EU-Außenkommissarin sieht erfolgreiche europäische Politik Europas im Gaza-Konflikt

Benita Ferrero-Waldner im Gespräch mit Jörg Degenhardt |
Die Außenkommissarin der Europäischen Union, Benita Ferrero-Waldner, hat die entschlossene und erfolgreiche EU-Politik im aktuellen Konflikt zwischen Israel und Hamas hervorgehoben. Ferrero-Waldner sagte, Ziele seien ein kurzfristiger, humanitärer Waffenstillstand, um Zeit für die Verhandlung einer dauerhaften Lösung zu gewinnen.
Degenhardt: Strom gibt es bestenfalls stundenweise. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung ist von jeglicher Wasserversorgung abgeschnitten. Wegen des Mangels an Strom und Diesel arbeiten die Klär- und Abwasseranlagen kaum mehr. Verwundete Zivilisten bleiben oft tagelang unversorgt in ihren Häusern und Wohnungen. Die unverdächtige Weltbank spricht von der "unmittelbaren Gefährdung" der öffentlichen Gesundheit. Das ist die Situation im Gazastreifen.

Der UN-Sicherheitsrat hat eine sofortige Waffenruhe für das Gebiet verlangt. Auch die Europäer bemühen sich, aus kurzzeitigen Feuerpausen eine dauerhafte Waffenruhe zu machen – und das gleich an mehreren Fronten. Meine Gesprächspartnerin ist die EU-Außenkommissarin Benita Ferrero-Waldner. Ich grüße Sie. Warum trägt die EU-Nahost-Diplomatie bisher kaum Früchte?

Benita Ferrero-Waldner: Ich grüße Sie auch! Nun, zum Ersten möchte ich sagen, ich war ja Mitglied der Troika, die als Erste überhaupt Möglichkeiten angestoßen hat, wie man diesen Konflikt lösen kann. Und wir haben zumindest auf dem humanitären Sektor einiges erreicht. Wenn Sie denken, es ist eine humanitäre Krise, wir konnten das den Israelis klar vor Augen führen, die das auch anerkannt haben.

Und wenn es heute humanitäre Korridore gibt, die Möglichkeit, dass zumindest stundenweise eine Art Waffenstillstand da ist, dann hat es die Europäische Union gemacht. Gleichzeitig war aber unser politisches Ziel immer, natürlich eine dauerhafte Waffenruhe zu erreichen. Und Sie wissen, dass hier nach unserer Troika, wo wir ja die verschiedenen Positionen ausgelotet haben, der Mubarak-Sarkozy-Plan aufgestellt wurde, denn Sarkozy hat natürlich auch Teile dessen mit Recht übernommen, was wir ausgelotet hatten. Wir haben ja hier koordiniert gearbeitet.

Degenhardt: Ist es denn, um gleich Herrn Sarkozy noch mal ins Gespräch zu bringen, ist es denn in der Tat hilfreich? Der französische Präsident reist und verhandelt, der EU-Außenbeauftragte, Herr Solana, der war gerade in Ankara, um dort mit der türkischen Regierung über die Lage in Gaza zu sprechen, auch die EU-Außenminister sitzen zusammen, und Sie gibt es ja auch noch. Auf den Außenstehenden wirkt das so, es gäbe es in der Europäischen Union keine einheitliche, keine abgestimmte Linie.

Ferrero-Waldner: Nein, ganz im Gegenteil. Wir haben eine einheitliche Linie seit dem 30. Dezember. Dort war ja ein außerordentliches Außenministertreffen in Paris, noch unter französischen Präsidentschaft. Hier haben wir ganz klar als zwei wesentliche Ziele erkannt: Erstens natürlich so schnell als möglich einen Waffenstillstand, wobei wir Europäer am liebsten einen humanitären kurzfristigen Waffenstillstand wollten, um dann zu einem langfristigen natürlich die Verhandlungen führen zu können. Aber zweitens war es natürlich immer auch die Zivilbevölkerung. Wir wollten versuchen, die Zivilbevölkerung soweit als möglich in diesem furchtbaren Konflikt zu schützen.

Degenhardt: Trotzdem bleibt der Eindruck, viel Aufwand, wenig Ertrag, ich muss das so sagen.

Ferrero-Waldner: Ja, ja, wissen Sie, die Diplomatie ist nicht sozusagen die Kunst, ganz schnell alles zu schaffen, sondern es ist die Kunst, das Richtige zu tun. Und Sie wissen, wie schwierig das ist. Es geht hier um ganz diffizile, heikle Positionen. Es geht darum, sozusagen Partner davon zu überzeugen, dass es eine Lösung geben muss, die aber natürlich von beiden Seiten als äußerst unterschiedlich angesehen wird. Und ich glaube, es ist gut, dass Herr Solana zum Beispiel in der Türkei, ich bin hier in Prag, wo ich am Allgemeinen Rat teilgenommen habe, wo natürlich die transatlantischen Beziehungen und der Nahe Osten ebenfalls wieder ein wichtiger Teil waren.

Degenhardt: Frau Ferrero-Waldner, die Menschenrechtsorganisation Amnesty International hat die Europäische Union aufgefordert, den Druck auf Israel zu erhöhen, die Angriffe auf Zivilisten im Gazastreifen, die müssten ein Ende finden, so die Organisation, und Israel soll mit einem Stopp der Verhandlungen über eine engere Anbindung des Landes an die Europäische Union gedroht werden. Also, muss die EU gegenüber Israel bestimmter auftreten?

Ferrero-Waldner: Also zum Ersten brauchen wir nicht den Anstoß von Amnesty International, um zu handeln. Wir haben als Erste gehandelt. Und ich muss sagen, ich bin sehr stolz darauf, dass es mir gelungen ist, mit den Israelis erstens die humanitären Korridore zusammen mit Bernard Kouchner auszuhandeln, zweitens es zustande zu bringen, dass wir eine Kommissionspersönlichkeit direkt jetzt im israelischen Verteidigungsministerium haben, der die Organisation der Hilfslieferungen durchführt, und, wie gesagt, das in der Zwischenzeit, wobei wir alle natürlich auf die echte politische Lösung warten, die wir angestoßen haben, die aber äußerst kompliziert ist. Denn es ist ja ein ganz vielschichtiger Konflikt, der natürlich keine einfache, sondern nur eine äußerst komplizierte Lösung hat.

Degenhardt: Das heißt, ein schneller Frieden, das ist derzeit nur reines Wunschdenken?

Ferrero-Waldner: Es muss eine dauerhafte Lösung sein, die Israel davon überzeugt, dass erstens Hamas tatsächlich seine Raketen einstellt, von Gaza nach Israel, aber zweitens auch in Zukunft nicht wieder neue Raketen durch die Tunnel geschmuggelt werden.

Degenhardt: Das heißt, ein Stopp der Waffenlieferungen an die Hamas gehört mit dazu, auch ein überwachter?

Ferrero-Waldner: Selbstverständlich. Soweit als möglich ein überwachter, aber das ist noch sehr heikel, und daran wird gearbeitet.

Degenhardt: Was erwarten Sie denn konkret von der Bundesregierung, denn die hat ja, so hört man immer wieder, einen ganz guten Draht zur israelischen Regierung. Könnte da mehr Einfluss ausgeübt werden, um vielleicht auch einen Tick schneller zu einem Waffenstillstand zu kommen, zu einer Waffenruhe?

Ferrero-Waldner: Ich glaube, die Bundesregierung sollte – und ich bin sicher, das tut sie auch – all ihren Einfluss nützen, damit die Israelis möglichst schnell von ihrer Seite diese Waffenruhe akzeptieren.

Degenhardt: Haben Sie denn das Gefühl, dass die Israelis die Verhandlungsangebote und die Bemühungen der Europäer überhaupt ernst nehmen? Es heißt ja auch immer wieder, letztendlich sind es die Amerikaner, die im Nahen Osten überhaupt nur etwas ausrichten können diplomatisch.

Ferrero-Waldner: Ich kann Ihnen sagen, wenn es überhaupt einen Mubarak-Sarkozy-Plan gibt, dann nur deshalb, weil die Israelis aufgrund aller unserer Interventionen die Europäer sehr ernst genommen haben und selbst natürlich auch die Schwierigkeit dieser Situation sehen, nur derzeit glauben, dass sie nicht anders aus ihr herauskommen. Ich glaube, beide Seiten brauchen Unterstützung, damit es endlich zu einer Lösung, zu einer erst einmal kurzfristigen Lösung, kommt, und dann, dass wir zurückkehren zum Friedensprozess und möglichst schnell in direkte Verhandlungen zufrieden eintreten. Denn sonst wäre der Annapolis-Prozess total tot, und das wäre wirklich das Letzte, was wir wollten.

Degenhardt: Die EU-Außenkommissarin Benita Ferrero-Waldner im Programm von Deutschlandradio Kultur. Haben Sie vielen Dank für das Gespräch!

Ferrero-Waldner: Danke vielmals, auf Wiederhören!