Europa-Politikerin übt Kritik an Aufnahmeprozedur von Bulgarien

Doris Pack im Gespräch mit · 25.07.2013
Die Europa-Politikerin der CDU, Doris Pack, hat die Proteste der Bulgaren gegen die Regierung dieses Neu-Mitgliedstaats der EU begrüßt. Bulgarien unternehme zu wenig im Kampf gegen Korruption und andere Missstände. Viele wichtige Reformen würden dort nicht umgesetzt.
Gabi Wuttke: Wütende Bulgaren kesseln die Parlamentarier ein, die Polizei antwortet mit Knüppeln. Die regierenden Sozialisten betreiben offen die Amtsenthebung des Staatspräsidenten, der will Neuwahlen, zwei Monate, nachdem die Konservativen abgewählt wurden. Die wiederum wollen, dass der Parlamentspräsident geht – jeder gegen jeden, und alle gegen die Regierung, so könnte man das Chaos in Bulgarien verstehen. Die EU-Kommission zeigt sich derweil wieder einmal besorgt. Die Christdemokratin Doris Pack gehört zum auswärtigen Ausschuss des Europäischen Parlaments und ist Mitglied in der Südosteuropa-Delegation. Einen schönen guten Morgen!

Doris Pack: Guten Morgen, Frau Wuttke!

Wuttke: Haben Sie eine Erklärung für die gewittrige Situation in Bulgarien?

Pack: Ja, zunächst einmal ist die Erklärung, dass die Menschen keine Regierung haben – denn die Regierung, die sie haben, ist keine, denn sie kann gar nicht regieren, weil sie gar keine Mehrheit hat – sie haben es satt. Und sie sind, glaube ich, aufgewacht in den letzten Jahren, dass einfach zu wenig getan wurde gegen Korruption, und zu viele Dinge falsch gelaufen sind, und auch Geld in die Taschen derer geflossen sind, die das Geld eigentlich verteilen müssten, da, wo die Menschen wirklich Not haben. Also die Regierung, die jetzt dran ist, hat keine Mehrheit. Das ist das eine. Das sind die Sozialisten.

Die anderen, die Liberalen, also die türkische Partei, haben keine Mehrheit, sind aber in der Regierung, weil sie sich von einer xenophoben, rechtsradikalen Partei unterstützen lassen. Die ist nicht in der Regierung, aber sie trägt diese Regierung mit, und das ist etwas, was also auch niemand in Bulgarien eigentlich erlauben kann – und wir natürlich auch nicht. Ich erinnere nur daran, dass vor vielen Jahren, als in Österreich die Bundesregierung gebildet wurde durch die ÖVP und den sogenannten Freien Haider, dass damals also in Europa alles stillstand und man gesagt hat, man muss die aus dem Land werfen.

Wuttke: Ein interessanter Vergleich, Frau Pack, aber noch mal unterstrichen, jetzt macht sich doch nur Luft, was den Leuten schon unter der konservativen Regierung gestunken hat.

Pack: Ja, aber man muss eins sehen: Wir haben natürlich einen großen Fehler gemacht, das heißt, wir nicht, sondern die Regierungschefs, dass wir also diesem Land 1999 ein Datum gegeben haben, zu dem sie sicher waren, dass sie zur EU beitreten können. Also man wusste: Am 1.1.2007 treten wir bei. Und dann hat man gewartet, bis es so weit war. Die haben nichts getan. Keine der Regierungen damals hat auch nur irgendetwas getan. Die letzte Regierung, die unter der Führung von Herrn Ministerpräsident Borissow, hat vieles in die Wege geleitet, war viel, viel besser als jede der anderen, aber war auch nicht nur erfolgreich. Sie hat auch unter der Aufsicht der Kommission sehr viele Reformen angefangen – das sagt die Kommission auch –, aber die werden jetzt alle zurückgenommen.

Man hat jetzt einen von diesen rechtsradikalen und xenophoben Abgeordneten der sogenannten Ataka zum Ausschussvorsitzenden gemacht - ein Ausschuss, der sich um die Korruption kümmert. Das kann nicht wahr sein. Man macht also den Bock zum Gärtner. So ist das in vielen Bereichen. Man hat einen Medienmogul zum Geheimdienstchef machen wollen, und da hat sich das ja entzündet. Dann sind die Menschen auf die Straße und haben gesagt, jetzt reicht es aber. Ich bin sehr froh eigentlich über dieses Phänomen dieses Aufstandes. Denn da geht es jetzt momentan nicht um irgendein persönliches Engagement für sich selber, sondern es geht darum, einfach den Regierenden zu zeigen: So geht es nicht mehr, und geht weg! Das Frage ist nur, wenn sie da Neuwahlen haben, ob es dann besser wird.

Wuttke: Ein Medienmogul als Geheimdienstchef, das klingt natürlich ziemlich bizarr, aber Sie haben es selber schon gesagt, die alten Probleme sind die Korruption, die Willkür der Justiz, und Sie haben gesagt, wir haben was falsch gemacht. Warum wird denn dann bitte schön Sofia im letzten Fortschrittsbericht der EU bescheinigt, es sei ein nachdrücklich politischer Wille da, wenn das alles stagniert? Dann haben doch mehr als einer ein Auge zugedrückt.

Pack: Ja, viele haben Augen zugedrückt, aber ich habe gesagt, in der letzten Regierungszeit des Vorsitzenden Borissow von der damals neuen Partei GERB ist Vieles angefangen worden, ist Vieles gut gemacht worden – wir haben ja ein Überwachungsinstrument, das sogenannten Verification and Cooperation Mechanism. Alle halbe Jahre ist dabei zu prüfen, was alles passiert, ob alles in die richtige Richtung geht, und im letzten Jahr konnte die EU-Kommission feststellen, dass viele Reformen greifen, dass Vieles gemacht wurde, aber dann hat die Regierung selbst das Handtuch geworfen aus anderen Gründen, weil vor allem …

Wuttke: Ja, aber die anderen Gründe sind ja dann doch auch interessant.

Pack: Bitte?

Wuttke: Die anderen Gründe sind ja dann doch auch interessant.

Pack: Die anderen Gründe sind interessant, ja. Der Borissow hat das Handtuch geschmissen, nachdem er erstens die Reformen gemacht hat. Das war eine Reform, die bitter war - nämlich die Energiepreise zu erhöhen. Die Menschen mussten also halb mal so viel mehr zahlen für ihre Energie. Das hat zu Protesten geführt - damals schon, im Frühjahr dieses Jahres. Und dann gab es auch eine Situation, das darf man auch nicht vergessen, dass es ein Referendum gegeben hat gegen den Wunsch der Sozialisten und auch der Türkenpartei, ein Atomkraftwerk zu bauen an der Donau. Das steht schon lange im Plan, wurde immer wieder zurückgestellt, mit Vorgaben, russischen Vorstellungen.

Das heißt also, russische Bauleute sind da gefragt. Und das wollte die Regierung nicht, hat ein Referendum gemacht, aber das Referendum war mit wenig Interesse ausgegangen, sodass also die Sache wiederum zwischen Baum und Borke ist. Die Sache wird jetzt gemacht, jetzt ist diese Regierung dran, jetzt gibt sie den Auftrag für die Russen, dieses Atomkraftwerk zu bauen an der Donau, eines mit Sicherheitsvorstellungen, die unseren nicht entsprechen. Da hat Borissow gesagt, ich kann das nicht mehr, ich möchte Neuwahlen und brauche ein neues Mandat, und die Partei wurde ja auch stärker, mit als stärkste gewählt.

Wuttke: Aber Frau Pack, ich habe noch nie erlebt, und das ist die Frage an Sie als EU-Parlamentarierin, ich habe noch nie gehört, dass Bürger in einem EU-Land so offen Brüssel angerufen haben, sie vor ihren eigenen Regierungen – und ich sage das jetzt mal im Plural – zu schützen. Was ist denn jetzt zu tun?

Pack: Was zu tun ist, wir können nicht mehr machen, als die Instrumente einsetzen, die wir gegen ein Mitgliedsland haben. Das Problem ist …

Wuttke: Wie wäre es mit neuen Instrumenten?

Pack: Das sind Überwachungsinstrumente, die den Bulgaren zustehen aus den verschiedenen Strukturfonds - dass man die dann nicht gibt, ist das Einzige, was wir tun können. 40 Prozent der Gelder, die den Bulgaren zustehen für Projekte, Infraprojekte und so weiter, kommen …

Wuttke: Einmal EU-Mitglied, Frau Pack, immer EU-Mitglied?

Pack: Das ist das Problem. Darum haben wir einen großen Fehler gemacht, als wir ein Datum gaben, bevor man überhaupt wusste, ob sie das erfüllen. Das haben wir also ab dann nicht mehr getan, zum Beispiel Kroatien. Kroatien bekam kein Datum - aus diesem Grund. Kroatien konnte beginnen mit den Verhandlungen und wurde erst, als es am Ende der Verhandlungen nachgewiesen hatte, dass es also bereit ist, beizutreten mit all den Implikationen, die das hat, dann erst wurde ihm gesagt, in anderthalb Jahren kannst du dann dabei sein.

Wuttke: Aus Fehlern sollte man lernen, sagt die EU-Parlamentarierin Doris Pack. Ich danke Ihnen sehr mit dem Blick auf die Uhr – und drei Minuten bis zu den Nachrichten. Einen schönen Tag, Frau Pack!

Pack: Danke schön, Frau Wuttke!


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