"Europa wäre jetzt dran oder 2022"

Klaus Blume im Gespräch mit Katrin Heise |
Die Münchener könnten bei der Bewerbung als Olympiastandort 2018 nicht darauf setzen, "dass Europa als ein monolither Block sie wählen würde", sagt der Sportjournalist Klaus Blume. "Europa wäre jetzt dran oder 2022" und es gebe Stimmbündelungen zugunsten von St. Moritz im Jahr 2022.
Katrin Heise: Im südafrikanischen Durban sitzt die IOC-Vollversammlung zusammen und berät über den Austragungsort der Winterspiele 2018. In diesen Minuten hat das deutsche Team die letzte Gelegenheit, für München die Werbetrommel zu rühren. Um diese Kandidatur gab es ja im Vorfeld eine ganze Menge Wirbel – Umweltzerstörung, unsinnige Infrastruktur wurde ins Feld geführt, Landbesitzer in Garmisch-Patenkirchen, wo Teile der Spiele stattfinden sollen, versuchten im Schulterschluss mit den bayrischen Grünen mit einem Volksbegehren die Bewerbung zu verhindern, was ihnen allerdings Anfang Mai nicht gelungen ist. Allerdings: Ein positives Licht werfen solche Querelen natürlich nicht auf den Möchtegern-Austragungsort. Doppel-Olympiasiegerin und zehnmalige Biathlon-Weltmeisterin Magdalena Neuner ist trotzdem guter Dinge, dass die Olympischen Winterspiele 2018 in München ausgetragen werden, aber man hört eben auch ganz andere Stimmen, die klar Südkorea im Vorteil sehen. Ich begrüße jetzt Klaus Blume, Sportjournalist seines Zeichens. Schönen guten Tag, Herr Blume!

Klaus Blume: Schönen guten Tag, Frau Heise!

Heise: Sie gehören zur Fraktion, die Pyeongchang als Favoriten sieht?

Blume: Ich halte mich an die Zahlen der Ratingagenturen für Olympisches, und die sagen aus gestern Abend noch, 66,17 Prozent für Pyeongchang, 65,83 Prozent für München, 54,86 Prozent für Annecy, also ein reiner Zählkandidat, der ja auch vom IOC nur gebeten wurde, mit teilzunehmen, damit es nicht gar so dürre aussieht.

Heise: Stünde es eigentlich besser um die Chancen für München, hätte es die Querelen um Garmisch-Patenkirchen im Vorfeld nicht gegeben?

Blume: Dann stünde es mit Sicherheit besser, denn nach einer IOC-Geheimumfrage waren vor etwa drei, vier Tagen nur 61 Prozent aller Deutschen für Olympia in Bayern. Inzwischen ist die Richtung in den letzten Stunden auf 58 Prozent runtergegangen, und wir haben ja einen Bürgerentscheid 2 gehabt mit 50,59 Prozent in Bayern mit "nein", nur auf die Frage zu antworten, ja Olympia, oder nein Olympia. Und die Stadt Oberammergau oder der Marktort Oberammergau hat ja völlig abgelehnt, Biathlon austragen zum Beispiel, und so ging das dann rüber nach Garmisch-Patenkirchen.

Heise: Eignet sich denn Garmisch-Patenkirchen überhaupt als Austragungsort, bzw. muss München wirklich auf Garmisch-Patenkirchen als Austragungsort zurückgreifen, wo es da diese Querelen eben gibt?

Blume: Ja, es muss auf Garmisch-Patenkirchen deshalb zurückgreifen, weil es nur dort eine Abfahrtsstrecke gibt, die vom Internationalen Skiverband homologiert worden ist Weltcuprennen und für Weltmeisterschaften, sonst gibt es in den deutschen Alpen eben keine so lange Strecke, und den Kernpunkt Olympischer Winterspiele stellen ja immer noch die alpinen Skiwettbewerbe dar.

Heise: Die Kandahar-Strecke, die ist bereits vorhanden, aber die reicht da nicht aus?

Blume: Die reicht nicht aus. Alle anderen Sportstätten müssen zum Teil neu gebaut werden, denn das Eisstadion, das in Inzell entstanden ist jetzt für die Weltmeisterschaften im letzten Winter, wird nicht für Olympia zur Verfügung stehen, auch das neu entstandene Biathlonstadion in Ruhpolding gleich daneben nicht, sondern für die Weltmeisterschaften, die in diesem Winter 2012 folgen werden. Und die nordischen Wettkampfstrecken in Oberstdorf, die auch für eine Weltmeisterschaft und im letzten Winter auch für Weltcups innerhalb der Tour de Ski zur Verfügung standen, die gelten auch nicht. Das alles hat das Organisationskomitee verworfen, und das alles muss dann neu, zum Teil temporär entstehen.

Heise: Andererseits wirbt man ja gerade in München damit, dass man eben auf Bestehendes zurückgreift. Geben eigentlich die Erfahrungen vergangener Winterspiele den Gegnern in irgendeiner Hinsicht Rückenwind, oder haben die Spiele die jeweiligen Austragungsorte dann doch bereichert?

Blume: Die Austragungsorte sind zwar bereichert worden, aber es ist kein Nachhall vorhanden. Albertville beispielsweise hat das deutlich gezeigt, die haben also 24 Stunden nach Beendigung der Olympischen Winterspiele schon die Eisbahn, die temporär war, wieder abgerissen, auch einige Hotels, die nur als Bretterbuden, muss man sagen, da standen, wurden wieder zusammengelegt. Das hat es eben alles auch schon gegeben. Hinzu kommt jetzt, dass die meisten IOC-Mitglieder ja Wintersport nur vom Hörensagen kennen, das ist die große Schwierigkeit. Und viele IOC-Mitglieder wiederum wählen den Austragungsort, an dem ihre Ehefrauen am besten shoppen gehen können. Das sind so zwei Sachen in einem Momentum, das man nicht so sehr beeinflussen kann.

Heise: Da ist doch München aber gar nicht so schlecht.

Blume: Nein, dafür wäre München sehr gut, wenngleich auch Pyeongchang es auch ist, denn dort hat man versprochen, halb Seoul quasi nach Pyeongchang noch zu verlegen, dass selbst das südkoreanische Außenministerium überlegt, ob man nicht vielleicht während der Zeit der Olympischen Winterspiele, falls sie dort stattfinden sollten, den Außenminister mitsamt seinen Beamten dorthin versetzt, und ob man nicht auch die Kabinettssitzungen dann statt in Seoul in Pyeongchang austrägt.

Heise: Das heißt, da ist landesweit also bei dieser dritten Bewerbung – man tritt ja da zum dritten Mal an und war auch schon mal ganz gut dabei, war eigentlich als Favorit gehandelt und hat dann gegen Sotschi verloren –, also jetzt steht das ganze Land mit über 90 Prozent hinter dieser Bewerbung, und man will sogar die Politik dahin verlegen?

Blume: Ja, man will sogar die Politik dahin verlegen, denn der Präsident Südkoreas ist ja ein intimer Freund des Herrn Yang Ho Cho, das ist im Grunde der Eigner des größten Transportunternehmens der Welt und auch weitaus aus der große Eigner von Korean Air, und hinzu kommt: Lee Kun-hee, der Samsung-Chef und der gleichzeitig IOC-Mitglied ist – der ist zwar wegen Korruption verurteilt, aber kurzerhand von dem Präsidenten dann begnadigt worden, um Olympia nach Südkorea zu holen. Sie sehen, da läuft also alles auf einen Konzern hinaus. Und die hatten sich beworben beim letzten Mal gegen Sotschi und hatten sehr viel Geld hineingesteckt, wohl auch in diese Briefumschläge, die noch nachts vorher verteilt worden sind, und noch am Morgen führten sie klar vor Sotschi mit 64,99 Prozent, so unter der Hand gehandelt, Sotschi 63,17 Prozent, doch dann auf der Zielgeraden haben die Russen den Trend gedreht – wie und mit wie viel Geld, das wissen wir bis heute nicht.

Heise: Der Countdown der Vergabe der Olympischen Winterspiele 2018 läuft. Mit dem Sportjournalisten Klaus Blume unterhalte ich mich über die Hintergründe. Herr Blume, es geht ja auch immer darum: Welcher Erdteil bekommt wann welche Spiele? Ist Europa jetzt eigentlich dran?

Blume: Europa wäre jetzt dran oder 2022, und das ist die Schwierigkeit dabei: Die Münchner können nicht darauf setzen, dass Europa als ein monolither Block sie wählen würde, denn hinter den europäischen Ländern steht vor allen Dingen der starke internationale Skiverband, die FIS, und da hörten wir, dass es Stimmenbündelungen zugunsten einer Olympiabewerbung von St. Moritz 2022 geben würde und geben kann. Gleichzeitig gibt es auf der anderen Seite auch die Möglichkeiten, die Koreaner auszubremsen, weil Tokio sich um die Olympischen Sommerspiele 2020 bewerben möchte, und da gibt es ähnliche Bündelungen. Das wird noch sehr spannend heute Nachmittag.

Heise: Das heißt, wir hören jetzt immer schon wieder durch, dass sich das Vergabeverfahren hinter den Kulissen eigentlich so ähnlich anfühlt vom Ruf des IOC her auch wie das bei der FIFA, wenn man jetzt so hört, wer da versucht, welche Interessen unterzubringen. Wie viel Selbstkritik ist eigentlich im IOC so mitzubekommen, dass da schon wieder und immer lauter wieder Korruptionsvorwürfe werden?

Blume: Überhaupt nicht, und ähnlich wie in der FIFA geht es eben auch dort im IOC zu. Wenn Sie einmal bedenken, dass niemand etwas im ICO unternommen hat, um mal zu rügen, dass über 500 Millionen Dollar an sogenannter Sporthilfe seitens Seouls ausgegeben worden sind in den letzten Monaten für Indien, für Thailand, für Indonesien, für Vietnam, dann geht das ja nicht um die Selbstlosigkeit und um denen zu helfen, da geht es darum, diese Stimmen zu bekommen beispielsweise. Und das war eben auch im Vorfeld vor Sotschi so: Wer hatte das meiste Geld geboten? Waren es die Oligarchen aus Russland, oder war es dann doch die Firma Samsung, die übrigens auch der IOC-Hauptsponsor ist und auch noch Sponsor des Deutsch-Olympischen Sportbundes? Oder waren es dann doch nicht die Koreaner?

Heise: Welchen Stellenwert haben denn eigentlich überhaupt noch die Konzepte, die abgegeben werden, also in Sachen Nachhaltigkeit beispielsweise, oder besondere Stärken, besondere Schwächen, die aufgeführt werden?

Blume: Sie haben ... also besondere Schwächen und besondere Stärken haben mit Sicherheit im Momentum noch einen Wert, beispielsweise die Tatsache, dass also ein Regensburger Rechtswissenschaftler ja gesagt hat: Wenn es einen Vertrag gäbe zwischen dem IOC und der Stadt München, dann sei der nach deutschem Recht sittenwidrig, ...

Heise: Haben wir heute Morgen gerade auch in der "Ortszeit" gehört, genau.

Blume: ... und so etwas kann immer noch einen kleinen Knick verursachen. Aber ansonsten müssen wir gerade bei Winterspielen davon ausgehen, dass die Nachhaltigkeit nicht großgeschrieben wird, denn es ist ja ein völliger Unsinn, in Sotschi Olympische Winterspiele zum Beispiel auszutragen – eine Bobbahn unter Palmen oder dergleichen, das ist schlichtweg eine Albernheit. Pyeongchang hätte diese Spiele durchaus verdient von der Wirtschaftlichkeit her, denn wenn man bedenkt, dass 150 Millionen Asiaten angeblich dieses Wintersportressort vielleicht rekrutieren werden und keine Chinesen und keiner Japaner mitgerechnet werden, aber man geht bis nach Ozeanien hinunter, dann ist das natürlich schon eine ganz schöne Zahl. Und man weiß auch, dass das Unternehmen Samsung ja 150.000 Menschen in 62 Ländern beschäftigt, und über diese Länder natürlich weitgehend den olympischen Sport auch alimentiert.

Heise: Heute Nachmittag um 17.20 Uhr oder kurz danach sind wir schlauer, wer das Rennen gemacht hat: Heute vergibt das IOC den Austragungsort der Olympischen Winterspiele 2018. Danke schön an den Sportjournalisten Klaus Blume!

Blume: Ich bedanke mich auch!