EU-Grenze zur Türkei

Abschied von der Symbolpolitik

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Forderungen einiger Flüchtlinge an der Grenze zur EU
Einige deutsche Kommunen haben angeboten, Flüchtlinge aufzunehmen, die gerade an der EU-Grenze zwischen Türkei und Griechenland ausharren. © picture-alliance/ Anadolu Agency/Gokhan Zobar
Ines Geipel im Gespräch mit Anke Schaefer  · 03.03.2020
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Nach dem "green deal" müsse es jetzt einen "human deal" der EU-Kommission geben, sagt die Publizistin Ines Geipel. Angesichts der schwierigen Lage der Flüchtlinge an der griechisch-türkischen Grenze sollten aber auch deutsche Städte Menschen aufnehmen.
Tausende Migranten hoffen auf Einlass in die EU, doch Griechenland hält seine Grenzen geschlossen. Es werde von der Türkei aus keine Grenzübertritte geben, sagte der griechische Regierungschef Kyriakos Mitsotakis. "Griechenland kann nicht erpresst werden und lässt sich nicht erpressen." An die EU gewandt sagte er: "Griechenlands Grenzen sind auch Europas Grenzen." Als Zeichen der Solidarität mit der Regierung in Athen reiste EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen heute an die griechisch-türkische Grenze.
Die Schriftstellerin und Publizistin Ines Geipel.
Die Schriftstellerin und Publizistin Ines Geipel.© picture-alliance/Eventpress Stauffenberg
"Gut, dass sie hinfliegt", sagt die Autorin Ines Geipel. "Sie hat einen großen 'green deal' vorgelegt, jetzt geht es um einen 'new human deal'. Es seien jetzt alle politischen Kräfte gefragt. "Wir müssen neu raus aus dieser Symbolpolitik", sagt Geipel. Bundeskanzlerin Angela Merkel habe mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan diesen Deal geschlossen, nun platze das wie ein "großer Eiternoten" wieder auf. "Wir sollten nicht vergessen, dass es um Abertausende geht, die in heilloser Angst und Not leben, das ist eine ganz große Existenzfrage."

Europa unter Druck

Es gebe die beiden großen Spieler Erdogan und Russlands Präsident Wladimir Putin, die "Europa in die Mangel nehmen". Das Unstatthafte oder Widerliche sei, dass die beiden Politiker das auf dem Rücken der Flüchtlinge austrügen. "Da braucht es jetzt ganz akut Lösungen." Geipel verwies auf die Initiative einiger deutscher Städte, Menschen aufzunehmen. Sie merke bei ihren Reisen durchs Land, dass viele Kommunen dazu bereit wären. Sie sprach sich dafür aus, mit der Türkei neu zu verhandeln, aber auch diese Bereitschaft der Städte zu nutzen. "Es geht ja immer und ganz konkret und jeden Tag um ein Kind, das in der Kälte stirbt, um Familien, die auseinander gerissen werden." Die Katastrophe sei so real und existentiell. Es handele sich schließlich um Menschen, die aus dem Krieg kämen. "Wenn man selber eine Flüchtlingsgeschichte hat, dann sagt man ganz notorisch, so lange, wie möglich, die Hand offen halten."
(gem)

Ines Geipel, geboren 1960 in Dresden, betrieb sechs Jahre lang Hochleistungssport in der DDR. Nach einem Germanistik-Studium in Jena floh sie 1989 nach Westdeutschland und studierte Philosophie und Soziologie in Darmstadt. 2000 war sie Nebenklägerin im Prozess gegen die Drahtzieher des DDR-Zwangsdopings. Heute ist sie Professorin für Verssprache an der Berliner Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch, Mitarbeiterin des Hannah-Arendt-Instituts und Buchautorin. Zuletzt erschien von ihr das Buch "Umkämpfte Zone, Mein Bruder, der Osten und der Hass."