Euro-Rettungsschirm in Karlsruhe

Von Katja Wilke |
Morgen wird die ganze Republik, nein, ganz Europa wieder einmal nach Karlsruhe blicken. Nun also geht es endlich weiter in Sachen Euro-Rettungsschirm und Griechenland-Hilfe – mehr als ein Jahr nachdem Karlsruhe einen Eilantrag dazu abgelehnt hat.
Bis das Gericht endgültig entscheidet, werden noch einmal Monate ins Land ziehen. Dieses Verfahren dauert schon jetzt zu lange. Die Richter verschleppten die Entscheidung, beschwerten sich denn auch einige der Kläger. Auch wenn deren Verfassungsbeschwerde wahrscheinlich in mancherlei Hinsicht auf wackeligen Füßen steht – in diesem Punkt haben sie Recht. Denn in der Zwischenzeit könnte die Politik längst Fakten geschaffen haben.

Möglicherweise wird der Bundestag im September einen neuen, permanenten Rettungsschirm genehmigt und damit Deutschland unwiderruflich völkerrechtlich verpflichtet haben, möglicherweise werden die Abgeordneten einem Gesamtpaket zustimmen, gleichsam Generalvollmacht geben, bei einzelnen Auszahlungen aus dem Schirm aber auf Mitsprache verzichten.

Dass Orientierungshilfe des Bundesverfassungsgerichts in Europafragen sehr wohl nötig ist, hat zuletzt die Entscheidung zum Vertrag von Lissabon vor rund zwei Jahren gezeigt. Die Richter ermahnten das Parlament, nicht zu viel Entscheidungsgewalt aus der Hand zu geben. Das Urteil wurde von vielen Beobachtern als klare Kante gegen Europa gewertet. Das muss man aber nicht so sehen.

Ja, es erschwert das Alltagsgeschäft der EU-Administration, der Staats- und Regierungschefs ebenso wie der Brüsseler Kommission. Nur daran sind die Mitgliedsländer selbst schuld, weil sie der Exekutive in Europa mehr Macht einräumen als dem Europaparlament oder den nationalen Volksvertretungen. Im Gegenzug bauen die Karlsruher Richter beschwerliche Hürden auf, damit die demokratische Kontrolle nicht unter die Räder der europäischen Integration gerät.

Es wäre schade, sollten die Verfassungsrichter bei der jetzt anstehenden Entscheidung nicht ähnlich selbstbewusst urteilen. Nun ist es nicht ungewöhnlich, dass sich das Gericht für wichtige Entscheidungen viel Zeit nimmt. Und natürlich wollen und müssen die Richter die Folgen ihres Rechtsspruchs abschätzen.

Das fällt selbst Ökonomen und Politikern schwer. Wie schon bei den Einsätzen der Bundeswehr im Ausland geht es auch bei den Krediten und Bürgschaften im Euroraum um die Frage, ob die Bundesregierung unzulässig eingeschränkt wäre, ja ihre Politik konterkariert würde, wenn das Parlament jedem einzelnen Schritt, hier also jeder Zahlung, vorab zustimmen müsste.

Dass die Eurozone am Ende sei, wenn das Gericht den Klägern Recht gebe, kann kein stichhaltiges Argument sein. Gerade weil die Politik immer wieder die angebliche Alternativlosigkeit ins Feld führt, muss es eine Instanz geben, die nüchtern auf die Einhaltung der rechtlichen Rahmenbedingungen achtet. Stattdessen entsteht zurzeit der Eindruck, als solle die Regierung beim Krisenmanagement nicht gestört werden.

Auf dem Gericht lastet also eine große Verantwortung – vor der es sich nicht wegducken darf. Es darf sich Zeit nehmen, aber nicht zu viel. Vor Kurzem noch amüsierte sich Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle auf dem Deutschen Anwaltstag über die "Bettvorleger-Theorie", mit der Kritiker das Verhältnis des Bundesverfassungsgerichts zum Europarecht beschreiben. Sie sind der Ansicht, die Verfassungshüter kämen als "großer Tiger", und landeten "als Bettvorleger".

Eigentlich ist es darauf gemünzt, dass sich Karlsruhe zwar theoretisch für Ausnahmefälle die Prüfung europäischen Rechts vorbehält – aber dies in der Praxis noch nie für nötig hielt. Unverkennbar passt die Theorie auch auf die aktuelle Situation. Man wünscht sich ein entschlossenes Gericht, das zügig die Rechtslage klärt – und nicht einen schlappen Bettvorleger.


Katja Wilke arbeitet als freie Journalistin und Rechtsanwältin in Berlin. Sie schreibt für Tages- und Wochenzeitungen sowie Magazine über Rechtspolitik und Wirtschaftsrecht. Sie arbeitete zuvor als Redakteurin für die Financial Times Deutschland. Das Volontariat absolvierte sie an der Georg-von-Holtzbrinck-Schule für Wirtschaftsjournalisten in Düsseldorf.
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