EU könnte Polizeiausbildung in Afghanistan übernehmen

Karl von Wogau hat eine Übernahme der Polizeiausbildung in Afghanistan durch die Europäische Union in Aussicht gestellt. Dies sei kein Misstrauensvotum gegenüber der bislang von Deutschland geleisteten Arbeit, sondern eine Fortsetzung auf europäischer Ebene, betonte der Vorsitzende des Sicherheits- und Verteidigungsausschusses im Europaparlament.
Birgit Kolkmann: Es war ein vernichtendes Zeugnis, das der US-Sicherheitsexperte Anthony Cordesman der deutschen Polizeiausbildung letzten November nach einer Afghanistanreise ausstellte: Deutschland ist gescheitert, sagte der angesehene Fachmann. Viel zu lange und umständlich sei die Ausbildung von Polizisten, dauere ein bis drei Jahre, und es wurde in Afghanistan keine effektive Polizei aufgebaut bislang. Stattdessen investieren die USA nun große Summen in die Polizeiausbildung dort. Das geht im Schnellverfahren und dauert etwa vier Wochen. Ist das eine vernünftige Alternative? Diese Frage spielt auch beim Europäischen Polizeikongress eine Rolle, der heute in Berlin beginnt. Zum Interview im Deutschlandradio Kultur begrüße ich Karl von Wogau, Mitglied der EVP-Fraktion im Europaparlament und Vorsitzender des Sicherheits- und Verteidigungsausschusses. Schönen guten Morgen!

Karl on Wogau: Morgen Frau Kolkmann!

Kolkmann: Herr von Wogau, gehört die Polizistenausbildung in Afghanistan dringend in europäische Hände?

Von Wogau: Ich glaube, dass es wichtig ist, dass Polizistenausbildung betrieben wird, denn wenn man ein Problem wie das in Afghanistan lösen will, dann geht es nicht nur allein mit militärischen Mitteln. Die sind auch notwendig, aber man muss rechtsstaatliche Strukturen aufbauen, und dazu gehört eine funktionierende Polizei.

Kolkmann: Ich fragte trotzdem eben noch mal, warum gibt man das Ganze nicht in europäische Hände, also unter die Ägide der EU, um es effektiver zu gestalten?

Von Wogau: Das ist auch durchaus möglich, dass es in absehbarer Zeit geschieht. Ich bin nicht so kritisch, wie das der amerikanische Verteidigungsminister gewesen ist, in Bezug auf die Polizeiausbildung in Afghanistan. Ich bin der Meinung, dass hier von Deutschland eine längerfristige Arbeit geleistet worden ist, die auch wichtig ist. Aber ich könnte mir gut vorstellen, dass in der nächsten Zeit eine gemeinsame europäische Aktion zur Ausbildung von Polizei auf den Weg gebracht wird.

Kolkmann: In welcher Form soll die dann funktionieren, einen Mittelweg zwischen der amerikanischen Hauruckmethode und der sehr gründlichen und langwierigen deutschen?

Von Wogau: Ich habe das beispielsweise gesehen im Kongo, wo ja auch eine der Aufgaben der Europäischen Union darin besteht, jetzt nach dem Bürgerkrieg und nach den Wahlen eine funktionierende Polizei aufzubauen, und das sind Kurse, die nicht ganz so lange sind, wie das die deutschen gewesen sind, und wo ich allgemein den Eindruck bekommen habe, dass hier etwas geleistet wird, was dann langfristig auch eine positive Wirkung hat.

Kolkmann: Was ist da anders gelaufen? Hat man dort mehr auf die Gegebenheiten im Lande, auch auf die Menschen und ihre Ausbildung, oft sind es ja Analphabeten, Rücksicht genommen und das Ganze etwas straffer gestaltet?

Von Wogau: Es war sicherlich so, dass dort der zeitliche Druck auch größer gewesen ist, weil es ging ja darum, innerhalb von verhältnismäßig kurzer Zeit auch zur Absicherung der Wahlen funktionierende Polizeikräfte aufzustellen. Das heißt, diese Polizeiausbildung war nicht ganz so gründlich wie das, was von der Bundesrepublik Deutschland in Afghanistan geleistet wird, und vielleicht ist es möglich, hier einen Mittelweg zu gehen.

Kolkmann: Nun kann man ja nicht sagen, dass der Druck in Afghanistan nicht groß wäre, angesichts der desolaten Sicherheitslage.

Von Wogau: Sicherlich. Der Druck ist auch außerordentlich groß, da haben Sie Recht.

Kolkmann: Die USA haben ja im Prinzip mit dieser doch sehr scharfen Kritik versucht auch vielleicht die Deutschen etwas zu desavoieren, investieren auch sehr viel mehr Geld. Woran liegt es denn nun, liegt es am Geld oder liegt es an den Inhalten der Ausbildung?

Von Wogau: Ich glaube, es sind auch zwei grundsätzliche unterschiedliche Ansätze. Bei unseren amerikanischen Verbündeten habe ich manchmal den Eindruck, dass sie darauf bauen, wenn man dort mehr Soldaten hinschickt, wird man das Problem in absehbarer Zeit lösen können, während ich davon überzeugt bin – und das ist auch die Strategie der Europäischen Union in vergleichbaren Fällen -, dass es nicht möglich ist, dieses Problem mit militärischen Mitteln allein zu lösen, sondern dass diese rechtstaatlichen Strukturen und insbesondere auch eine funktionierende Polizei dabei eine sehr wesentliche Rolle spielen. Das heißt also, ich glaube, das sind grundsätzliche unterschiedliche Ansätze, die hier miteinander zu vergleichen sind.

Kolkmann: Die Deutschen bilden ja schon seit den fünfziger Jahren in Afghanistan Polizisten aus. Geht es da vielleicht auch manchmal darum, dass hier unser Rechtsverständnis und unser Verständnis von einem Bürger als Polizist dorthin exportiert wird und es da nicht so ganz passt?

Von Wogau: Es ist sicherlich so, dass die gesellschaftliche Wirklichkeit dort sehr anders ist und dass es notwendig ist, sich darauf einzustellen.

Kolkmann: Es gibt Berichte, dass also es dort zum Teil gar keine Polizeistationen gibt, sondern dass Ausbilder angehende Polizisten oder solche, die es schon waren, in Erdlöchern antrafen, in denen auch Schlangen zu Gast waren.

Von Wogau: Ja, das ist richtig, und das Weitere ist dann, wenn man dann einen Übeltäter verhaftet hat, dann ist die Frage, wie geht dann weiter. Dann geht es ja weiter bis zu dem Gerichtssystem, und auch hier ist auch ein großer Mangel, dass es eben noch kein funktionierendes Gerichtssystem gibt.

Kolkmann: Mit Polizei allein lässt sich ja der Terrorismus nicht bekämpfen. Es gibt ja Vorschläge, dass man auf mehreren Wegen unterwegs sein sollte. Einmal die Polizei, die im normalen Alltagsleben dann eingesetzt werden kann. Auf der anderen Seite paramilitärische Polizeikräfte, die dann im Antiterrorkampf mehr eingesetzt werden, also paramilitärische Kräfte etwa wie die italienischen Carabinieri. Wäre das ein gangbarer Weg?

Von Wogau: Die Carabinieri sind ja insofern eine interessante Einrichtung ebenso wie die französische Gendarmerie, als das einerseits Soldaten, andererseits aber auch Polizisten sind, die auch eine Polizeiausbildung haben und polizeiliche Aufgaben durchführen können. Wenn die Europäische Union da tätig wird, dann ist es durchaus auch möglich, dass hier Carabinieri oder Leute von der Gendarmerie eingesetzt werden, die gerade dann für solche Aufgaben besonders geeignet sind.

Kolkmann: Ganz konkret: Was glauben Sie, wann die Europäische Union dort tätig werden wird?

Von Wogau: Ich kann hier keine sichere Voraussage machen, aber ich könnte mir vorstellen, dass hier in den nächsten Monaten die notwendigen Entscheidungen fallen.

Kolkmann: Ist das auch ein Misstrauensvotum gegen die deutsche Bundesregierung?

Von Wogau: Nein, keinesfalls. Das wäre die Fortsetzung von dem, was die Deutschen gemacht haben, auf der europäischen Ebene.

Kolkmann: Das war Karl von Wogau, Mitglied der EVP-Fraktion im Europaparlament und Vorsitzender des Sicherheits- und Verteidigungsausschusses, zur Polizeiausbildung vor allen Dingen in Afghanistan vor dem Hintergrund des europäischen Polizeikongresses, der heute in Berlin beginnt. Vielen Dank dafür.

Von Wogau: Vielen Dank auch.