Eurokrise

"Schuldenberg in Griechenland ist enorm"

Jens Bastian im Gespräch mit Marietta Schwarz · 11.04.2014
Die Eurokrise ist nicht zu Ende. Dass Griechenland wieder in den Kapitalmarkt eingetreten ist, sei zwar eine gute Inszenierung, sagt Jens Bastian vom Forschungsinstitut Eliamep in Athen. Bei Schulden in Höhe von 240 Milliarden Euro bleibe aber kein Raum für Euphorie.
Marietta Schwarz: Bundeskanzlerin Merkel ist heute im krisengeschüttelten Griechenland zu Besuch, zuletzt wurde sie dort ja vor anderthalb Jahren mit beleidigenden Sprechchören und Transparenten empfangen - das wird wohl diesmal nicht passieren. Zwar liegt der jüngste Generalstreik erst ein paar Tage zurück, die griechische Regierung bemüht sich aber mit allen Mitteln, wirtschaftlichen Fortschritt zu demonstrieren: Sie verschlankt den Staatsapparat und sie kehrte gestern mit Anleihen an den Kapitalmarkt zurück, was von vielen, unter anderem dem IWF, als Erfolg gewertet wurde. Gibt es also Grund zum Optimismus? Fragen dazu an den Ökonomen Jens Bastian, Fellow an der griechischen Stiftung für Europa und Außenpolitik. Herr Bastian, guten Morgen!
Jens Bastian: Guten Morgen, Frau Schwarz, nach Berlin!
Schwarz: Die Erfolgsnachricht von den Anleihen, die IWF-Tagung dann, die heute stattfindet und der heutige Merkel-Besuch - das riecht eigentlich nach einer perfekten Inszenierung. Wie bewerten Sie die Rückkehr Griechenlands an den Kapitalmarkt?
Bastian: Mit dem Wort Inszenierung, Frau Schwarz, haben Sie durchaus recht. Die Rückkehr Griechenlands an den Kapitalmarkt ist auf den ersten Blick in der Tat ein Erfolg, und es lässt sich auch entsprechend gut inszenieren, und dazu passt dann natürlich hervorragend in das Bild, dass auch heute Kanzlerin Merkel nach Athen kommt und dem Premierminister Samaras entsprechend auch auf die Schulter klopfen kann. Aber ich warne, aus dieser Euphorie, die jetzt gerade in Griechenland vor allen Dingen erkennbar ist, daraus sofort den Schluss zu ziehen, dass die Krise in Griechenland zu Ende sei. Das wäre völlig voreilig und an den Fakten vorbei.
Schwarz: Wenn Sie sagen, das ist ein Erfolg - wie groß ist dieser Erfolg? Es handelt sich ja letztendlich nur, sage ich jetzt mal etwas provokativ, um drei Milliarden bei einem Schuldenberg von immerhin 240 Milliarden.
Bastian: Der Erfolg, Frau Schwarz, liegt in der Tatsache, dass Griechenland nach außen signalisieren kann, wir stehen wieder auf eigenen Beinen, was die Möglichkeiten der Finanzierung betrifft, und dass Griechenland Alternativen hat zu den Finanzierungsquellen jenseits der Hilfskredite der Europäischen Union und auch des Internationalen Währungsfonds. Das heißt, hierin zeigt sich auch ein gewisser Stolz seitens der griechischen politischen Eliten, dass sie sagen können: Wir haben jetzt eine andere Verhandlungsposition, wenn wir in Zukunft mit der Troika in Verhandlungen treten müssen. Aber Sie haben ganz recht: Das ist nur ein kleiner Schritt. Der Schuldenberg in Griechenland ist noch enorm, und die Tragfähigkeit dieser Schulden, die Fähigkeit des Landes, diese Schulden auch abzubauen, ist zurzeit nicht gegeben.
Schwarz: Warum haben sich die Anleger eigentlich so auf die Staatsanleihen gestürzt - weil sie wissen, dass die EU Griechenland um jeden Preis stützt oder weil sie wirklich wieder Vertrauen in dieses Land haben?
Bastian: Wenn ich mir den Kreis der Anleger anschaue, handelt es sich um hochspekulative Anleger, die auch ein ganz anderes Risikopotenzial in Griechenland identifizieren und das im Grunde genommen auch aus ihrer Sicht managen können. Ich bin der Meinung, dass es durchaus aufschlussreich und irritierend ist, dass nun solche Spekulanten in einer Weise gelobt werden, die noch vor drei oder vier Jahren als die Bösewichte auch in Griechenland dargestellt wurden.
Schwarz: Und das bei einem Prozentsatz von 4,75 - das ist ja nicht besonders viel.
"Wir haben weiterhin eine viel zu hohe Arbeitslosigkeit"
Bastian: Dieser Prozentsatz ist auf den ersten Blick nicht besonders hoch, aber ich gebe zu bedenken, dass Griechenland bei einem solchen Prozentsatz seine Schulden nicht finanzieren kann. Griechenland ist überschuldet, und im Grunde genommen hat es von seinen europäischen Partnern in den vergangenen Jahren Kreditbedingungen zur Verfügung gestellt bekommen, die wesentlich vorteilhafter sind. Wenn sie in Zukunft weiterhin mit vier oder fünf Prozent sich refinanzieren wollen, wird das für Griechenland sehr teuer.
Schwarz: Bei Merkels letztem Besuch hing das finanzielle Überleben Griechenlands wirklich, kann man sagen, am seidenen Faden. Was hat das Land seither erreicht?
Ein älterer Mann steht am 10. März 2014 vor einer geschlossenen Apotheke in Athen, deren Besitzer gegen die Pläne der Regierung mit Streik protestiert, verschreibungsfreie Medikamente in Supermärkten zu verkaufen.
Sparmaßnahmen führen auch zu Engpässen in der Arzeneimitteversorgung.© epa / Orestis Panagiotou
Bastian: Das Land hat zunächst einmal in der Haushaltskonsolidierung und auch zum Beispiel in seiner außenwirtschaftlichen Fähigkeit, mehr zu exportieren, seine Importe zu reduzieren, enorm viel erreicht. Aber das ist auch mit enorm vielen Kosten und Opfern verbunden gewesen. Wir haben weiterhin eine viel zu hohe Arbeitslosigkeit, wir haben viel zu wenige Investitionen - auch aus dem Ausland inklusive Deutschland - in Griechenland, und wir haben zu wenige Klein- und Mittelbetriebe in Griechenland, die von Banken zinsgünstige Kredite zur Verfügung gestellt bekommen, um zu investieren, um auch Wachstum zu generieren in diesem Land. Das heißt, wir sollten bei aller Euphorie bestimmte wirtschaftliche Kennzahlen und Faktoren nicht außer Acht lassen, die noch ein erhebliches Risikopotenzial in sich bergen.
Schwarz: Die Troika kommt in ihrem jüngsten Bericht ja zu dem Schluss, dass Griechenland bis 2016 neue Kredite braucht, von 16 bis 17 Milliarden Euro ist da die Rede, und es wurde ja auch schon öfter mal von einem neuen Hilfspaket gesprochen. Ist das Ihrer Meinung nach notwendig?
"Es sollte kein Fiskalpaket sein"
Bastian: Ob es ein neues Hilfspaket gibt, das wird in den kommenden Monaten zu verhandeln sein. Sie sehen ja an der Reaktion der Griechenseite, dass sie nicht unbedingt darauf prioritär Wert legt. Wie immer ein Hilfspaket zugeschnitten ist - aus meiner Sicht sollte es sich darauf konzentrieren, diesem Land dabei weiterzuhelfen, wirtschaftlich auf die Beine zu kommen. Das heißt, es sollte kein Fiskalpaket sein. Es sollte ein Investitionspaket sein, eine Investitionsperspektive für diese Wirtschaft, und damit diese Gesellschaft auch wieder Arbeitsplätze schafft.
Schwarz: Herr Bastian, wozu heute dieser Besuch Angela Merkels?
Bastian: Ich denke, dass dieser Besuch einfach, wie Sie am Anfang, Frau Schwarz, sagten, in diese ganze Inszenierung hervorragend hereinpasst. Er rundet diese Inszenierung im Grunde genommen ab. Es soll natürlich auch ein Zeichen der politischen Unterstützung von Frau Merkel an Herrn Samaras sein, insbesondere unmittelbar vor den Wahlen zum Europäischen Parlament Ende Mai.
Schwarz: Die Regierung Samaras hat nur eine hauchdünne Mehrheit. Was passiert, wenn sie die verliert an die Linken?
Bastian: An wen sie sie verliert, das ist noch dahingestellt, aber dann gäbe es Neuwahlen. Ich denke, dass diese Regierung zunächst noch bestandsfest ist, aber der Ausgang der Wahlen zum Europäischen Parlament wird Aufschluss darüber geben, wie es in diesem Land politisch weitergeht. Und das sind erhebliche politische Risikofaktoren, die auch Investoren - inklusive Spekulanten - zu berücksichtigen hätten.
Schwarz: Der Ökonom Jens Bastian über Angela Merkels Besuch in Griechenland und Griechenlands Rückkehr an den Kapitalmarkt. Herr Bastian, danke Ihnen für das Gespräch!
Bastian: Ich bedanke mich bei Ihnen, Frau Schwarz!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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