Europa vor der Wahl

"In jedem Land ganz unterschiedliche Konstellationen"

Ein Stand auf der Leipziger Buchmesse zeigt die ukrainische Fahne durchlöchert von Schüssen - in Form der Europasterne.
Ein Stand auf der Leipziger Buchmesse zeigt die ukrainische Fahne durchlöchert von Schüssen - in Form der Europasterne. © dpa / picture alliance / Peter Endig
Nico Lange im Gespräch mit Ulrike Timm · 22.04.2014
Ein möglicher Erfolg national- und rechtspopulistischer Parteien bei der Europawahl im Mai habe länderspezifische Gründe, sagt Nico Lange. Dass diese vom Ukraine-Konflikt und Putins Politik profitieren könnten, lasse sich im Moment nicht ablesen, so der Politologe von der CDU-nahen Konrad Adenauer Stiftung.
Ulrike Timm: Schauen wir noch mal zurück an den Beginn der Ukraine-Krise! Es ist gerade ein gutes Vierteljahr her, da demonstrierten auf dem Maidan in Kiew Hunderttausende dafür, stärker die Nähe zur Europäischen Union zu suchen, sich weniger an Russland zu orientieren. Inzwischen ist unendlich viel passiert, Russland hat Fakten geschaffen, die Krim annektiert. Was aus der Ostukraine wird, das weiß derzeit wohl niemand. Und die Europäische Union hat ihre Bestürzung, ihr Befremden bekundet und nach Wochen Wirtschaftssanktionen erwogen, die aber bislang nur symbolisch sind, in Deutschland etwa ist bislang kein einziges russisches Konto gesperrt, wie die detaillierte Abfrage des Berliner "Tagesspiegels" ergab. Russland schafft also Fakten und viele Exsowjetstaaten haben Angst. In Georgien etwa will man im Juni ein Assoziierungsabkommen mit der EU unterschreiben und fürchtet sich, dass Ähnliches passiert wie in der Ukraine.
Im Mai aber wird in ganz Europa in nationalen Wahlen das Europäische Parlament gewählt. Welchen Einfluss hat da die Krise um Krim, Russland und Ukraine? Können populistische Parteien etwa davon profitieren? Erstaunlich viele, so unterschiedlich sie sein mögen, unterstützen nämlich Russlands Vorgehen in der Ukraine! Wir sprechen mit Nico Lange, Politikwissenschaftler bei der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung, und jetzt bei uns im Studio zu Gast. Schönen guten Tag, Herr Lange!
Nico Lange: Guten Tag!
Timm: Herr Lange, bis Dezember dachte man, die Bewältigung oder die Nichtbewältigung der Finanzkrise würde das Thema werden bei den Europawahlen. Hat sich das verändert durch die Entwicklung um die Ukraine und Russland?
Lange: Es ist ganz sicher so, dass in den öffentlichen Diskussionen, den politischen Diskussionen vor den Europawahlen jetzt das Thema Russland eine deutlich stärkere Rolle spielt als noch vor einigen Wochen. Aber Sie haben ja auch schon gesagt, es sind nationale Wahlen, die zwar Europawahl heißen, aber 28 nationale Wahlen sind. Deswegen ist es fraglich, ob denn außenpolitische Themen einen Einfluss haben werden auf den Ausgang dieser Europawahl.
Timm: Es gibt ja erstaunlich viele insbesondere rechtspopulistische europäische Parteien, die mit Putins Ukraine-Politik ziemlich konform gehen. Also Jobbik in Ungarn, Front National in Frankreich, Ataka in Bulgarien, die unterstützen alle Putin. Warum?
Lange: Ja, es gibt in der Politik Putins nicht nur in Bezug auf die Ukraine, sondern generell in den letzten Jahren einige Motive, die man auch bei nationalpopulistischen, rechtspopulistischen Parteien in Europa findet. Zum Beispiel Aggressivität gegenüber Homosexuellen, ein sehr traditionelles, konventionelles Familienbild, manchmal auch ein sehr konventionelles Frauenbild, und eine Politik, die auf nationale Interessen setzt. Das sind Motive, die findet man auch bei ganz unterschiedlichen nationalpopulistischen, rechtspopulistischen, manchmal auch Euro-skeptischen, EU-kritischen Parteien. Und mir scheint, die haben aus diesen Gründen eine gewisse Sympathie für Putin generell.
Timm: Können diese Parteien diese Argumente, die Sie geschildert haben, einbauen in Ihre Europapolitik, eventuell auch einbauen in ihren Wahlkampf und dadurch Stärke gewinnen, die sie sonst nicht hätten?
"In erster Linie sammeln sie Protestwähler"
Lange: Sie haben ja schon gesagt, die Parteien sind sehr unterschiedlich. Und es gibt ganz unterschiedliche nationale Gründe in den jeweiligen Mitgliedsländern, warum diese Parteien erfolgreich sind oder nicht erfolgreich sind, es gibt ja auch längst nicht in allen EU-Mitgliedsstaaten solche Parteien. Diese Parteien werden ja nicht gewählt, weil sie für etwas sind, sondern in erster Linie sammeln sie Protestwähler, die gegen alle anderen Parteien stimmen wollen. Und im Moment haben die so etwas wie eine gewisse Schadenfreude, dass sie das Gefühl haben, Putin würde es den Europäern mal so richtig zeigen oder er würde mal Tacheles reden. Und das ist etwas, was sie versuchen, für sich zu nutzen. Bisher muss man aber sagen: Wenn man sich die Umfragen anguckt in den Mitgliedsländern der Europäischen Union, gibt es keine Unterschiede, die sich ausmachen lassen aufgrund der aktuellen Entwicklung in Russland und in der Ukraine.
Timm: Ich nehme das Stichwort Schadenfreude aber mal auf! Wenn eine populäre, populistische Partei aus Schadenfreude zumindest Kapital schlagen kann in Form von öffentlicher Wahrnehmung, dann kann man auch sagen, dann haben die etablierten Parteien anscheinend ihre Sicht der Dinge nicht gut genug verankert!
Lange: Man wird sehen, wie stark europaskeptische, EU-kritische, nationalpopulistische, rechtspopulistische, manchmal sind es ja auch linksextreme Parteien, werden bei dieser Europawahl. Ich habe schon gesagt, es gibt da in jedem Land ganz unterschiedliche Konstellationen. Aber natürlich leben diese Parteien von so einer etwas unbestimmten Angst, von Sorgen, die sich Bürger machen im Bezug auf die Europäische Union und auf die europäische Integration, und versuchen, mit ganz einfachen Formeln diese Ängste und Sorgen zu lenken beziehungsweise aufzunehmen in ihrer Politik. Sicher gibt es da bei den etablierteren Parteien die Notwendigkeit, europäische Politik besser verständlich zu machen und besser zu erklären und vor allen Dingen darüber zu diskutieren, welche unterschiedlichen Lösungsmöglichkeiten für konkrete Anliegen und Sorgen der Bürger die Parteien denn vorschlagen im künftigen Europäischen Parlament.
Timm: Schauen wir uns eine dieser Parteien mal an, das ist der Front National in Frankreich, wahrscheinlich doch die bekannteste der rechtspopulären Parteien. Da gibt es erstaunlich viel Verständnis für die russische Position, auch erstaunlich gute Kontakte zu Putin und eine große Europa-Skepsis. Anscheinend kommen die damit gut an. Wie erklären Sie sich das?
Marine Le Pen "sagt ja nur, was sie nicht will"
Lange: Also, der Front National ist ja schon lange in Frankreich sehr stark im Aufwind und er kann sicher von der Schwäche des aktuellen Präsidenten in Frankreich und auch von Streitigkeiten in anderen Parteien im Moment profitieren, mit sehr einfachen Formulierungen. Ich glaube nicht, dass er Front National erfolgreich ist, weil er zu Putin steht oder weil er Sympathien für Russland hegt, ich glaube, das hat mit der Person Marine Le Pen zu tun, die es geschafft hat, aus einer rechtsextremen Partei eine rechtspopulistische Partei zu machen, die etwas sanfter daherkommt und daher akzeptabler ist für viele Franzosen, die unzufrieden sind mit ihren nationalen Eliten und die unzufrieden sind. Die Ängste haben vor Migration, vor Regelungen, die in Brüssel getroffen werden in der Europäischen Union. Und Marine Le Pen schafft es mit sehr geschickter Rhetorik, diese Ängste zu mobilisieren, um Unterstützung für ihre Partei zu generieren. Sie sagt ja die ganze Zeit über nicht, was sie eigentlich will, sie sagt ja nur, was sie nicht will.
Timm: Aber sie kommt damit ganz gut an erstaunlicherweise.
Lange: Im Moment ist der Front National in Frankreich ziemlich stark und das ist sicher etwas, worüber man sich Sorgen machen muss, wenn man die weitere Entwicklung nicht nur Frankreichs, sondern der Europäischen Union in den Blick nimmt.
Timm: Nico Lange von der Konrad-Adenauer-Stiftung ist unser Gast im Studio, wir sprechen über die europäische Gemengelage am Rande der Ukraine-Krise und vor den Europawahlen. Bundesaußenminister Steinmeier sagte, das ist die schärfste Krise seit dem Fall der Mauer, und jeder Europawähler Ende Mai wird ja dieser Tage daran erinnert, dass nicht weit entfernt es plötzlich wieder um Krieg und Frieden geht. Verändert das womöglich die emotionale Verfassung gegenüber einem Europa, was ja mal als Friedensprojekt begonnen hat? Dass man darüber auf der anderen Seite wieder mehr Freunde dafür gewinnt?
Lange: Es ist ja nicht so, dass Europa vorher keine Freunde gehabt hätte. Man darf es, glaube ich, mit der Wahrnehmung von Europa-Skepsis und EU-Kritik vor diesen Europawahlen auch nicht übertreiben. Ja, es gibt einige dieser Parteien in der Europäischen Union, aber es gibt gleichzeitig auch zum Beispiel in Deutschland eine überwältigende Zustimmung zum Euro als Währung und es gibt sehr viele Dinge, die in der Europäischen Union positiv gesehen werden. Gleichzeitig können diese Europa-skeptischen, EU-kritischen Parteien so ein bisschen in so einem unbestimmten Unbehagen ihre Wähler suchen, die nicht so genau wissen, welche Vorteile sie von der Europäischen Union haben. Und da hat sich, glaube ich, im Bewusstsein in den letzten Wochen einiges geändert, weil man schon feststellt, dass diese Möglichkeiten des friedlichen Austragens von Konflikten und des zivilisierten Umgangs miteinander auch in Konfliktsituationen jetzt stärker ins Bewusstsein geraten und gewertschätzt werden, als vielleicht noch vor einem halben Jahr oder vor einem Jahr.
Timm: Und es gibt ja auch europäische Länder, wo die Bevölkerung auch schlicht Angst formuliert, die baltischen Staaten oder überhaupt, dass eben so nah plötzlich wieder so etwas herrscht wie ein Kalter Krieg. Ich meine, das sind natürlich auch unterschiedliche Interessenlagen innerhalb Europas selbst, aber glauben Sie, dass das einen Einfluss nehmen wird konkret auf die Wahlen?
"Wir glaubten in Europa, die Zeiten solcher Konfrontationen wären vorbei"
Lange: Ich glaube, dass das bei einigen zumindest die Wahrnehmung von rechts- und nationalpopulistischen Parteien in ihren Ländern verändern könnte, weil wir vor Augen geführt bekommen, was für eine Welt sich einige dieser rechts- und nationalpopulistischen Parteien denn eigentlich zurückwünschen, in der nationale Konflikte auf diese Weise ausgetragen werden. Also, das ist nicht nur so, dass diese Parteien, wie Sie sagen, vielleicht profitieren könnten davon, dass sie sich mit Putin solidarisieren. Sondern sie könnten auch vor aller Augen sozusagen eingestehen müssen, dass sie eine Welt wollen, in der Konflikte auf diese Weise ausgetragen werden. Für viele in der Europäischen Union besteht ja die Herausforderung dieser Situation darin, dass wir nicht mehr daran gewöhnt sind, dass Konflikte so entstehen und so ausgetragen werden können, und dass es so eine gewisse Unsicherheit im Umgang von Konflikt gibt. Wir glaubten in Europa, die Zeiten solcher Konfrontationen wären vorbei.
Timm: Und die Europäische Union selber hat ja sehr, sehr zögerlich reagiert. Sie hat erst mal Wochen gebraucht, um rhetorisch zu formulieren, dass sie sich Sanktionen eventuell vorstellen könnte. Und auf der anderen Seite gibt es ja auch in Deutschland erstaunlich viele Menschen mit sehr viel Verständnis, vielleicht sogar Sympathie für Putins Politik. Wir haben es auch im Radio gemerkt, immer wenn man kritisch darüber berichtete, hieß es immer, na ja, aber das ist doch einseitig, der schafft zwar Fakten, aber er hat doch gute Gründe dafür. Haben Sie eine Erklärung dafür, warum viele Menschen trotzdem denken, das könnte … oder sagen wir, diesem russischen Vorgehen ziemlich viel Sympathie entgegenbringen?
Lange: Ich habe ja schon gesagt, dass rechts- und nationalpopulistische Parteien häufig versuchen, gewisse unbestimmte Ängste und Sorgen aufzunehmen und sie zu thematisieren. Vielleicht spielt das in dem Zusammenhang auch eine Rolle. Was mir als Beobachter der Diskussion aufgefallen ist, ist, dass wir sowohl bei den Medien, aber auch im politiknahen Bereich, wenn irgendwo eine Krise entsteht, häufig nur sehr geringe regionale Kompetenz haben, um damit sozusagen mit dem Kontextwissen, mit dem historischen Hintergrundwissen, mit dem kulturellen Wissen umzugehen und die Sachen einordnen zu können. Das scheint mir auch in diesen Fall ein Teil des Problems zu sein.
Timm: Der Politikwissenschaftler Nico Lange zu Gast hier im Studio des "Radiofeuilletons". Ich danke Ihnen!
Lange: Gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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