EU-Ukraine-Russland

Es ist Zeit für eine neue Ostpolitik

Russland Präsident Wladimir Putin
Russland Präsident Wladimir Putin © picture alliance / dpa / Mikhail Metzel
Von Herwig Roggemann · 21.06.2016
Das Abkommen mit der Ukraine nachzuverhandeln und die Sanktionen gegen Russland zu beenden, wären Chancen für einen Neubeginn in der gescheiterten Ostpolitik Deutschlands und der EU, meint der Berliner Osteuropa-Forscher Herwig Roggemann.
Der Ukraine-Krieg geht ins dritte Jahr. Inzwischen starben dort weit über 9000 Menschen, und die Kampfhandlungen beider Seiten, der ukrainischen Armee und der separatistischen Streitkräfte in der Region Donbass, gehen weiter.
Die russischen Interventionen im Donbass und auf der Krim sind Reaktionen auf die Majdan-Revolte. Von westlicher Seite unterstützt, erzwang diese eine Westorientierung der Ukraine und führte zur Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens mit der EU. Dieses läuft darauf hinaus, die russisch-ukrainischen Wirtschaftsbeziehungen zu zerschneiden, die für Russland wichtig, für die Ukraine überlebenswichtig sind.

Russlandpolitik nach 1990 ist gescheitert

Das ablehnende Referendum in den Niederlanden eröffnet die Chance für fällige Nachverhandlungen, nun unter Beteiligung Russlands. Mehr noch: die bevorstehende Entscheidung über Fortsetzung oder Beendigung der Sanktionspolitik bietet Gelegenheit für einen Neubeginn. Denn die bisherige Russlandpolitik Deutschlands und der EU ist gescheitert.
Eigentliche Konfliktursache ist Russlands nach wie vor ungeklärter Platz in einer gesamteuropäischen Sicherheitsordnung. Dem Zusammenbruch der Sowjetunion und ihrer Paktsysteme folgte der Rückzug ihrer Armee rund 2000 Kilometer ostwärts hinter die russische Westgrenze. Eine europäische Friedensordnung, wie 1990 in der Charta von Paris vereinbart, wurde nicht geschaffen.

EU und NATO dehnten sich ohne Rücksicht auf Moskau aus

Stattdessen erfolgte die schrittweise Osterweiterung von EU und NATO ohne Berücksichtigung legitimer Wirtschafts- und vor allem Sicherheitsinteressen Moskaus. Da die meisten EU-Mitglieder auch NATO-Mitglieder sind, ist die russische Befürchtung eines späteren NATO-Beitritts der Ukraine durchaus begründet.
Hauptgeschädigte der gegenwärtigen Sanktionspolitik sind zum einen die Ukraine selbst, die dadurch weiter destabilisiert wird, und zum anderen Deutschland und Russland, deren Wirtschaftsaustausch massiv zurückgefallen ist. Während der Außenhandel der USA mit Russland von den Sanktionen weitgehend unberührt blieb.
Diese Politik hat Spannungen verstärkt und die weitere verbale und reale militärische Aufrüstung nicht verhindern können. Zunehmender russischer Militärpräsenz an der Westgrenze stehen Waffenlieferungen der USA an die Ukraine, die baltischen Staaten und Polen sowie der Aufbau von Raketenbasen unter US-Kommando in Rumänien und Polen gegenüber.

Friedenspolitik weder ohne noch gegen Russland möglich

In der transatlantischen Diskussion erleben Denkmuster des Kalten Krieges eine Renaissance. Forderungen nach einer, wie es heißt, "gemeinsamen Front" gegen Russland werden laut. Auf die Frage nach Konzepten der US-Außenpolitik für die Einbeziehung Russlands in eine gesamteuropäische Friedensordnung kommt aus Washington die kurze Antwort: Es gebe keine derartigen Konzepte.
Die deutsche, die europäische Lehre aus der Geschichte hat dagegen Hans Dietrich Genscher auf die Formel gebracht: "Friedenspolitik ist nicht ohne und erst recht nicht gegen Russland möglich".
Dieser Satz gehört zu den politischen Leitsätzen der beiden erfolgreichsten deutschen Ostpolitiker: Willy Brandt, der die Berliner Mauer und den Eisernen Vorhang durchlässiger machte. Und Helmut Kohl, der mit Zustimmung von Michail Gorbatschow und George Bush sen. die Deutsche Einheit erreichte.
Ein Neuanfang ist im Interesse Deutschlands und der EU notwendig – durch Dialog und Interessenausgleich, anstelle von politischer Blockade und weiterer Konfrontation.

Herwig Roggemann, Professor a. D. am Osteuropa-Institut und am Fachbereich Rechtswissenschaft der Freien Universität Berlin. Zu seinen langjährigen Arbeitsgebieten gehören die rechtliche und politische Entwicklung in Ost- und Südosteuropa. Für sein wissenschaftliches Werk wurde er 2016 mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet.





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