EU-Ratspräsident: Balkanländer sollen schnell in die EU

Karel Schwarzenberg im Gespräch mit Ernst Rommeney und Ulrich Ziegler |
Der amtierende EU-Ratspräsident und tschechische Außenminister Karel Schwarzenberg plädiert für einen raschen EU-Beitritt von West-Balkanstaaten wie Serbien und Albanien. „Wir können nicht behaupten, dass wir eine wirkliche Europäische Union haben, wenn wir einen Teil Europas auslassen“, sagte Schwarzenberg. Außerdem appellierte er für eine Zusammenarbeit mit dem Iran.
Deutschlandradio Kultur: Täuscht denn der Eindruck oder tut sich Tschechien etwas schwer mit der EU-Ratspräsidentschaft?

Karel Schwarzenberg: Nicht mehr als die Länder vor uns. Wir haben einen etwas schwierigen Anfang gehabt, aber das war unabhängig von der Tatsache, dass wir gerade die Präsidentschaft angetreten haben. Das war der Konflikt in Gaza. Das war der Streit zwischen Russland und der Ukraine über die Gaslieferungen nach Europa. Das hat uns einen munteren Anfang beschert, aber sonst geht es uns sicherlich nicht schlechter wie einem anderen.

Deutschlandradio Kultur: Aber wenn man Ihrem Ministerpräsidenten und auch Ihnen in den vergangenen Wochen zuhörte, dann scheinen Sie doch unter dem ewigen Streit zu leiden, aber auch unter dem Mangel an Gemeinsamkeit. Ist das so?

Karel Schwarzenberg: Also, ich will Ihnen was sagen. Ich habe jetzt mehrere Präsidentschaften mitgemacht. Ich habe noch nie eine Präsidentschaft mitgemacht, die begeistert war über den Zusammenhalt und die Einmütigkeit der Europäischen Union. Die habe ich noch nicht erlebt. Und ich bin jetzt immerhin schon 72.

Deutschlandradio Kultur: Ist es ein Unterschied, ob ein kleines oder ein großes EU-Land die Präsidentschaft hat?

Karel Schwarzenberg: Sicherlich hat ein großes Land ein großes Außenministerium und hat auch einen viel größeren Apparat im Amt des Regierungschefs usw., hat gewisse größere materielle und sonstige Möglichkeiten. Das ist richtig. Wir haben im Laufe der letzten Jahre große Länder gesehen, deren Präsidentschaft – sagen wir – nicht gerade übermäßig erfolgreich verlaufen ist.

Deutschlandradio Kultur: Wen meinen Sie denn?

Karel Schwarzenberg: Das werden Sie nicht von mir hören. Sie wissen es auch genau, also werde ich es Ihnen nicht wiederholen. Und es gab kleine Länder, die ganz gut durchgekommen sind. Wir sollten da ganz ehrlich sagen, dass kleine Länder sicherlich mit Personal und Material etwas sparsamer sein müssen, aber sonst ist der Unterschied nicht so viel größer.

Deutschlandradio Kultur: Aber die institutionelle Frage ist ja: Würde ein EU-Außenminister, würde ein ständiger Ratspräsident in dieser Situation mehr Chancen haben, als Sie sie haben?

Karel Schwarzenberg: Wenn wir den Lissabonner Vertrag hätten, vielleicht. Dann wird es auch davon abhängig sein, wer der Betreffende ist, wie stark die Persönlichkeit ist. In der Politik kommt es sehr viel stärker auf die Personen als auf die Institutionen an. Institutionen geben nur die Möglichkeit, aber jemand muss diese Möglichkeit auch nutzen.

Deutschlandradio Kultur: Was die deutsch-französische Achse angeht, von der wir in Westeuropa immer sehr viel gehalten haben, vielleicht auch noch halten, haben Sie gesagt: Die Franzosen seien etwas zu zentralistisch, die Deutschen etwas zu gründlich. Da fragen wir uns: Und was machen die Tschechen?

Karel Schwarzenberg: So habe ich es nicht gesagt. Ich habe gesagt: Das Problem der EU ist, dass sie von den Gründungseltern den französischen Zentralismus, kombiniert mit der deutschen Gründlichkeit mitbekommen haben. Französischer Zentralismus mit französischer Schlamperei ist erträglich – verstehen Sie? Die deutsche Gründlichkeit mit dem deutschen föderalistischen Zug ist auch eine Lebensweise, die zu ertragen ist, aber wenn Zentralismus mit Gründlichkeit durchgeführt wird, ist das sehr mühsam.

Deutschlandradio Kultur: Aber was bekommen wir jetzt von den Osteuropäern? Ist das nicht noch ein bisschen farblos?

Karel Schwarzenberg: Was sind Osteuropäer? Können Sie mir sagen, was Osteuropäer sind?

Deutschlandradio Kultur: Das sind jene neuen Mitgliedsländer, wie Polen, wie Tschechien, wie die Slowakei und Ungarn.

Karel Schwarzenberg: Sehen Sie, da beginnt es. Das sind nicht die Osteuropäer. Nehmen Sie einmal die Entfernungen vom Canal de la Mancha (Ärmelkanal, Anm. d. Red.) und vom Ural, dann werden Sie feststellen, dass das Mitteleuropa und kein Osteuropa ist.

Deutschlandradio Kultur: Zumindest sind es neue Mitglieder und die haben auch Interessen und wollen sich in das Spiel der Europäischen Union mit einbringen.

Karel Schwarzenberg: Na selbstverständlich, wie jeder Mitgliedsstaat natürlich.

Deutschlandradio Kultur: Aber noch mal nach der Farbe gefragt: Welche Farbe bringen die Visegrad-Staaten beispielsweise ein – Polen, Tschechien, Ungarn, Slowakei?

Karel Schwarzenberg: Jeder bringt eine andere Farbenkombination ein. Wir sind verschieden. Wir sind ein buntes Völkchen, alle miteinander, so, wie es auch in Westeuropa Skandinavien gibt. Wir haben verschiedene Interessen, aber wir haben natürlich gewisse gemeinsame Erfahrungen, wenn Sie wollen, gemeinsame Traumata, die langsam doch verschwinden. Und wir bringen sicherlich nach Europa einen etwas frischeren Zugang. Wir sind nicht sozusagen schon eingeleiert in der europäischen Mühle. Wir sehen manchmal die Sachen etwas praktischer. Wir schauen nicht nach, wo war der Präzedenzfall 1973 oder 1959. Wir haben gelernt, dass man auch in der Politik manchmal improvisieren muss.

Deutschlandradio Kultur: Dann nennen Sie uns doch gleich mal ein Beispiel mit diesem frischeren Zugang. Das würde mich schon interessieren, was diese neuen Mitglieder in die Europäische Union einbringen können, welche Farbe, damit nicht am Schluss alles grau bleibt.

Karel Schwarzenberg: Ihre Erfahrungen, ihre Produkte, ihr Wissen, genau dasselbe wie die westeuropäischen Staaten. Jeder bringt etwas ein, jedes der europäischen Völker.

Deutschlandradio Kultur: Aber in diesem Winter wurde es doch vorübergehend schon mal sehr ernst. Die Osteuropäer, sage ich jetzt mal so, haben gefroren.

Karel Schwarzenberg: Ja, weil Russen das Gas abgesperrt haben. Das waren die Bulgaren, die sind übrigens im Südosten, nicht einmal im Osten. Es haben zum Teil die Slowaken, Ungarn gefroren. Wir und die Polen haben nicht gefroren.

Deutschlandradio Kultur: Es zeigte trotzdem den Ernst der Lage in der Energiepolitik.

Karel Schwarzenberg: Sicher, aber das betrifft ganz Europa. Ganz Europa ist etwas zu abhängig vom großen Lieferanten Russland. Europa hat sicherlich vernachlässigt, seine Energiequellen zu diversifizieren. Wir haben viel zu wenig geschaut, was es in Afrika oder sonst wo gibt. Wir haben uns auf den Mythos der russischen Verlässlichkeit verlassen. Der ist ja auch mit der Sowjetunion etwas dahin gegangen. Heute wird Gas und Öl auch bewusst als politisches Instrument eingesetzt. Da haben sich die Zeiten verändert.

Wir müssen sicherlich eine größere Vielfalt an Energiequellen haben. Das ist überhaupt keine Frage. Und wir müssen innerhalb Europas für eine größere Vernetzung sorgen. Das heißt, dass wir also die Leitungen nicht nur von Ost nach West bauen, sondern auch von Nord nach Süd und umgekehrt, so dass – wenn ein Land unverschuldet dann in Schwierigkeiten gerät – dem sofort geholfen werden kann. Das hat Gott sei Dank auch die Kommission erkannt und nun für diesen Vorschlag auch budgetmäßig die ersten Summen dafür vorgesehen. Wir müssen versuchen, auch andere Quellen aufzutreiben und auch Energiequellen suchen, die reproduzierbar sind.

Deutschlandradio Kultur: Haben die Europäer mit dieser gemeinsamen Energiepolitik innerhalb Europas in den letzten Jahren geschlafen oder ist die Notwendigkeit einfach jetzt da, da wir gesehen haben, dass die Abhängigkeiten groß sind?

Karel Schwarzenberg: „Schlafen“ ist vielleicht übertrieben. Wenn es scheint, dass alles gut geht, sind die wenigsten so vorausschauend, dass sie die notwendigen Schritte unternehmen. Das ist die normale menschliche Natur.

Deutschlandradio Kultur: Herr Schwarzenberg, am 7. Mai soll unter der tschechischen EU-Ratspräsidentschaft in Prag diese östliche Nachbarschaft formell ins Leben gerufen werden. Mit dabei sind Länder wie Armenien, Aserbaidschan, Georgien, Moldawien, die Ukraine und Weißrussland. Warum eigentlich diese Auswahl aus echten Nachbarn und aus Nachbarn, die doch relativ weit entfernt von der Grenze sind?

Karel Schwarzenberg: Weißrussland, Ukraine und die Moldau grenzen direkt an. Und dann sind da Georgien, Armenien und Aserbaidschan, mit denen uns sehr viel verbindet.

Deutschlandradio Kultur: Was verbindet uns mit Aserbaidschan außer der Tatsache, dass wir möglicherweise über das Kaspische Meer Öl und Gas bekommen?

Karel Schwarzenberg: Bereits das ist relativ viel, gar nicht so wenig. Wir dürfen nicht vergessen, dort haben europäische Gesellschaften das Öl bereits vor 100 Jahren erschlossen. Das waren übrigens auch die Frankfurter Rothschilds dabei, die damals wesentlich in Baku beteiligt waren.

Deutschlandradio Kultur: Schließen Sie damit auch die Südflanke über die Türkei?

Karel Schwarzenberg: Schauen Sie, es sind da also diese Länder und dann der große Nachbar im Süden, da ist die Türkei, das ist der große Nachbar im Norden, die zweifellos zu einer Mitarbeit eingeladen sein werden, allerdings nicht als Mitglied in dieser Nachbarschaftspolitik. Die Türkei ist schlicht und einfach im Unterschied zu den anderen ein Kandidatenland für die Europäische Union. Sie hat einen anderen rechtlichen Status als die Länder, die – wie Armenien oder die Ukraine oder auch Moldawien – vorderhand noch nicht diesen Status haben. Aber natürlich ist die Türkei ein wichtiger Nachbar und wir werden mit ihr zusammenarbeiten.

Dasselbe gilt für Russland. Russland strebt gar nicht an, Mitglied der Europäischen Union zu werden. Es ist so groß, dass es das Format etwas sprengen würde. Wenn Sie einen Stall bauen, wo Sie Rinder- und Schafhaltung betreiben können, können Sie schwer einen Elefanten hineinstellen.

Deutschlandradio Kultur: Trotzdem haben die Russen vielleicht ein Problem und das ist auch nachvollziehbar. Wenn Sie diese östliche Nachbarschaft vorantreiben, könnten die Russen ja auch sagen – das tun auch manche –, wir fühlen uns irgendwann umzingelt.

Karel Schwarzenberg: Ich hoffe, dass wir mit Russland an manchen Projekten zusammenarbeiten werden. Das ist auch voll beabsichtigt, dass Russland sich an gemeinsamen Projekten beteiligt. Nur, wie gesagt, mit Russland würde das ganze Projekt eine ganz andere Dimension bekommen. Das wäre nicht sehr sinnvoll. Wir können an Projekten arbeiten. Wir können östliche Nachbarschaftsverbindungen aufnehmen mit Ländern, die sozusagen für uns noch größenmäßig übersehbar sind. Russland ist etwas ganz anderes. Russland ist eine Welt für sich – nicht dass das gegen Russland gerichtet wäre, sondern weil das jede Dimension sprengt.

Deutschlandradio Kultur: Reden wir noch mal über unsere direkten Nachbarn, also Weißrussland, Ukraine, Moldawien. Was haben Sie mit denen vor?

Karel Schwarzenberg: Wir sind uns bewusst, dass wir nie ganz ruhig leben und unsere Wirtschaft betreiben können, wenn diese Länder nicht auch eine ähnliche Entwicklung haben wie wir. Das heißt, dass die Wirtschaft dort gedeiht, wofür die Voraussetzung ist, dass man dort eine Good Governance hat, also, eine vernünftige Regierung, vernünftige Verwaltung, und dass man sich auch auf das Recht und die Gerichtsbarkeit verlassen kann. Da mangelt es in manchen dieser Länder noch gewaltig und das ist natürlich für jedes Unternehmen ein Risiko.
Also, wir sind interessiert, das auszubauen und natürlich auch die Demokratie, die wir grundsätzlich in unserer Nachbarschaft haben möchten. Wir möchten von demokratischen Nachbarn umgeben sein, die eine ruhige positive wirtschaftliche Entwicklung haben. Das ist in unserem höchsteigenen Interesse.

Deutschlandradio Kultur: Nehmen wir mal den Präsidenten Lukaschenko in Weißrussland. Wollen Sie mit dem als Europäische Union reden, mit einem nicht unbedingt waschechten Demoraten verhandeln? Wollen Sie ihn isolieren oder wollen Sie ihn nach Prag einladen?

Karel Schwarzenberg: Die Weißrussen haben doch einige positive Schritte unternommen. Weißrussland hat sehr viel Häftlinge entlassen aus den Gefängnissen. Es hat sogar zwei unabhängige Publikationen zugelassen. Wenn dieser Trend anhält, wollen wir auch Weißrussland als Partner ernst nehmen.

Sollten natürlich wieder neue Verhaftungswellen oder ähnliche Dinge sein, dann schaut die Sache anders aus. Aber, wie gesagt, die beiden Oppositionsführer sind also fröhlich in Europa unterwegs und können hin- und zurückreisen. Wenn dieser Trend anhält, dann ist sicherlich Weißrussland ein ernstzunehmender Partner. Keines dieser Länder, wie auch wir, waren perfekte Demokraten. Wir sollen bitte nicht so eingebildet sein.

Deutschlandradio Kultur: Argumentieren Sie da nicht unterschiedlich? Gegenüber Minsk sind Sie bereit, einen Vertrauensvorschuss zu geben. Wenn die Deutschen Moskau gegenüber einen Vorschuss geben wollen, sagen Sie: „Vorsichtig, die Brüder kennen wir.“

Karel Schwarzenberg: Mein Vertrauensvorschuss gegenüber Moskau ist genauso groß wie bei Minsk. Der kleinere Unterschied ist, dass tendenziell in Russland die Entwicklung in den letzten Jahren bedauerlicherweise eher zur Autokratie ging.

Deutschlandradio Kultur: Aber sind Sie nicht skeptischer als wir im alten Westen gegenüber Russland? Man hört doch immer wieder, dass es aus Ihrer Richtung die Warnung gibt: „Seht euch vor!“

Karel Schwarzenberg: Wir sind nicht misstrauischer, wir sind nur erfahrener.

Deutschlandradio Kultur: Jetzt haben wir ja einen neuen amerikanischen Präsidenten. Der spricht auch davon, man müsse einen Neuanfang in den Beziehungen zu Russland finden. Und dazwischen ist Europa. Wie kann Europa Herrn Obama helfen und ihm sozusagen vielleicht sogar eine „Roadmap“ im Umgang mit Russland geben?

Karel Schwarzenberg: Ich glaube, das kann nur beiderseitig geschehen. Wenn Russland auch seine Politik etwas ändert, wird das die Situation auch ändern.

Deutschlandradio Kultur: Sehen Sie denn schon Fortschritte?

Karel Schwarzenberg: Vorderhand noch nicht. Im letzten Dreivierteljahr haben wir ernüchternde Erfahrungen mit Russland gehabt – sei es, was in Georgien passiert ist, sei es der bewusste Einsatz von Gas und Öl als politische Waffen. Beides ist zu vermerken.

Deutschlandradio Kultur: Barack Obama kommt Anfang April auch nach Prag, nach Europa. Dort wird die EU die üblichen Gespräche mit den Vereinigten Staaten führen. Ein Thema ist Afghanistan. Hat die EU für die neue Afghanistanstrategie, die derzeit diskutiert wird, ein Konzept?

Karel Schwarzenberg: Wir waren in der Europäischen Union dafür, dass die Afghanistanpolitik eine viel stärker zivile Seite haben muss. Das beginnt bei den großen Ländern, aber auch bei kleineren Ländern, wie wir. Wir haben auch unser PRT (Provincial Reconstruction Team, Anm. d. Red.) in Afghanistan, wo die Erfahrungen ja äußerst interessant und teilweise sehr positiv sind.

Deutschlandradio Kultur: Eine zivile Aufbautruppe.

Karel Schwarzenberg: Ja. Es ist uns klar, dass wir gerade im zivilen Sektor sehr viel Entwicklungshilfe leisten müssen – den Aufbau eines funktionierenden Polizeicorps, den Aufbau eines funktionierenden Straßennetzes, eine ordentliche Verwaltung. Das alles wird einige Jahre dauern, aber ich sehe die Sache noch nicht völlig hoffnungslos. Und ich glaube, das Interessante ist eben, dass die neue amerikanische Administration ein durchaus ernstes Gespräch mit uns führen will, wobei sie sehr viele Elemente des europäischen Ansatzes übernommen haben. Sie sind sich aber auch darüber klar, dass jetzt eine gewisse verstärkte militärische Anstrengung auch notwendig ist. Ich hoffe nur, dass Europa auch imstande sein wird, seinen Beitrag zu leisten.

Deutschlandradio Kultur: Da stellt sich schon die Frage: Wer sind auf afghanischer Seite eigentlich die Ansprechpartner? Ist es allein Herr Kasai oder muss man auch mit den Fürsten in den Provinzen reden?

Karel Schwarzenberg: Ich glaube, man muss mit sehr vielen in Afghanistan reden. Afghanistan war in seiner ganzen Geschichte nie ein zentralistisch regiertes Land. Das war immer ein föderal gegliedertes Land. Selbstverständlich muss man in jeder Provinz und in jedem Teil Afghanistans mit den Leuten reden, die dort Einfluss haben. Das ist doch selbstverständlich.

Deutschlandradio Kultur: Brauchen Sie da nicht auch eine Partnerschaftsinitiative, in die sie Pakistan einbeziehen, ein im Grunde ja auch demokratisches Land, Afghanistan, als ein wieder aufzubauendes Land, und den Gegner Iran?

Karel Schwarzenberg: Auch das wird notwendig sein – gar kein Zweifel, dass es darüber auch einen Dialog mit Iran geben wird. Wir haben beide Interesse daran, sowohl Europa, wie die Iraner, dass a) in Afghanistan kein Chaos ausbricht, b) auch nicht, dass die Taliban siegt. Iran hat ja die Taliban als direkte Gegner gesehen. Wir haben da gemeinsame Interessen und da sollten wir auch zusammen reden und zusammenarbeiten. Nicht zuletzt ist Iran natürlich auch besorgt über die Ausfuhr von Drogen aus Afghanistan.

Deutschlandradio Kultur: Wenn wir diese Zusammenarbeit forcieren wollen, stellt sich natürlich auch immer die Frage: Über welches Zeitfenster reden wir? Wenn Sie dieses „nation-building“ machen wollen in Afghanistan, muss man dann nicht ehrlicherweise auch sagen, so gut man das auch immer macht, das dauert nicht Jahre, das dauert fast Jahrzehnte? Das muss man zur Kenntnis nehmen.

Karel Schwarzenberg: Das wird sicher etliche Jahre dauern. Gar kein Zweifel, Sie können ein unglückseliges Land, das durch Jahrzehnte in diverse Kriege verwickelt war, wo sehr viel vernichtet wurde, nicht in ein paar Monaten aufbauen.

Deutschlandradio Kultur: Wir haben eine Entwicklungsregion direkt auf unserem Kontinent, nämlich den Balkan. Wie soll es da in Ihrer Präsidentschaft weitergehen? Was würden Sie sich wünschen, was man erreichen könnte?

Karel Schwarzenberg: Meiner Ansicht nach müssen wir sehr energisch daran arbeiten, dass die Westbalkanländer in die Europäische Union hereingeführt werden. Es ist ein Teil Europas. Wir können nicht behaupten, dass wir eine wirkliche Europäische Union haben, wenn wir einen Teil Europas auslassen. Die Lösung der ziemlich vielen Balkanprobleme ist ja eigentlich die Mitgliedschaft in der Europäischen Union. Warum?

Erst in dem Moment, wo Grenzen so wie in Europa irrelevant werden, verliert auch der dort starke Nationalismus – ungefähr so stark, wie er vor 80 Jahren bei uns in Europa war – einen wesentlichen Nährboden. Zweitens: Die Armut im Balkan ist groß. Und wiederum, wir haben es ja selber erlebt in der Tschechischen Republik Anfang der 90er Jahre. Große Investitionen sind erst ins Land gekommen, als wir Mitglied der Nato geworden sind und der Europäischen Union. Nichts ist feiger auf der Welt als Geld. Geld geht nur dorthin, wo es sich sicher fühlt. Und das ist nun einmal mit der Mitgliedschaft in der Europäischen Union verbunden.

Drittens haben wir den Balkanländern die ganzen Jahre versprochen, dass – wenn sie die notwendigen Reformen durchführen – sie auch wirkliche Chancen haben, Mitglieder zu werden. Ich weiß selber, weil ich diese Gegenden recht gut kenne, dass das das wesentliche Motiv war, zahlreiche, auch sehr unangenehme Reformen anzugehen.

Wenn wir jetzt von Seiten der Union unser Wort nicht halten werden und sagen, liebe Freunde, es ist ja schön, dass ihr Reformen macht, wir haben es uns aber überlegt und ihr werdet am Sankt-Nimmerleins-Tag irgendwann zur Mitgliedschaft berufen werden, dann demotivieren wir den ganzen demokratischen Reformprozess in den Balkanländern. Und das wäre ein Verbrechen.

Deutschlandradio Kultur: Welches Zeitfenster schwebt Ihnen vor? Wenn Sie morgen oder im Sommer Wahlkampf machen, können Sie keinen Wahlkampf machen, wo Sie sagen, Albanien soll in die EU.

Karel Schwarzenberg: Ich werde Ihnen was sagen: Wir sollen, so wie wir selber gesagt haben, auch fortschreiten. Wenn Albanien eventuell im Sommer seinen Antrag stellen wird, dann müssen wir, so wie bei allen anderen Ländern, prüfen, welche Voraussetzungen gegeben sind und welche Schritte die einleiten müssen, um europareif zu werden. Dann müssen wir sie genauso behandeln, wie alle anderen Länder.

Deutschlandradio Kultur: Und wir müssen unsere eigenen Hausaufgaben machen. Sprich: Wir brauchen den Verfassungsvertrag. Sonst geht gar nichts.

Karel Schwarzenberg: Das weiß ich, das ist mir durchaus klar, obwohl dies ursächlich nichts miteinander zu tun hat. Es haben da mehrere europäische Länder das Junktim aufgestellt, obwohl ich meinen leisen Zweifel habe, ob der biedere Bürger in der Grafschaft Cork in Irland sein Verhalten beim Referendum über den Lissabonner Vertrag danach richten wird, ob Montenegro oder Albanien Zutritt in die Europäische Union haben werden. Das interessiert ihn überhaupt nicht. Ein Referendum wird immer mehr nach innerpolitischen Gründen entschieden. Jetzt ist man durch die Wirtschaftskrise scheinbar mehr der Europäischen Union zugeneigt, aber das hat alles eigentlich mit den Beitrittsländern nichts zu tun. Da haben wir ihnen nur ziemlich willkürlich Hindernisse aufgestellt, um sozusagen zu demonstrieren, dass uns der Lissabonner Vertrag über alles geht.

Ich bin ein eiserner Verteidiger des Lissabonner Vertrags. Ich kämpfe in meinem eigenen Land dafür – Vorträge, Diskussionen, Parlament, wo Sie wollen. Aber dennoch – sage ich Ihnen ehrlich – haben diese Fragen nichts miteinander zu tun. Dieses Junktim hat man künstlich aufgebaut um einen Prozess zu verzögern und einen anderen Prozess zu beschleunigen.

Deutschlandradio Kultur: Im Umkehrschluss könnte man dann auch sagen: Albanien und die anderen Balkanländer können in die EU rein, unabhängig davon, ob wir den Verfassungsvertrag haben oder nicht?

Karel Schwarzenberg: Schauen Sie: Jetzt ist es so aufgestellt, das haben Deutschland, Frankreich und andere Länder erklärt, dass sie das nicht haben wollen, solange nicht der Lissabonner Vertrag unterschrieben ist. Das müssen wir als eine politische Realität akzeptieren. Ich akzeptiere das auch so. Wir werden also die nächsten Aufnahmen erst haben, wenn der Lissabonner Vertrag endgültig ratifiziert ist. Das ist mir durchaus klar, dass das die politische Realität ist. Ich habe nur gesagt, der Denkansatz ist hier etwas merkwürdig.

Deutschlandradio Kultur: Wir haben Anfang Juni europäische Wahlen zum Europäischen Parlament. Es ist sicherlich zu befürchten, dass die Wahlbeteiligung nicht sehr groß sein wird. Wenn Sie rund um Ihre Prager Stadtwohnung Wahlkampf machen, mit welchen Argumenten versuchen Sie, Ihre Bürger dazu zu bekommen, doch zur Stimmabgabe zu gehen?

Karel Schwarzenberg: Mit dem einfachsten, wie bei jedem Wahlkampf: Wenn Ihr Euch an einer Wahl nicht beteiligt, wollt Ihr Euch nicht an der Gestaltung Eurer eigenen Zukunft beteiligen. Immer mehr Entscheidungen werden ins Europäische Parlament verlegt. Unsere nationalen Parlamente werden zwar ihre eigene Bedeutung haben, aber die wichtigsten Entscheidungen werden im Europäischen Parlament respektive in Brüssel getroffen. Schaut zu, dass Ihr Euch daran beteiligt. Schaut zu, dass Ihr wirklich die richtigen Leute ins Parlament nach Straßburg entsendet. Es geht hier um Eure Zukunft.

Deutschlandradio Kultur: Und auf welche Erfolge Ihrer EU-Ratspräsidentschaft würden Sie gerne bei diesem Wahlkampf hinweisen?

Karel Schwarzenberg: Ich würde sagen, das werden wir nach Abschluss unserer Präsidentschaft sagen können. Man soll nie sein Werk loben, bevor es nicht abgeschlossen ist. Ich bin kein Freund des übertriebenen Selbstlobes. Wie gesagt, ich glaube, wir haben die bisherigen Krisen ganz vernünftig bestanden. Wir arbeiten emsig daran, dass wir auch die zweite Hälfte unserer Präsidentschaft jetzt gut absolvieren werden. Aber ich werde nicht vorzeitig etwas loben, was noch nicht abgeschlossen ist – ich denke nicht daran.

Deutschlandradio Kultur: Wir danken für das Gespräch.

Karel Schwarzenberg: Bitte sehr.