EU könnte im Gas-Streit zur Kasse gebeten werden

Georg Erdmann im Gespräch mit Jörg Degenhardt |
Der Präsident der internationalen Gesellschaft für Energiewirtschaft, Georg Erdmann, erwartet, dass am Ende des Gas-Streits zwischen Russland und der Ukraine die Europäische Union Teile der ukrainischen Schulden an Gazprom übernehmen könnte. Die EU habe sich deshalb bislang davor geziert, sich mit an den Verhandlungstisch zu setzen. Aber es sei klar, dass Brüssel zur Kasse gebeten würde, sobald EU-Vertreter dort Platz nähmen.
Jörg Degenhardt: Der Gasstreit zwischen Russland und der Ukraine bedroht die Gasversorgung in Europa. Auch in Deutschland kam es zu ersten Lieferausfällen. Die Europäische Union hat inzwischen protestiert gegen die Engpässe, die der russische Gasmonopolist Gazprom in Moskau bestätigt hat. Die betroffenen Staaten greifen auf Lagerbestände zurück, um Haushalte und Unternehmen weiter zu versorgen, oder (im Fall Bulgarien) man denkt darüber nach, alte Atomkraftwerke wieder hochzufahren. Spürbar war die Verknappung auch in der Türkei, eben in Bulgarien, in Rumänien, Österreich, Griechenland, Mazedonien, Kroatien und Ungarn.

Mein Gesprächspartner ist jetzt Georg Erdmann, der Präsident der Internationalen Gesellschaft für Energiewirtschaft. Das ist die zuständige Weltvereinigung mit Sitz in Cleveland (Ohio). Guten Morgen, Herr Erdmann.

Georg Erdmann: Guten Morgen, Herr Degenhardt.

Degenhardt: Wie ernst muss man denn die gegenwärtigen Lieferprobleme nehmen, denn ich entsinne mich: Die gab es doch eigentlich auch Anfang des letzten und des vorletzten Jahres?

Erdmann: Was hier ja passiert ist, dass zwei Parteien zu Lasten europäischer Länder ihren Gasstreit austragen. So wie es scheint ist die Ursache, dass eines der Länder, nämlich die Ukraine, ihre Gasrechnungen nicht bezahlt hat - das haben sie auch selbst irgendwo zugegeben -, das aber jetzt im Augenblick tun oder jedenfalls teilweise tun. Aber ich vermute, dass trotzdem der Gasstreit noch ein bisschen weiter zündelt, in der Hoffnung, dass die Europäische Union einen Teil der Rechnungen von der Ukraine gegenüber der Gazprom übernimmt. Die Europäische Union hat sich ja bisher ein bisschen geziert, sich da an den Verhandlungstisch mitzusetzen, weil es ist klar: sobald die dort da sitzen, werden sie zahlen. Aber so werden wir diesen Konflikt vermutlich in einigen Tagen oder Wochen auch bereinigen.

Degenhardt: Wie lange reichen denn, wenn Sie sagen, es kann sich noch ein bisschen hinziehen, Ihrer Kenntnis nach Deutschlands Reserven?

Erdmann: Die deutschen Reserven sind relativ gut. Wir haben ja nicht nur eigene Erdölquellen, sondern wir haben auch ein paar Nachbarländer, die uns außerhalb von der Ukraine, also dieser Transitleitung durch die Ukraine, Gas liefern können. Dazu gehört auch die Leitung durch Polen, wo auch dann Gas von der Gazprom nach Deutschland gelangen kann. Aber es gibt eben die Länder, die Sie eben im Anspann moderiert haben. Das sind alles Länder, die nur eine einzige Zugangsleitung haben, und die geht eben über die Ukraine. Die sind jetzt eben einseitig von der Ukraine abhängig. Die Lehre, die man daraus ziehen kann, ist natürlich: je besser man diversifiziert ist, je mehr Alternativen man hat, desto weniger schlimm trifft es in einer solchen Situation ein Land.

Degenhardt: Die Länder, die abhängiger sind von dem Erdgas der Russen, das sind - Sie haben es auch angedeutet - Rumänien oder Bulgarien. Bulgarien denkt darüber nach, ein altes Atomkraftwerk wieder hochzufahren. Müsste es nicht auch so etwas wie einen europäischen Gasmarkt geben, der dann dazu führt, dass man sich untereinander hilft durch entsprechende Einspeisungen, wenn das Erdgas zum Beispiel in Osteuropa knapper ist, um sich so auch unabhängiger zu machen von Russland?

Erdmann: Ja, das müsste es geben. Aber das Problem an dieser Stelle ist: Es müsste dazu erst mal die technische Infrastruktur geben und solange die nicht existiert, nutzt ein gemeinsamer Gasmarkt relativ wenig. Wenn es eben keine Gasleitung gibt, die Rumänien zum Beispiel von einer anderen Richtung aus mit Gas versorgen kann, dann hilft uns alles nichts.

Was man natürlich trotzdem auch bei dieser Stelle sehen muss, wenn man etwas langfristiger denkt: Wir müssen mehr Infrastruktur machen. Wir haben zum Beispiel das Projekt Northstream. Das ist eine Ostsee-Pipeline, die von der Nähe von St. Petersburg bis nach Deutschland gehen soll. Wenn man sich überlegt, woran das scheitert oder im Augenblick es schwierig ist, dass diese Leitung gebaut wird: Es gibt überall Einsprachen. Das ist so ähnlich wie in Deutschland, wenn irgendeiner einen neuen Parkplatz bauen will, dann sind ringsum alle dagegen. Dadurch wird der Ausbau der Infrastruktur, der ganz offensichtlich notwendig ist, um auch die Versorgungssicherheit zu vergrößern, eben behindert.

Degenhardt: Warum ist denn bei diesem Ausbau der Infrastruktur, den Sie gerade angemahnt haben, in den letzten Jahren so wenig passiert, denn diese Verwundbarkeit Westeuropas bei der Gasversorgung, die ist ja so neu nicht? Hat man zu sehr Moskau vertraut?

Erdmann: Wir dürfen ja Moskau vertrauen. Das Problem ist ja nicht Moskau an dieser Stelle, sondern die Ukraine. Deswegen besteht ja ein Teil dieser Pläne, die Infrastruktur zu erweitern, darin, dass man weitere Pipelines auch von Sibirien aus, von Russland aus nach Westeuropa baut, aber unter Umgehung der Ukraine. Das ist diese einseitige Abhängigkeit. 80 Prozent des Gases, was aus Russland nach Deutschland oder nach Europa geliefert wird, fließt im Augenblick über die Ukraine. Wenn diese Quote, sagen wir mal, auf 40 Prozent reduziert worden ist, dann würde das Problem mit der Ukraine nicht mehr so Auswirkungen auf Westeuropa haben, wie das im Augenblick der Fall ist.

Wenn man das zweite natürlich sieht: Es gibt ja einige, die sich rühmen, im letzten Jahr acht Kohlekraftwerkspläne in Deutschland zunichte gemacht zu haben. Dann muss man sich natürlich auch wieder die Frage stellen, ja was soll denn dann als Ersatz sein? Sollen wir dann so ähnlich wie die Rumänen oder Bulgaren eines Tages irgendwelche nicht mehr sicheren Kernkraftwerke betreiben? Windenergie wissen wir kann nicht alles erreichen. Wir werden maximal vielleicht 40, 30 Prozent regenerativen Strom irgendwo in den nächsten Jahren in Deutschland haben werden. Und was soll dann der Rest sein?

Wenn wir keine Kernenergie wollen, wenn wir keine Kohleenergien wollen, heißt das Erdgas, und dann hätten wir eben ein zusätzliches Problem auch heute und die Frage sollte man eben auch wieder im Hinterkopf behalten, ob das eine kluge Politik ist, dass man systematisch auch diese Alternative zu Gas aus der Ukraine abköpft durch politische Proteste.