EU-Parlamentarierin rechnet nicht mit Gewalt im Kosovo

Moderation: Hanns Ostermann |
Die Europaparlamentarierin der Fraktion der Grünen, Gisela Kallenbach, geht davon aus, dass es nach der für Sonntag erwarteten Unabhängigkeitserklärung des Kosovos nicht zu gewalttätigen Konflikten kommt. Sie gehe davon aus, "dass die Vernunft sich durchsetzt und die Menschen nicht wieder aufeinander schießen", sagte die Grünen-Politikerin.
Hanns Ostermann: Wird es ein ruhiger Übergang in die Unabhängigkeit? Voraussichtlich am Sonntag wird sich das Kosovo für unabhängig erklären, trotz der Störfeuer aus Russland, trotz der Warnungen Belgrads auch heute Nacht wieder vor dem Weltsicherheitsrat. Die Kosovo-Albaner wissen die meisten europäischen Staaten hinter sich, natürlich auch die USA. Und trotzdem, es brodelt in dieser Unruheprovinz. Über ihre Perspektiven möchte mich mit Gisela Kallenbach sprechen. Sie sitzt für die Grünen im EU-Parlament, und sie war bis 2003 so etwas wie die oberste Verwaltungschefin in Peja oder Peč. Guten Morgen, Frau Kallenbach!

Gisela Kallenbach: Guten Morgen, Herr Ostermann!

Ostermann: Kommt es am Sonntag zur einseitigen Unabhängigkeit? Rechnen Sie mit Unruhen, möglicherweise mit Gewalt?

Kallenbach: Ich rechne nicht mit Gewalt. Es wird ein Freudentaumel aufseiten der Kosovo-Albaner geben, und ich setze darauf, dass sie sich vernünftig durchsetzt und die Menschen nicht wieder aufeinander schießen.

Ostermann: Nun haben Sie aus eigener Anschauung den abgrundtiefen Hass zwischen Serben und Albanern erlebt. Welche Schritte sind da nötig, damit beide Seiten aufeinander zugehen?

Kallenbach: Ich denke, zuallererst ist es jetzt bei den Kosovo-Albanern in der Mehrheit, dass sie deutliche Signale, und zwar vor Ort, senden und sagen, ihr gehört zu uns, ihr Kosovo-Serben oder auch ihr Roma. Bleibt hier, ihr gehört dazu. Und ich glaube daran, dass sie sich in Zukunft arrangieren werden.

Ostermann: Das ist ein Appell, den Sie da aussprechen. Auf der anderen Seite, ich sag es noch einmal, es gibt einen abgrundtiefen Hass, es gibt Vorbehalte, Sie appellieren. Was muss konkret getan werden? Sind die Menschen wirklich schon so weit?

Kallenbach: Herr Ostermann, ich glaube nicht daran, dass alle Kosovo-Albaner und alle Kosovo-Serben sich abgrundtief hassen. Es gibt sehr, sehr viele Beispiele dafür, ich habe aber auch sehr viele Beispiele kennengelernt, wo Leute gesagt haben, wir haben miteinander gelebt, und wir werden auch in Zukunft wieder miteinander leben. Sie müssen, beide oder alle Völkergruppen, die dort zusammenleben, müssen die gleichen Voraussetzungen bekommen. Dafür muss auch die Europäische Mission sorgen. Es gibt nach dem Ahtisaari-Plan ja ganz klare Gesetze, die die Minderheiten, ihnen ihre Rechte zusichern, und das muss umgesetzt werden.

Ostermann: Wir kommen auf die EU-Krisenmission gleich noch mal zu sprechen. Aber welche Rechte sind es vor allem, die die Minderheiten jetzt in Anspruch nehmen müssen und die sie erwarten dürfen?

Kallenbach: Man muss bei der insgesamt wirtschaftlich angespannten Lage dafür sorgen, dass sie gleichberechtigten Zugang zu den wenigen Arbeitsstellen haben. Man muss bei Wohnraum auch gleiche Konditionen einrichten. Es heißt also, gleiche Bedingungen, egal, ob ich Albaner oder Serbe bin, das wird schwer genug sein, das durchzusetzen, aber dafür muss nicht nur die kosovo-albanische Regierung auf den verschiedenen Ebenen, sondern auch die EU als Begleitung sorgen.

Ostermann: Steht diese EU-Krisenmission EULEKS, die Sie eben gerade angedeutet haben, etwa 1800 Menschen sollen das sein, Fachleute, aber auch Polizeibeamte, steht diese Krisenmission eigentlich bereit, oder tut sich Brüssel damit zurzeit noch schwer?

Kallenbach: Nach allen Kenntnissen, die ich habe, ist diese Mission vorbereitet, und ich hoffe, dass die Mitgliedsstaaten dann auch bereit und in der Lage sind, die entsprechenden Fachleute zu senden. Es wird ja insgesamt darauf kommen, dass Richter, Staatsanwälte, Polizisten, denn das ist diese Zahl 1800 umfassend, dass die dann tatsächlich zur Verfügung stehen. Zusätzlich soll es etwa 75 Verwaltungsfachmenschen geben, die dann den Ablauf in den Institutionen begleiten.

Ostermann: Und die haben jede Menge zu tun, denn grundsätzlich gibt es im Kosovo mafiöse Strukturen, auch historisch bedingt, daran sind die Vereinten Nationen gescheitert. Was macht Sie eigentlich optimistisch, dass es hier der Europäischen Union gelingt, mittelfristig jedenfalls so etwas wie rechtsstaatliche Strukturen herzustellen?

Kallenbach: Ja, Sie können mich jetzt auf einen linken Fuß ertappen. Ich bin trotzdem überzeugt, dass die Menschen auch lernfähig sind. Sie wollen nach Europa. Sie wissen, dass Korruption, organisierte Kriminalität ein wichtiges Kriterium ist, also der Kampf dagegen, um sie auch in die Europäische Union zu integrieren. Und sie werden das nicht von heute auf morgen völlig ausrotten können, aber es muss Wege geben, dass Rechtsstaatlichkeit auch im Kosovo durchgesetzt wird.

Ostermann: Diese Rechtsstaatlichkeit und die mögliche Unabhängigkeit des Kosovo ist die eine Baustelle für die Europäische Union. Die andere, wie geht man Belgrad um, da drohen einige Kreise, die Verbindung zur Europäischen Union zu kappen. Wie groß ist diese Gefahr aus Ihrer Sicht wirklich?

Kallenbach: Ja, hier denke ich, es wird entscheidend darauf ankommen, was die Serbinnen und Serben vor Ort sagen werden. Wie ich gehört habe, hat es erste Demonstrationen gegeben mit einem klaren Signal, wir wollen nach Europa. Ich kann die Reaktionen sogar nachvollziehen. Es ist nicht einfach, einen großen Teil des Landes aufzugeben, und sicherlich sind da auch die rechtlichen Voraussetzungen nicht ganz hundertprozentig. Aber dennoch, es geht kein Weg vorbei. Und ich gehe davon aus, dass man sich auch in Serbien schrittweise damit abfinden wird. Sie überschätzen sich vielleicht, wenn sie große Sanktionen androhen. Es wird sich richten.