Sicherheit in Europa

Meinung: Warum wir eine gemeinsame Armee brauchen

04:30 Minuten
Soldaten während des Aufstellungsappells, man sieht nur die Stiefel
Allein ökonomisch würde sich ein Zusammenwachsen als europäische Armee bezahlt machen, findet Publizistin Nora Bossong. Deutschland und Frankreich dürften dabei aber keinen Alleingang starten. © picture alliance / Noah Wedel / Noah Wedel
Von Nora Bossong · 18.03.2024
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Das Thema Sicherheit in Europa hat an Bedeutung gewonnen. Die Schriftstellerin Nora Bossong meint, es sei Zeit für eine gemeinsame Armee der EU - auch wenn die Mitgliedstaaten dann einen Teil ihrer nationalen Souveränität aufgeben müssten.
27 kleine Einzelarmeen, deren Gerät nur bedingt kompatibel ist – das wirkt ohne die schützende Hand der USA wie ein Flohzirkus, der vor dem russischen Bären tanzt. So aber sieht Europas Militärarchitektur aktuell aus. Höchste Zeit, in der Sicherheitspolitik so eng zusammenzurücken, wie es der aktuellen Bedrohungslage entspricht. Eine europäische Armee ist nötiger denn je.
Denn Russland rückt immer weiter in die Mitte Europas vor, wie jüngst der Taurus-Abhörskandal zeigte. Desinformationskampagnen beeinflussen die Europawahlen, der Cyberkrieg ist auch in Deutschland längst im Gange, und Spionage wird mittlerweile nicht einmal mehr kaschiert, sondern als Trumpf im Machtpoker verwendet. Klares Signal: Russland hört mit. 

Sicherheitsinteresse der USA verlagert sich

Gleichzeitig verlagert sich das Sicherheitsinteresse unseres wichtigsten NATO-Bündnispartners USA von Europa weg Richtung Indopazifik. Würde Donald Trump erneut zum Präsidenten gewählt werden, bedeutete dies eine weitere Destabilisierung der NATO-Verlässlichkeit. Bereits verbal hat er den Artikel 5 des NATO-Vertrags, also die Beistandspflicht, attackiert. Es wirkt wie eine Einladung an Russland: Die kleinen östlichen Mitgliedstaaten stünden dann zum Einverleiben in das postsowjetische Imperialreich frei zur Verfügung.
Allein ökonomisch würde sich ein Zusammenwachsen bezahlt machen. Derzeit wird viel für doppelte Forschung und parallele technologische Entwicklungen verwendet oder besser gesagt: verschwendet. Bei gemeinsamen Rüstungsentwicklungen könnte mit dem gleichen Geld mehr auf die Beine gestellt oder umgekehrt die gleiche Schlagkraft mit weniger Ausgaben erzielt werden. 

EU-Armee wäre für die USA ein attraktiver Partner

Natürlich wäre das keine Abkehr von der transatlantischen Bindung, im Gegenteil. Eine starke Armee, die mehr ist als die Summe ihrer bisherigen Teile, wäre auch für die USA ein attraktiverer Bündnispartner. Bleibt der europäische Flickenteppich in seiner jetzigen mäßigen Stärke, werden sich die USA mittelfristig nach anderen Partnern umsehen. Es ist also im doppelten Interesse, dass Europa die eigenen Sicherheitsinteressen zwar nicht ohne die USA, aber mit geringerer US-amerikanischer Unterstützung verteidigen kann.
Natürlich, die militärische Sprache und Kultur der einzelnen Mitgliedstaaten sind sehr unterschiedlich und scheinen manchmal schwer vereinbar. Unterschiede sind vor dem Hintergrund der europäischen Geschichte verständlich und auch sinnvoll. In Deutschland wird anders diskutiert als in Polen oder Litauen, und die deutsche Parlamentsarmee hat einen stärker kontrollierten Weisungsrahmen als beispielsweise das französische Militär. Doch gerade vor dem geschichtlichen Hintergrund wäre eine Bindung der militärischen Kräfte in eine gemeinsame Streitkraft konsequent.

Noch mag niemand den ersten Schritt gehen

Wichtig ist, dass Deutschland und Frankreich keinen Alleingang starten, sondern kleinere Länder mitnehmen, die sich sonst leicht übergangen fühlen. Ein Alleingang ist allerdings schon deshalb unwahrscheinlich, weil es mit der Kommunikation zwischen Paris und Berlin gerade in militärischen Fragen momentan nicht zum Besten steht. Ein Grund mehr für eine stärkere transnationale Sicherheitsarchitektur.
Doch so ganz mag noch niemand den ersten Schritt gehen. Denn der bedeutet: die nationale Souveränität aufgeben und sich von anderen in die Karten schauen lassen – sowohl in militärischer wie nachrichtendienstlicher als auch in technologischer und wirtschaftlicher Hinsicht. Das wird nötig sein, wenn es zu einer intensiveren militärischen Zusammenarbeit und schließlich zu einer europäischen Armee kommt. Am Ende werden alle davon profitieren. Bleibt also nur die Frage: Wer macht sich als erster nackig?

Nora Bossong veröffentlichte Romane, Gedichtbände und Essays, für die sie vielfach ausgezeichnet, u. a. mit dem Thomas-Mann-Preis und dem Joseph-Breitbach-Preis. Zuletzt erschienen der Roman „Schutzzone" über die Vereinten Nationen und das politische Generationenporträt „Die Geschmeidigen". In Kolumnen und Reportagen beleuchtet sie gesellschaftspolitische Fragen und engagiert sich im ZdK und im FCAS-Forum. Im Herbst 2024 erscheint ihr neuer Roman „Reichskanzlerplatz" im Suhrkamp Verlag.

Publizistin Nora Bossong steht mit verschränkten Armen vor einem Regal.
© Brost-Stiftung
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