EU-Flüchtlingspolitk

Produktive Therapiesitzung in Brüssel

Bundeskanzlerin Angela Merkel, EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und UNO-Flüchtlingskommissar Antonio Guterres geben in Brüssel eine Pressekonferenz
Bundeskanzlerin Angela Merkel, EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und UNO-Flüchtlingskommissar Antonio Guterres in Brüssel © picture alliance / dpa / Olivier Hoslet
Von Thomas Otto · 26.10.2015
Die Gräben in Europa zwischen "Wir schaffen das" und "Wir wollen es nicht versuchen" sind immer noch tief. Aber die Absichtserklärungen von zehn EU-Staaten und drei Balkan-Ländern sind ein Schritt auf einem langen Weg, kommentiert Thomas Otto.
Der Untergang der EU muss vertagt werden, noch hat sich Europa nicht heillos zerstritten. Denn am – zugegeben sehr späten – Ende des gestrigen Treffens ist doch mehr herausgekommen, als von vielen Beobachtern vorher erwartet wurde. Zwar haben sich die Regierungschefs der zehn EU-Staaten und drei Balkan-Länder nur auf Absichtserklärungen geeinigt. Bindende Beschlüsse wie auf EU-Gipfeln hat das Format nicht zugelassen. Die 17 Punkte, die im Abschlusspapier stehen, gehen aber stellenweise sogar über das hinaus, was die EU-Kommission in ihrem ursprünglichen Vorschlag ausgearbeitet hatte.
Dabei hatte es erst nach dem ganz großen Krach ausgesehen, als sich vor Beginn des Treffens der slowenische Premier Cerar über seinen kroatischen Nachbarn beschwerte, der Flüchtlinge einfach nach Slowenien weiterleite, als der griechische Premier Tsipras von mehreren Seiten gerüffelt wurde, doch endlich seine EU-Außengrenze ordentlich zu sichern und der Ungar Viktor Orban sich hochnäsig zurücklehnte und meinte: Unsere Grenze ist dicht, wir sind also nicht mehr betroffen und nur als Beobachter hier. Und sowieso haben wir eh schon immer Recht gehabt.
Der angestaute Ärger muss raus
Tatsächlich schien das gestrige Treffen einen therapeutischen, karthatischen Effekt gehabt zu haben. In der Runde habe jeder Regierungschef die Situation seines Landes geschildert, erklärte nachher Gastgeber Jean-Claude Juncker. Hoch her gegangen sein soll es, dem kroatischen Regierungschef Milanovic wurde sogar eine gewisse Aggressivität unterstellt. Aber manchmal muss der angestaute Ärger einfach raus. Und manchmal hilft es schon, seinem Gegenüber einfach nur zuzuhören, anstelle sich gleich gegenseitig anzuschuldigen.
Das Ende der EU, von dem gestern auch Angela Merkel – für den Fall eines Scheiterns des Treffens – gesprochen haben soll, ist noch nicht gekommen. Auf ein akutes Problem hin wurde ein Treffen auf höchster Ebene einberufen und eine Einigung erzielt – die EU und ihre Nachbarn sind noch handlungsfähig. Auch wenn die Gräben zwischen "Wir schaffen das" und "Wir wollen es nicht versuchen" tief sind.
Vor allem müssen nun die Absichtserklärungen von gestern Abend auch umgesetzt werden. Aufnahmekapazitäten für 100.000 Menschen schaffen sich nicht von allein. Wenn auf der einen Seite Grenzen strenger kontrolliert werden sollen, muss es im Gegenzug auch legale Wege geben, Asyl zu beantragen.
Das gestrige Treffen kann nur ein Schritt sein auf einem noch sehr langen Weg. Der darf nicht dahin führen, dass am Ende der Balkan oder die Türkei zur Pufferzone für Flüchtlinge werden. Das wäre nicht nur ein Verrat an den gestern so hoch gelobten, gemeinsamen europäischen Werten. Es wäre auch der zum Scheitern verurteilte Versuch, sich aus der Verantwortung zu stehlen.
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