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Spaniens Kampf gegen Jugendarbeitslosigkeit

Madrid im September 2012: Damals protestierten viele Spanier gegen das Sparprogramm der Regierung.
Madrid im September 2012: Damals protestierten viele Spanier gegen das Sparprogramm der Regierung. © picture alliance / dpa / Fabian Stratenschulte
Von Marc Dugge · 08.05.2014
Immer noch ist etwa die Hälfte der jungen Spanier ohne Arbeit. Die Regierung gibt sich zwar optimistisch, dass bald mehr junge Menschen einen Job finden werden. Doch ist der Kampf gegen Jugendarbeitslosigkeit tatsächlich erfolgreich?
Es tut einem Politiker immer gut, Erfolgsmeldungen zu verkünden. Einem spanischen Minister muss es ein Fest sein. Nach Jahren der Wirtschaftskrise, der täglichen, deprimierenden Nachrichten, der schmerzhaften Reformen. Arbeitsministerin Fatima Bañez García im April:
"Wir haben weniger Arbeitslose und mehr stabile Beschäftigung. Das sind klare Anzeichen des Aufschwunges, der Erholung und des Vertrauens. Im vergangenen Monat haben jeden Tag mehr als 2500 Spanier Arbeit gefunden. Das animiert uns, unseren Weg fortzusetzen, damit auch die anderen Spanier einen Job finden."
Tatsächlich: Die Wirtschaft wächst, die Exporte wachsen auch - und die Arbeitslosigkeit sinkt - auch die Arbeitslosigkeit der unter 25-Jährigen: Es seien 48.000 Jugendliche weniger ohne Arbeit als im vergangenen Jahr, so die Ministerin.Für die konservative Regierung auch ein Erfolg der Arbeitsmarktreformen der letzten Jahre.Mit ihnen wurde etwa der Kündigungsschutz gelockert.
Unternehmen haben es heute leichter, Mitarbeiter zu entlassen, Verträge zu befristen, Gehalts- und Arbeitsbedingungen festzulegen - auch: Dumpinglöhne festzulegen. Damit will Spanien international wettbewerbsfähiger werden und seine Exporte steigern.
Binnennachfrage nach wie vor schwach
Das ist umso wichtiger in einem Land, in dem die Binnennachfrage nach wie vor schwach ist. Alles also wieder im Lot im Süden? Von wegen, sagt der Ökonom José Carlos Diez:
"Ja, es entstehen Arbeitsplätze - aber Arbeitsplätze von sehr schlechter Qualität. Viele arbeiten selbständig ohne Sozialleistung und Absicherung. Andere arbeiten in Teilzeit - und die sagen zu 85 Prozent: 'Ich würde lieber Vollzeit arbeiten'' Die Zahl der Menschen in Arbeit geht zwar hoch, aber gleichzeitig geht die Zahl der Lohnempfänger runter."
Tatsächlich waren mehr als 90 Prozent der Arbeitsverträge, die im März unterschrieben wurden, befristet. Und ein Drittel davon wiederum nur Teilzeit-Verträge.
Dabei war es noch vor einigen Jahren so einfach, einen gut bezahlten Job in Spanien zu finden - im Bausektor. Während des spanischen Baubooms konnten sogar Ungelernte schon mal 5000 Euro und mehr im Monat verdienen. Kein Wunder, dass damals viele ihre Ausbildung vorzeitig abgebrochen haben. Als die Baufirmen reihenweise Pleite gingen, standen viele junge Menschen plötzlich auf der Straße.
Schlechte Perspektiven auch für gering qualifizierte Spanier
Neben den gut Ausgebildeten sind es besonders diese gering qualifizierten Spanier, die auf dem Arbeitsmarkt schlechte Perspektiven haben. Julio Camacho, Leiter des regierungsnahen "Instituts der Jugend" in Madrid:
"Die Immigranten, die Spanien in der Krise nicht verlassen haben, besetzen die gering qualifizierten Posten. So haben also auch die besser Qualifizierten noch nicht einmal die Möglichkeit, einen weniger anspruchsvollen Job zu finden. Deswegen gehen sie nach Großbritannien oder nach Deutschland."
Angelockt etwa von Förderprogrammen wie dem deutschen "MobiPro". Damit werden seit Anfang 2013 Auszubildende und junge Fachkräfte ermutigt, in Deutschland eine Lehre zu absolvieren oder eine Beschäftigung aufzunehmen. Bis Ende März haben rund 9000 junge EU-Bürger einen Förderantrag in Deutschland gestellt, knapp die Hälfte davon Spanier. Die Nachfrage übersteigt bei weitem das Angebot.
Wie mies die Lage weiterhin ist, zeigt die Umfrage eines renommierten spanischen Forschungsinstituts vom Januar. Demnach würde die Hälfte aller Befragten Jugendlichen unter 24 jeden Job nehmen - egal an welchem Ort. Erstaunlich in einem Land wie Spanien, in dem die Menschen traditionell besonders sesshaft sind. Tanía Pérez, Jugendsekretärin der Gewerkschaft CCOO:
"Die Jugendlichen gehen nicht, weil sie so einen Entdeckergeist haben, weil sie die Welt kennenlernen wollen, sondern aus purer Not. Auch die gut Ausgebildeten gehen - jene, die mit viel öffentlichem Geld in Spanien ausgebildet wurden! Ob sie je zurückkehren, ist völlig ungewiss. Sie werden jedenfalls nicht zurückkommen, um hier prekäre Arbeitsverhältnisse vorzufinden - etwa, in Cafés zu jobben oder im Bausektor."
Klinkenputzen ohne Erfolg
Der junge Spanier Oscar aus Madrid hofft noch, in seiner Heimat einen Job zu finden. Er hat bis vor vier Jahren Tiermedizin studiert. Damals, 2010, lag die Jugendarbeitslosigkeit schon bei rund 40 Prozent - und die Krise war auch bei Fachkräften und Akademikern angekommen. Seitdem geht der 26-Jährige nun schon Klinkenputzen, bisher ohne Erfolg:
"Ich weiß nicht mehr, wie viele Lebensläufe ich in all der Zeit verschickt oder persönlich abgegeben habe. Es ist manchmal schon frustrierend, einen nach dem anderen abzugeben, und oft nicht mal zurückgerufen zu werden. Manchmal ist es schon ein gutes Gefühl, überhaupt zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen zu werden, auch wenn sie dich am Ende nicht nehmen."
Viele, auch gut Qualifizierte, schlagen sich bis heute mit gelegentlichen Nebenjobs durch, mit Schwarzarbeit oder mit der Hilfe der Familie. Auch Oscar lebt noch zu Hause:
"Bei meinen Eltern wohnen zu können ist gut, ich habe ein Dach über dem Kopf, aber in meinem Alter willst du dich doch gerne langsam selbstständig machen und dein eigenes Leben leben. Meine Eltern verstehen das, auch wenn sie mich gerne hier haben - aber sie können mir ein eigenes Leben auch nicht finanzieren."
Von ihren Familien aufgefangen
Überhaupt: Wenn die Familie nicht wäre. Viele junge Spanier werden von ihren Familien aufgefangen. Die Zahl der eigenständigen jungen Spanier ist in den vergangenen Jahren zurückgegangen, so Julio Camacho vom Jugendinstitut:
"Als es der Wirtschaft noch gut ging, zogen die jungen Leute von zu Hause aus. Sie blieben auch dann noch außer Haus, als es der Wirtschaft schon schlechter ging. Als es dann immer weiter abwärts ging, kehrten die jungen Leute wieder verstärkt nach Hause zurück. Waren vorher noch 30 Prozent eigenständig, sind es heute nur noch 22 Prozent."
Davon kann auch Maria ein Lied singen. Sie ist Anfang 60 und betreibt mit ihrem Mann eine kleine Pension im Zentrum von Madrid. Das Geschäft läuft schlecht. Erst recht jetzt, da die Regierung die Steuern erhöht hat. Wegen der Krise. Gern würde sie sich zurückziehen. Aber das geht nicht.
"Ich habe vier Söhne. Zwei von ihnen, die beiden Älteren, haben einen Job, sie sind von der Krise nicht so betroffen. Aber die Jüngeren schon, einer ist ausgebildeter Arzt. Sie sind von den Eltern abhängig. Aber wir haben auch unsere Jahre auf dem Buckel, wir sind alt. Wenn wir nicht mehr arbeiten - was wird aus ihnen werden? Die beiden sind ja auch schon 30. Das ist eine verlorene Generation. Wir sehen schwarz."
Werbespot für Regierungspläne
"Sich für die Zukunft bereit machen. Die Angst vor dem Fall abschütteln, immer und immer wieder aufstehen. Schaffen wir eine bessere Zukunft, formen wir sie gemeinsam. Damit Spanien wieder zum Land der Möglichkeiten wird – auch für die Jugendlichen."
Mit diesem Video wirbt die Regierung für ihren Plan, die Jugend in Lohn und Brot zu bringen.
Ende Dezember wurde der Plan vom spanischen Parlament verabschiedet. Er ist das Ergebnis einer größeren, europäischen Initiative. Die EU-Kommission hatte vergangenes Jahr an die Mitgliedsstaaten appelliert, nationale Strategien zu entwickeln, um die sogenannte "Jugendgarantie" zu verwirklichen. Das Ziel: Alle jungen Menschen unter 25 innerhalb von vier Monaten in Lohn und Brot zu bringen - zumindest mit einem Praktikum. Und das innerhalb von vier Monaten, nachdem sie ihre Ausbildung abgeschlossen oder nachdem sie sich arbeitslos gemeldet haben.
Mehr noch: Das Jobangebot soll konkret und von hoher Qualität sein. Arbeitsministerin Fatima Bañez García:
"Wir werden sicherstellen, dass alle Jugendlichen in diesem Land von der Jugendgarantie profitieren können. Alle Beteiligten sind sich absolut einig, dass der Kampf gegen die Jugendarbeitslosigkeit weiterhin Priorität haben muss und wir Jugendlichen Jobmöglichkeiten vermitteln müssen – denn weiterhin hat jeder zweite keine Arbeit."
Sie sollen die gleichen Chancen haben
Junge Spanier sollen besser ausgebildet werden und die Jobs hochwertiger und stabiler werden. Außerdem sollen sie die gleichen Chancen haben, Arbeit zu finden. Und: Hilfen bekommen, um sich selbständig machen zu können. Um das möglich zu machen, sieht der Plan 100 Maßnahmen vor. 15 davon haben Priorität. Der Rest ist mittel- und langfristig angelegt.
Für die kommenden vier Jahre hat Spanien dafür dreieinhalb Milliarden Euro veranschlagt. Ein Drittel der Gelder kommt aus dem Europäischen Sozialfonds. Zeigt das Programm der Jugendgarantie schon Wirkung? Julio Camacho vom Jugendinstitut:
"Das Programm läuft gerade erst an. In den ersten drei Monaten sind die Voraussetzungen geschaffen worden, um mit dem Programm loszulegen. In den kommenden Monaten soll es in die Tat umgesetzt werden. Es soll auch den Unternehmen bei der Einstellung von Arbeitskräften mehr Freiheiten geben – und den Unternehmergeist fördern."
Den Gewerkschaften ist das Programm der konservativen Regierung zu wirtschaftsliberal, da es auf die Verantwortung des Einzelnen setzt. Die Regierung lasse sich außerdem zu viel Zeit, so Tanía Pérez von der Gewerkschaft CCOO:
"Wir haben jetzt Mai und wir wissen immer noch nicht, wie und wann der Plan genau umgesetzt werden soll. Währenddessen sind viele Jugendliche unter 25 deprimiert und hoffnungslos, denn sie werden alleingelassen. Wir glauben, dass die Regierung erst Ende des Jahres wirklich aktiv wird, vielleicht auch erst 2015. Denn da geht der Wahlkampf los."
Konsequenzen erst in einigen Jahren spüren
Sicher ist: Für viele junge Menschen drängt die Zeit. Denn in Spanien gilt: Wer mehr als zwei Jahre ohne Arbeit ist, dem dreht der Staat langsam den Geldhahn ab.
So gibt es Menschen und auch Familien in Spanien, die über keinerlei Einkommen verfügen - und vor dem Nichts stehen. Viele junge Menschen erleben in ihren prägenden Jahren die Perspektivlosigkeit. Sie können sich keine Existenz aufzubauen, kein Fundament für ihr späteres Leben legen, sich in Jobs ausprobieren.
Die Konsequenzen der heutigen Jugendarbeitslosigkeit wird Spanien erst in einigen Jahren zu spüren bekommen. Dann womöglich aber heftig.
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