Europäische Union

Juncker und das Demokratiedefizit

Der britische Premierminister David Cameron wendet Jean-Claude Juncker während einer Sitzung des Europäischen Rats den Rücken zu.
Die EU-Regierungschefs haben dem Veto des britischen Premierministers David Cameron gegen Jean-Claude Juncker nicht nachgegeben. © picture alliance / dpa / Olivier Hoslet
Von Alois Berger · 28.06.2014
Bei der Besetzung der Spitze der EU-Kommission geht es längst nicht mehr um die Person Jean Claude Junckers. Es geht um die Frage, welche Demokratie wir in der Europäischen Union wollen, kommentiert Alois Berger.
Diese Entscheidung für Juncker ist ein Meilenstein für die Europäische Union. Nicht, dass Jean Claude Juncker die Idealbesetzung für den Posten des EU-Kommissionspräsidenten wäre. Da gibt es durchaus berechtigte Bedenken.
Doch um Juncker geht es schon lange nicht mehr. Es geht um die Frage, welche Demokratie wir in der Europäischen Union wollen. Eine parlamentarische Demokratie, mit einem Parlament, das bei der Besetzung der europäischen Spitzenposten mitredet – oder eine sehr indirekte Form von Demokratie, bei der wir unsere nationalen Parlamente wählen, die dann die nationalen Regierungen wählen, die dann in Brüssel hinter verschlossenen Türen alle wichtigen Entscheidungen auskaspern.
Maschine mit Eigenleben
So hat Europa lange Zeit funktioniert. Aber dieses Europa ist an seine Grenzen gekommen. Immer mehr Menschen haben das Gefühl, dass diese Europäische Union längst ein Eigenleben entwickelt hat, eine Maschine geworden ist, die in Brüssel immer neue Gesetze schmiedet, eine Maschine, auf die man keinen Einfluss mehr hat.
Mag sein, dass viele Europäer bei den letzten Europawahlen gar nicht mitbekommen haben, dass sie bei dieser Wahl auch über den Kommissionspräsidenten abgestimmt haben. In vielen Ländern wurde der Wahlkampf zwischen dem Sozialdemokraten Martin Schulz und dem Konservativen Jean-Claude Juncker schlicht nicht wahrgenommen Aber so war das immer, bei fast allen europäischen Entwicklungen. Die Leute glauben erst mal nicht dran, bekommen es nicht immer mit. Erst beim zweiten Mal wissen alle, worum es geht. Und beim dritten mal kann sich keiner mehr vorstellen, dass es mal anders war.
Doch in Deutschland und einigen anderen Ländern gingen die Wähler schon diesmal davon aus, dass sie über die künftige Kommissionsspitze abstimmen. Hätten die Regierungschef gestern dem britischen Einspruch gegen Juncker nachgegeben und einen anderen Kandidaten aus dem Hut gezaubert, dann hätten sie die europäischen Wahlen für alle Zeiten lächerlich gemacht.
Traditionelles Veto aus London
Dass in Großbritannien jetzt die Diskussion um einen Austritt aus der Europäischen Union so richtig hochkochen wird, ist beunruhigend, aber im Kern seit langem überfällig. Die Europäische Union braucht Großbritannien. Aber die Europäische Union kann nur ein Großbritannien brauchen, das sein Verhältnis zur EU endlich geklärt hat. Wer einem Klub angehört, muss ertragen können, überstimmt zu werden. Seit 20 Jahren hat London bei fast jeder wichtigen Personalie in Brüssel sein Veto eingelegt. Um den großen Konflikt zu vermeiden, haben die anderen Regierungen immer wieder nachgegeben. Die Kommissionspräsidenten Santer, Prodi, Barroso waren allesamt Ersatzkandidaten, die zum Zug kamen, weil London sich vorher quergestellt hatte. Keiner dieser Ersatzkandidaten hat Europa gut getan.
Der britische Premierminister David Cameron warnte zudem davor, dem Europaparlament mehr Macht zu geben. In Zeiten, in denen die Europäische Union vielen Menschen bereits zu stark sei, müsse man den Einfluss der nationalen Regierungen auf die europäische Kommission stärken, nicht schwächen. Ein Argument, das übrigens auch in deutschen Kommentaren derzeit Konjunktur hat. Falsch ist es trotzdem.
Demokratische Zuständigkeiten für Europa
Wie stark die Europäische Union in unseren Alltag hineinwirkt, das ist eine Frage der Kompetenzen, eine Frage, wofür Europa zuständig ist und wofür nicht. Daran hat sich mit der Ernennung Junckers nichts geändert. Mit der stärkeren Berücksichtigung des Europaparlaments bei der Besetzung der Kommissionsspitze bekommt die EU keine einzige neue Zuständigkeit. Es geht vielmehr darum, dass die Zuständigkeiten, die Europa bereits hat, endlich demokratisch ausgefüllt werden.
Genau so funktioniert Föderalismus: Was auf der Ebene der Bundesländer passiert, wird von den Landtagen kontrolliert. Was auf Bundesebene geschieht wird, vom Bundestag kontrolliert, und wofür Brüssel zuständig ist, das muss vom Europaparlament kontrolliert werden. Und um nichts anderes ging es gestern: um einen weiteren Schritt bei der Beseitigung des Demokratiedefizits. Wie wichtig dieser Schritt ist, werden wir erst bei den nächsten Europawahlen richtig merken.
Die Entscheidung der Regierungschefs war ein Meilenstein auf dem Weg in die richtige Richtung.
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