Das Bundesverfassungsgericht – da haben wir eine Rechtsprechung, die sehr stark abstellt auch auf die Folgen und wo dann eben gesagt wird, das gilt dann nur für die Zukunft, und mit deutlicher Folgenberücksichtigung. Vor zwei, drei Jahren hat das Bundesfinanzministerium eine internationale Beratergruppe einberufen und hat dann einen Vorschlag entwickeln lassen von denen, dass diese Folgenberücksichtigung auch – und zwar die finanziellen Folgen –, dass die auch beim EuGH berücksichtigt werden. Bisher hat sich der EuGH daran nicht … sich nicht damit anfreunden können.
Bezahlung nach Alter hat in Europa eine lange Tradition, meint Battis
Hatting: Woher kommt es eigentlich, dass in Deutschland – im öffentlichen Dienst und eben bei den Beamten – dieser Zeitfaktor so eine Rolle spielt?
Battis: Ich würde Ihnen da jetzt sogar widersprechen. Das ist nicht nur bei den Beamten so, das ist das traditionelle Denken in Deutschland: Je länger jemand bei einer Firma ist, umso mehr Erfahrung hat der, umso besser ist er vernetzt, und er ist eben schon länger dabei, und deshalb kriegt er mehr. Das ist ein Denken, das eine große Tradition in Deutschland und im Übrigen auch in Europa insgesamt hatte. Das hat sich nur im öffentlichen Dienst länger gehalten. Und man hat es dann ja auch umgestellt: Man hat dann plötzlich das reine Auf-das-Alter-Abstellen hat man abgeschafft und nennt das Ganze jetzt "Erfahrungsstufen". Ich habe immer gesagt, das ist nichts anderes als ein Etikettenschwindel. Statt Altersstufen werden Erfahrungsstufen eingeführt. Das ist in der Sache dasselbe.
Hatting: Sie haben gesagt, nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa habe das eine lange Tradition.
Battis: Ja.
Hatting: Ist denn Deutschland jetzt das letzte Land, das da nachbessert, oder gibt es noch andere Fälle?
Battis: Also es gibt in Europa inzwischen einen großen Wechsel. Das liegt einfach daran, weil der EuGH auch die Beamten als Arbeitnehmer betrachtet, wie alle anderen auch. Der Hintergrund ist ja diese Antidiskriminierungs-Rechtsprechung, die wir ja in ganz vielen Bereichen haben, auch etwa im Verhältnis Frauen und Männer spielt es ja auch eine Riesen-Rolle. Und im Moment werden in ganz Europa diese Systeme durcheinandergewirbelt, etwa das deutsche Urlaubsrecht jetzt auch, im Arbeitsrecht, das deutsche Urlaubsrecht, dass Jüngere weniger Urlaub bekommen als Ältere – das ist alles hinfällig und es wird umgestellt oder ist umgestellt worden.
Hatting: Deutsche Beamte klagen gegen Altersdiskriminierung, zu den möglichen Folgen war das ein Gespräch mit dem Staatsrechtler Ulrich Battis. Ich bedanke mich, Herr Battis!
Battis: Herzlichen Dank!
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