Europäische Kulturhauptstadt 2015

Bauen am neuen Mons

Eine eingestürzte Installation in Mons
Unfall vor der Eröffnung des Kulturhaupstadtjahres: Die Installation "The Passenger" von Arne Quinze brach Ende Dezember teilweise zusammen. © picture alliance / dpa
Von Annette Riedel · 31.12.2014
Neben Pilsen in Tschechien ist die belgische Stadt Mons Europäische Kulturhauptstadt 2015. Sie war lange vom Kohleabbau abhängig. Jetzt sollen ihr Tourismus und Kultur ein neues Gesicht verleihen.
Der neue Bahnhof von Mons, nach den Plänen des weltbekannten Architekten Santiago Calatravo, ist nicht, wie geplant, fertig. Es wird es wohl erst 2017. Jetzt, im Dezember 2014, gibt es von ihm noch keine Spur. Der Bahnhof von Mons besteht momentan aus einer Reihe von Containern.
Aber auf der anderen Seite der Gleisanlagen nimmt immerhin das neue Kongress-Zentrum von Daniel Libeskind, der wie Caltrava gleichzeitig am Ground Zero in New York baut, Gestalt an. In Form eines Schiffrumpfes.
Vieles ist noch Baustelle in Mons. An innovativen Ideen, an Enthusiasmus fehlt es nicht. Es gibt auch schon etwas zu sehen.
"The Passenger" soll Menschen miteinander ins Gespräch bringen
Die 16 Meter hohe und 85 Meter lange urbane Installation aus Holzbrettern von Arne Quinze stand bereits im Dezember. Extra für Mons wurde sie von dem 43-jährigen flämischen Künstler geschaffen, der seine Kunstwerke überall in der Welt aufstellt. Zwischen Marktplatz, Kirche und Justizpalast schlängelt sich im Zentrum von Mons der Bretterwald auf Stelzen in zwei großen Wellen durch die Rue de Nimy. Besser: über der Rue de Nimy. Das Gebilde hat etwas von einem Drachen. Die meisten Bretter sind naturbelassen, einige leuchtend rot, andere schwarz, manche weiß gestrichen.
Arne Quinze: "Das Naturholz repräsentiert die Bürger von Mons. Rot steht für ganz widersprüchliche Dinge – es kann in der Natur abstoßen oder anziehen. Im Zusammenhang mit der Justiz kann sie ganz Unterschiedliches bedeuten. Da meine Installation auch an einem Gotteshaus vorbeigeht, habe ich Schwarz und Weiß im Zusammenhang mit der Kirche als Symbol für Tod und Geburt gewählt."
Der Künstler will die Kunst gezielt auf die Straße bringen – weg von den geschlossenen Räumen der Museen, die vielleicht ein Prozent der Menschen erreichen. Ihm geht es um die übrigen 99 Prozent, sagt Arne Quinze. Und er möchte sie durch seine Kunst miteinander ins Gespräch bringen.
"Wir haben heute X Facebook-Freunde und kennen unsere Nachbarn nicht mehr. Früher dienten die Märkte, für Kontakte und Informationsaustausch. Meine organische Installation soll die Menschen dazu bringen, langsamer zu werden, nach oben zu schauen, ins Gespräch zu kommen über mein Werk – ganz egal ob es ihnen gefällt oder nicht."
"The Passenger", der Reisende hat Arne Quinze sein Werk genannt. Es wird nicht ewig bleiben – deshalb der Name. Aber über 2015 hinaus schon. Insgesamt fünf Jahre lang.
Veränderungen über 2015 hinaus
"Das Konzept für eine Kulturhauptstadt muss sich zu allererst aus ihren Wurzeln speisen. Mons selbst war keine Arbeiterstadt, eher eine der Ingenieure, der Notare, der Angestellten, die buchstäblich auf die Bergbauarbeiter der Umgebung herabsahen. Und doch lebte die ganze Gesellschaft vom Bergbau.“
Yves Vasseur, Intendant von Mons 2015. Vier Jahre lang hat der ehemalige Journalist an dem Programm gearbeitet.
Mit dem Ende des Kohlezeitalters begann auch der wirtschaftliche Abstieg von Mons. Das Jahr als Kulturhauptstadt Europas, mit den Investitionen davor, den Besuchern, die auch nach 2015 kommen oder wiederkommen sollen, will sich Mons nicht mehr und nicht weniger als neu erfinden, sagt Yves Vasseur.
"Irgendwann muss die Politik entscheiden, wir müssen den Umstieg schaffen – durch Tourismus, durch Kultur, durch neue Technologien. Wir bieten eine neue Stadt an. Eine Metamorphose der Infrastruktur und des Esprits. Das ist ein echtes Abendteuer, das nicht 2015 endet."

Allein vier Baudenkmäler, die Welt-Kulturerbe sind, gibt es in Mons und um Mons herum. Und hunderte Kohlegruben. In der Umgebung von Mons, im Borinage, begann die industrielle Revolution auf dem europäischen Festland. Die Kohle lag teilweise buchstäblich auf den Feldern.
Van Gogh lebte nahe Mons
Eine der bekanntesten und größten Zechen war die Marcasse im Borinage, in der Nähe des Ortes Petit-Wasmes bei Mons. Vincent Van Gogh hat hier gelebt, als er noch Pfarrer war. Hier beschloss er Maler zu werden. Er hat die Zeche selbst einmal besucht. Zwischen den zerfallenden Ruinen, imposanten Beispielen industrieller Backstein-Architektur, grasen heute Pferde des privaten Besitzers.
Filip Depuydt hat sich ganz und gar der Geschichte der zwei Jahre verschrieben, die Van Gogh Ende der 70er-Jahre des 18. Jahrhunderts hier lebte. Er kennt gewissermaßen jedes Haus, in das Van Gogh in und um Mons herum jemals einen Fuß gesetzt hat.
Nicht zuletzt um Orte wie die Zeche Marcasse vor dem Verfall zu retten, setzt sich Filip Bepuydt engagiert dafür ein, das Thema Van Gogh für die Region 2015 zu vermarkten: Van Gogh-Wochenende in der Zeche Marcasse, Van Gogh-Pralinen, Van Gogh-Bier – trotz aller Anstrengungen fürchten mit Filip Depuydt viele, dass der Aufschwung den Mons mit dem Status Europäische Kulturhauptstadt 2015 erhofft, in der Region ohnehin nicht ankommt.
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