Europäische Sicherheitspolitik

Gemeinsam wären sie stark

Moderation: Korbinian Frenzel · 19.12.2013
Der ehemalige Präsident des Europaparlament, Hans-Gert Pöttering (CDU), sieht bei drängenden Problemen in der Außenpolitik alle europäischen Staaten in der Verantwortung. So dürfe man Frankreich im Fall der Zentralafrikanischen Republik nicht allein lassen. Auch Deutschland müsse hier seinen Beitrag leisten.
Korbinian Frenzel: Wir sind jetzt bei einem Thema, das bestens geeignet ist für Sonntagsreden: Europa, mehr Europa, ein Europa, das in der Welt mit einer Stimme spricht. Heute ist aber nicht Sonntag, sondern Donnerstag, und die, die über das Thema so gerne sonntags reden und die Woche dann über vielleicht gar nicht allzu viel tun, dass es so kommt, die treffen sich heute und morgen in Brüssel – die Staats- und Regierungschefs der 28 EU-Staaten. Thema ist dann nämliches, wie Europa seine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik stärken kann.
Einer, der bei diesen Runden vor noch nicht allzu langer Zeit regelmäßig dabei war als Präsident des Europäischen Parlaments und der sowohl donnerstags als auch sonntags über Europa sprechen kann, ist jetzt am Telefon: Hans-Gerd Pöttering, der Vorsitzende der Konrad-Adenauer-Stiftung. Guten Morgen!
Hans-Gerd Pöttering: Guten Morgen, Herr Frenzel!
Frenzel: Wir sind ja alle gebrannte Kinder durch den Euro, deswegen erlauben Sie mir mal vorweg die Frage, die wir vielleicht häufiger stellen sollten, wenn es um die EU geht: Brauchen wir so etwas wie eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik überhaupt?
Pöttering: Ja, aber selbstverständlich. Wir leben in einer Welt großer Herausforderungen, großer Gefährdungen. Wenn wir in den Süden schauen, ins Mittelmeer, in die Staaten Nordafrikas, dann sehen wir, wie es dort Unruhe gibt, wie es dort autoritäre Regime gibt, wie die Menschen einerseits in einer Demokratie, in Freiheit leben wollen, aber sie dieses nicht umsetzen können. Wir haben den Konflikt, diesen furchtbaren Bürgerkrieg in Syrien. Wir haben die Ereignisse in der Ukraine, die ja zeigen, dass die Menschen auch dort eine europäische Orientierung wollen, sie wollen nah bei uns sein – das zeigt die hohe Attraktivität im Übrigen der Europäischen Union und der Werte, die wir haben.
Und da müssen wir als Europäer in der Europäischen Union eine gemeinsame Position haben, was diese Herausforderungen angeht, und deswegen ist es richtig, dass sich der Gipfel heute und morgen auch mit den großen Fragen der Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik befassen wird.
Frenzel: Aber dann nehme ich gerne mal ein Beispiel, das Sie gerade genannt haben, die Ukraine, die beschäftigt uns ja gerade in erster Linie, und da muss ich sagen: Da macht die EU nicht gerade ein gutes Bild als gemeinsamer Akteur, oder?
Proeuropäische Demonstranten auf einer Barrikade auf dem Unabhängigkeitsplatz in Kiew am 14. Dezember 2013.
Proeuropäische Demonstranten auf einer Barrikade auf dem Unabhängigkeitsplatz in Kiew am 14. Dezember 2013.© EPA/SERGEY DOLZHENKO
Pöttering: Ich habe da eine andere Meinung. Zunächst einmal muss man großen Respekt, große Achtung haben vor den Hunderttausenden, ja, Millionen Menschen, die in Kiew auf die Straße gehen und dafür eintreten, friedlich eintreten, unter Führung von Vitali Klitschko, dass sie sich der Europäischen Union annähern wollen, dass sie der Europäischen Union nah sein wollen. Und das zeigt doch, dass unsere Werte der Europäischen Union – die Würde des Menschen, die Demokratie, die Freiheit, die Rechtsordnung –, dass dieses eine hohe Attraktivität ausübt auf Menschen außerhalb der Europäischen Union.
Frenzel: Herr Pöttering, die Attraktivität sehe ich auf jeden Fall, keine Frage. Wenn ich nur mir angucke, wie Brüssel auftritt, nämlich so, dass dann ein Präsident Janukowitsch am Ende sagt, dann gehe ich doch lieber Richtung Moskau – das zeigt doch, dass das nicht besonders effizient läuft, wie wir gemeinsam Außenpolitik machen, oder?
Pöttering: Wir können, Herr Frenzel, als Europäische Union natürlich nichts erzwingen, aber wir können darauf bestehen und müssen darauf bestehen – und das tut die Europäische Union, das tun die Staats- und Regierungschefs, das tun die europäischen Institutionen –, dass die Menschen in der Ukraine das Recht haben, selber darüber zu entscheiden, welchen Weg ihr Land, die Ukraine, nimmt. Und dabei unterstützen wir Vitali Klitschko und all diejenigen, die mit ihm für Demokratie, für Freiheit, für Rechtsordnung auf die Straße gehen.
Und wenn Präsident Janukowitsch kurz vor zwölf seine Unterschrift verweigert und das Assoziationsabkommen, also ein Abkommen, das die Ukraine in der Nähe der Europäischen Union bringt, dann ist das ein schwerwiegender Vorgang und wir können nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. Und hier sind wir als Europäische Union geschlossen, indem wir die Menschen in der Ukraine unterstützen.
Frenzel: Schauen wir mal auf die Tagesordnung heute und morgen in Brüssel beim Gipfel der Staats- und Regierungschefs. Wenn ich das mal, ja, etwas kritisch übersetze, dann klingt das nach der typischen EU-Soße, entschuldigen Sie den Ausdruck, aber da wird wieder was rübergegossen, was schön klingt: Wir wollen, wir möchten mehr Kooperation, mehr Absprachen, pooling und sharing – aber ein großer gemeinsamer Wurf sieht doch anders aus, oder?
Langsamer Prozess, aber auf demokratischer Grundlage
Pöttering: Ich denke, dass wir alles in allem auf einem guten Wege sind. Natürlich gibt es große Herausforderungen in der Europäischen Union und außerhalb der Europäischen Union. Aber wenn ich mir andere Weltregionen anschaue, ob wir China nehmen oder Afrika oder Russland oder selbst in den USA – dort dauert es auch, bis man zu Entscheidungen kommt, und vor allen Dingen: In anderen Regionen der Welt handelt man nicht auf der Grundlage von Freiheit, von Rechtsordnung, und das ist das, was wir als hohen Wert in der Europäischen Union haben.
Und früher hat man sich mit Gewalt auseinandergesetzt in Europa, auch zwischen den europäischen Staaten – heute diskutieren wir über die Dinge. Das braucht Zeit, aber am Ende kommt man zu gemeinsamen Schlussfolgerungen.
Und wenn man beispielsweise sieht, dass die Bundeskanzlerin Angela Merkel gestern ihre erste Regierungserklärung abgegeben hat zum Thema Europa, dann zeigt es auch, dass Innenpolitik und Europapolitik gar nicht mehr voneinander zu trennen sind, und wir werden nur auch als Deutsche eine Chance haben, in der Zukunft wirtschaftlich, politisch stark zu sein, wenn wir eine starke europäische Union haben. Und in diese Richtung muss unsere Politik gehen, und alles in allem geht sie auch in diese Richtung, bei allen Herausforderungen, die ich nicht kleinreden möchte.

Rebellen in der Zentralafrikanischen Republik
Rebellen in der Zentralafrikanischen Republik© dpa / picture alliance / Christophe Simon
Frenzel: Von Europa sprechen ist das eine, Angela Merkel hat das in der Tat gestern getan, für Europa etwas tun ist ja dann noch mal etwas anderes. Nehmen wir einmal einen ganz konkreten Krisenfall in Afrika, die Zentralafrikanische Republik. Da sagt jetzt Frankeich, bitte helft uns dabei und sei es nur finanziell – und aus Berlin hört man da eigentlich nichts. Sind Sie denn wirklich zufrieden mit Angela Merkel als Europäerin?
Pöttering: Also ich denke, dass wir eine gemeinsame Verantwortung haben, auch für das, was in Afrika vorgeht, was in der zentralafrikanischen Region sich entwickelt, was in Mali der Fall war vor einigen Wochen: Hier haben wir eine gemeinsame europäische Aufgabe. Wir können es auch nicht alleine den Franzosen überlassen. Und deswegen ist es wichtig, dass wir zu gemeinsamen Lösungen kommen, und da sollten alle beteiligt sein, die dieses wollen.
Wenn es nicht alle 28 Länder der Europäischen Union sind – das ist erfahrungsgemäß oft nicht der Fall, dass alle in die gleiche Richtung gehen –, dann sollten aber diejenigen, die dort ein Problem sehen, das die Europäer handeln müssen in der Zentralafrikanischen Republik, in Mali, in anderen Staaten, die sollten gemeinsam handeln, und wir sollten die Franzosen dabei nicht allein lassen. Hier müssen alle ihren Beitrag leisten, auch wir als Deutsche.
Frenzel: Aber es klingt schon nach Kakophonie, die Sie da beschreiben auch weiterhin als die Möglichkeit, europäische Außenpolitik zu machen. Sie sagen, wenn die, die sich darauf einigen, dann voranschreiten, dann ist das schon gut. Eine gemeinsame europäische Politik aus Brüssel ist das nicht, oder?
Pöttering: Also wir haben ja heute schon das Instrumentarium im Vertrag von Lissabon, dass einige Länder, wenn sie zu dieser politischen Schlussfolgerung kommen, außen-, sicherheits- und verteidigungspolitisch handeln können, gemeinsam handeln können. Man braucht dazu nicht alle 28. Wenn alle 28 mitmachen – um so besser. Aber das Instrumentarium, die rechtlichen Möglichkeiten sind schon heute da, dass einige sich zusammentun.
Und das ist jetzt etwas, was wir brauchen: Dass wir einen ganzheitlichen Ansatz haben unserer Politik, dass wir einmal den Menschen in den Ländern wie Zentralafrikanische Republik helfen, entwicklungspolitisch helfen, dass wir sie aber auch in die Lage versetzen, sich selber verteidigen zu können, wenn sie angegriffen werden, und dass wir selber auch als Europäer die Verteidigungsmittel haben, um notfalls – als letztes Mittel – eingreifen zu können.
Und da fehlt es eben noch an dem politischen Willen, und dieses dürfen wir dann nicht einem Land, wie Frankreich, alleine überlassen, sondern hier sollten alle ihren Beitrag leisten, einschließlich der Bundesrepublik Deutschland.
Frenzel: Hans-Gerd Pöttering, lange Jahre für die CDU in Brüssel und Straßburg, heute Vorsitzender der Konrad-Adenauer-Stiftung. Ich danke Ihnen für das Gespräch!
Pöttering: Ich danke Ihnen, Herr Frenzel!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.