EU-Agrarausschuss-Vorsitzender kritisiert europäisches Angebot für Entwicklungsländer
Friedrich Wilhelm Graefe zu Baringdorf, stellvertretender Vorsitzender des EU-Agrarausschusses (Bündnis 90/Die Grünen), hat das Angebot der Welthandelsorganisation (WTO) an die Entwicklungsländer bei der Doha-Runde in Genf heftig kritisiert. Ein Scheitern der Verhandlungen sei vielleicht besser als ein weiterer Schritt in die falsche Richtung, sagte der Grünen-Politiker.
Leonie March: Über die Verhandlungen spreche ich jetzt mit Friedrich Wilhelm Graefe zu Baringdorf, der Grünen-Politiker ist seit 2002 stellvertretender Vorsitzender des Agrarausschuss im Europäischen Parlament. Guten Morgen, Herr Graefe zu Baringdorf!
Friedrich Wilhelm Graefe zu Baringdorf: Guten Morgen, Frau March!
March: Gehören Sie zu den Optimisten, die mit einer Einigung rechnen?
Graefe zu Baringdorf: Na ja, das ist eine große Frage, ob man da optimistisch sein muss, je nach Standpunkt. Wenn ich ein weltweites Handelsunternehmen habe, also die Multis müssen sich natürlich Sorgen machen, um den Welthandel wieder in Gang zu bringen. Bin ich Vertreter einer bäuerlichen Landwirtschaft, sowohl in den Entwicklungsländern als auch in Europa, dann muss ich mir große Sorgen machen, dass hier die bäuerlichen Interessen auf dem Altar geopfert werden, der dahin gehen soll, dass die Entwicklungsländer gezwungen werden sollen, gezwungen in Anführungsstrichen, durch Angebote, ihre Grenzen für Industrie- und Dienstleistungsgüter zu öffnen. Und hier genau sagen die Länder: Gebt uns auch einen Zeitraum, den ihr gehabt habt, eure Entwicklung im Industrie- und Dienstleistungsbereich voranzutreiben, wenn wir das jetzt öffnen, dann überschwemmt ihr uns mit euren Waren und wir haben überhaupt keine Chance, selbst in die Gänge zu kommen.
March: Ist das denn aus Ihrer Sicht eine berechtigte Befürchtung?
Graefe zu Baringdorf: Das ist eine berechtigte Befürchtung und man sieht ja, wie hartnäckig die Länder der Dritten Welt, die sich jetzt zu Gruppen zusammengeschlossen haben, hier fighten. Die Angebote, die sich jetzt ja überschlagen - 50 Prozent, 60 Prozent, 80 Prozent sollen die Subventionen im Agrarbereich zurückgehen -, das sind Lockangebote, die in einer Zeit, wo wir eine weltweite Ernährungskrise haben, wo die Lebensmittelpreise sprunghaft nach oben gegangen sind, wo mit Lebensmitteln an der Börse spekuliert wird - in so einer Zeit zieht das nicht mehr, weil viele Länder der Dritten Welt gar nicht mehr in der Lage sind, zu exportieren nach Europa. Wir sind das größte Importgebiet der Welt, wir saugen ohnehin schon sehr viel Nahrungs- und Futtermittel aus den Ländern der Dritten Welt. Im Gegenzug haben wir dann mit Exportsubventionen deren Märkte zerstört und deren bäuerliche Landwirtschaft in Schwierigkeiten gebracht. Das macht jetzt die Krise aus und hier soll nun noch mal Gas gegeben werden, also könnte man sagen, Vorsicht, Vorsicht, und ein Scheitern ist vielleicht besser als ein neuer Schub in die verkehrte Richtung.
March: Der Norden fordert ja, dass insbesondere die Schwellenländer die Märkte für Industriegüter öffnen, allerdings befürchten die, dass der eigenen Industrie das schaden könnte. Ist diese Befürchtung auch gerechtfertigt?
Graefe zu Baringdorf: Ja, die ist gerechtfertigt und wir haben hier an der Spitze Commissioner Mandelson aus Großbritannien, der offensichtlich mit der alten Logik des Britischen Empires vorgeht. Die sollen uns mit billigen Lebensmitteln versorgen und im Gegenzug beliefern wir sie dann mit Industriegütern und Dienstleistungen, und wir wollen sie geradezu daran hindern, wenn man mal an die Geschichte Briten und Indien denkt - das läuft natürlich heute nicht mehr mit Militärgewalt, sondern mit der Logik der Liberalisierung -, man will sie damit hindern, auf dem Industriegütermarkt weltweit auch zu den Anbietern zu gehören. Und die Länder der Dritten Welt lassen sich mit verkehrten Versprechungen nicht mehr locken.
March: Kommen diese verkehrten Versprechungen auch von Seiten der EU?
Graefe zu Baringdorf: Ja, natürlich. Die EU ist schon größtes Importgebiet für Lebensmittel, weil wir uns gar nicht selbst ernähren können nach dem Lebensstandard, den wir haben. Das heißt, die Länder der Dritten Welt beliefern längst die EU, die Frage ist, zu welchen Preisen? Werden sie an unserem Preisniveau beteiligt, damit sie ihre Volkswirtschaften entwickeln können, oder sollen sie uns billigst vor allen Dingen auch noch mit Futtermitteln beliefern? Es kommen 30 bis 50 Millionen Tonnen Futtermittel in die Europäische Union und im Gegenzug wurden in der Vergangenheit mit Exportsubventionen Lebensmittel, verarbeitete, Fleisch, Milch, Eier, in die Länder gebracht und deren regionalen Märkte in Schwierigkeiten gebracht oder zerstört. Diese Logik wollen sie nicht mehr, ist aber auch schon zum Stillstand gekommen, so dass dies Angebot "Wir öffnen den Agrarmarkt" für diese Länder die Faszination verloren hat, jedenfalls für die bäuerliche Landwirtschaft da, für multinationale Unternehmungen möglicherweise ja. Und von daher ist das Angebot, was wir den Ländern machen können, das ist hohl und das haben die inzwischen gemerkt und von daher diese großen Schwierigkeiten.
March: Was wäre denn stattdessen ein faires Angebot von der EU?
Graefe zu Baringdorf: Na ja, ein faires Angebot wäre, wenn in allen Bereichen, sowohl in der Ernährungssicherheit, in der Energiesicherheit, in der ganzen Klimafrage, den Ländern der Dritten Welt eine Eigenständigkeit gegeben wird, was ihre Märkte betrifft. Das heißt, sie müssen Sicherungen ihrer heimischen Märkte betreiben können, sie müssen mit Recht darauf drängen, dass die Exportsubventionen, also das Dumping auf dem Weltmarkt, aufhört, aber nicht nur im Bereich Landwirtschaft, sondern auch Industriegüter, und dass sie das Recht haben, zu sagen - ohne dass sie gleich gegen WTO-Bestimmungen verstoßen -, dass sie sagen, halt, stopp, dieses gehört jetzt zu der grundsätzlichen Notwendigkeit der eigenen Entwicklung in unseren Ländern. Und genau da soll jetzt der Hebel angesetzt werden. Sie sollen ihre Grenzen öffnen, ohne dass sie die Möglichkeiten dann hätten, ihre eigenen gewerblichen Bereiche oder den Industriebereich zu entwickeln.
March: Nun könnten die Gespräche in Genf ja jetzt auch noch scheitern angesichts des Stillstands der Doha-Runde. Diese ganzen Jahre lang haben viele Staaten ja in den vergangenen Jahren bilaterale Handelsabkommen geschlossen. Kann das auch langfristig eine Alternative sein, vielleicht sogar die bessere?
Graefe zu Baringdorf: Kann es sein. Und wenn jetzt gesagt wird, es muss mit einem Scheitern gerechnet werden, dann muss man sagen, hier scheitert nicht der Welthandel, sondern hier scheitert eine alte Logik, die Logik: Die Länder der Dritten Welt ernähern uns und wir beliefern sie mit Industriegütern. Das lassen sie sich nicht mehr gefallen, vor allen Dingen die Schwellenländer, und sie drängen darauf, dass sie eine Möglichkeit haben, ihre eigene Entwicklung zu steuern, ohne dass die Industrieländer oder der internationale Handel ihnen da reinpfuscht. Und von daher sind bilaterale Verhandlungen sicherlich auch schwierig für die Länder der Dritten Welt, und wenn man einen vernünftigen Abschluss hinbekäme, wo es eine Schutzklausel für die Länder der Dritten Welt gäbe, wäre ein WTO-Abschluss heute in Genf auch in Ordnung. Aber ich befürchte, dass die Pressionen, die auf diese Länder zukommen, zu stark sind und ihre Einsicht in diese Pressionen inzwischen so gewachsen ist, dass sie sich zusammengetan haben und sich nicht mehr für ein Ei und ein Butterbrot verkaufen lassen.
March: Der stellvertretende Vorsitzende des Agrarausschusses im Europäischen Parlament Friedrich Wilhelm Graefe zu Baringdorf, vielen Dank für das Gespräch!
Graefe zu Baringdorf: Ich danke auch.
Friedrich Wilhelm Graefe zu Baringdorf: Guten Morgen, Frau March!
March: Gehören Sie zu den Optimisten, die mit einer Einigung rechnen?
Graefe zu Baringdorf: Na ja, das ist eine große Frage, ob man da optimistisch sein muss, je nach Standpunkt. Wenn ich ein weltweites Handelsunternehmen habe, also die Multis müssen sich natürlich Sorgen machen, um den Welthandel wieder in Gang zu bringen. Bin ich Vertreter einer bäuerlichen Landwirtschaft, sowohl in den Entwicklungsländern als auch in Europa, dann muss ich mir große Sorgen machen, dass hier die bäuerlichen Interessen auf dem Altar geopfert werden, der dahin gehen soll, dass die Entwicklungsländer gezwungen werden sollen, gezwungen in Anführungsstrichen, durch Angebote, ihre Grenzen für Industrie- und Dienstleistungsgüter zu öffnen. Und hier genau sagen die Länder: Gebt uns auch einen Zeitraum, den ihr gehabt habt, eure Entwicklung im Industrie- und Dienstleistungsbereich voranzutreiben, wenn wir das jetzt öffnen, dann überschwemmt ihr uns mit euren Waren und wir haben überhaupt keine Chance, selbst in die Gänge zu kommen.
March: Ist das denn aus Ihrer Sicht eine berechtigte Befürchtung?
Graefe zu Baringdorf: Das ist eine berechtigte Befürchtung und man sieht ja, wie hartnäckig die Länder der Dritten Welt, die sich jetzt zu Gruppen zusammengeschlossen haben, hier fighten. Die Angebote, die sich jetzt ja überschlagen - 50 Prozent, 60 Prozent, 80 Prozent sollen die Subventionen im Agrarbereich zurückgehen -, das sind Lockangebote, die in einer Zeit, wo wir eine weltweite Ernährungskrise haben, wo die Lebensmittelpreise sprunghaft nach oben gegangen sind, wo mit Lebensmitteln an der Börse spekuliert wird - in so einer Zeit zieht das nicht mehr, weil viele Länder der Dritten Welt gar nicht mehr in der Lage sind, zu exportieren nach Europa. Wir sind das größte Importgebiet der Welt, wir saugen ohnehin schon sehr viel Nahrungs- und Futtermittel aus den Ländern der Dritten Welt. Im Gegenzug haben wir dann mit Exportsubventionen deren Märkte zerstört und deren bäuerliche Landwirtschaft in Schwierigkeiten gebracht. Das macht jetzt die Krise aus und hier soll nun noch mal Gas gegeben werden, also könnte man sagen, Vorsicht, Vorsicht, und ein Scheitern ist vielleicht besser als ein neuer Schub in die verkehrte Richtung.
March: Der Norden fordert ja, dass insbesondere die Schwellenländer die Märkte für Industriegüter öffnen, allerdings befürchten die, dass der eigenen Industrie das schaden könnte. Ist diese Befürchtung auch gerechtfertigt?
Graefe zu Baringdorf: Ja, die ist gerechtfertigt und wir haben hier an der Spitze Commissioner Mandelson aus Großbritannien, der offensichtlich mit der alten Logik des Britischen Empires vorgeht. Die sollen uns mit billigen Lebensmitteln versorgen und im Gegenzug beliefern wir sie dann mit Industriegütern und Dienstleistungen, und wir wollen sie geradezu daran hindern, wenn man mal an die Geschichte Briten und Indien denkt - das läuft natürlich heute nicht mehr mit Militärgewalt, sondern mit der Logik der Liberalisierung -, man will sie damit hindern, auf dem Industriegütermarkt weltweit auch zu den Anbietern zu gehören. Und die Länder der Dritten Welt lassen sich mit verkehrten Versprechungen nicht mehr locken.
March: Kommen diese verkehrten Versprechungen auch von Seiten der EU?
Graefe zu Baringdorf: Ja, natürlich. Die EU ist schon größtes Importgebiet für Lebensmittel, weil wir uns gar nicht selbst ernähren können nach dem Lebensstandard, den wir haben. Das heißt, die Länder der Dritten Welt beliefern längst die EU, die Frage ist, zu welchen Preisen? Werden sie an unserem Preisniveau beteiligt, damit sie ihre Volkswirtschaften entwickeln können, oder sollen sie uns billigst vor allen Dingen auch noch mit Futtermitteln beliefern? Es kommen 30 bis 50 Millionen Tonnen Futtermittel in die Europäische Union und im Gegenzug wurden in der Vergangenheit mit Exportsubventionen Lebensmittel, verarbeitete, Fleisch, Milch, Eier, in die Länder gebracht und deren regionalen Märkte in Schwierigkeiten gebracht oder zerstört. Diese Logik wollen sie nicht mehr, ist aber auch schon zum Stillstand gekommen, so dass dies Angebot "Wir öffnen den Agrarmarkt" für diese Länder die Faszination verloren hat, jedenfalls für die bäuerliche Landwirtschaft da, für multinationale Unternehmungen möglicherweise ja. Und von daher ist das Angebot, was wir den Ländern machen können, das ist hohl und das haben die inzwischen gemerkt und von daher diese großen Schwierigkeiten.
March: Was wäre denn stattdessen ein faires Angebot von der EU?
Graefe zu Baringdorf: Na ja, ein faires Angebot wäre, wenn in allen Bereichen, sowohl in der Ernährungssicherheit, in der Energiesicherheit, in der ganzen Klimafrage, den Ländern der Dritten Welt eine Eigenständigkeit gegeben wird, was ihre Märkte betrifft. Das heißt, sie müssen Sicherungen ihrer heimischen Märkte betreiben können, sie müssen mit Recht darauf drängen, dass die Exportsubventionen, also das Dumping auf dem Weltmarkt, aufhört, aber nicht nur im Bereich Landwirtschaft, sondern auch Industriegüter, und dass sie das Recht haben, zu sagen - ohne dass sie gleich gegen WTO-Bestimmungen verstoßen -, dass sie sagen, halt, stopp, dieses gehört jetzt zu der grundsätzlichen Notwendigkeit der eigenen Entwicklung in unseren Ländern. Und genau da soll jetzt der Hebel angesetzt werden. Sie sollen ihre Grenzen öffnen, ohne dass sie die Möglichkeiten dann hätten, ihre eigenen gewerblichen Bereiche oder den Industriebereich zu entwickeln.
March: Nun könnten die Gespräche in Genf ja jetzt auch noch scheitern angesichts des Stillstands der Doha-Runde. Diese ganzen Jahre lang haben viele Staaten ja in den vergangenen Jahren bilaterale Handelsabkommen geschlossen. Kann das auch langfristig eine Alternative sein, vielleicht sogar die bessere?
Graefe zu Baringdorf: Kann es sein. Und wenn jetzt gesagt wird, es muss mit einem Scheitern gerechnet werden, dann muss man sagen, hier scheitert nicht der Welthandel, sondern hier scheitert eine alte Logik, die Logik: Die Länder der Dritten Welt ernähern uns und wir beliefern sie mit Industriegütern. Das lassen sie sich nicht mehr gefallen, vor allen Dingen die Schwellenländer, und sie drängen darauf, dass sie eine Möglichkeit haben, ihre eigene Entwicklung zu steuern, ohne dass die Industrieländer oder der internationale Handel ihnen da reinpfuscht. Und von daher sind bilaterale Verhandlungen sicherlich auch schwierig für die Länder der Dritten Welt, und wenn man einen vernünftigen Abschluss hinbekäme, wo es eine Schutzklausel für die Länder der Dritten Welt gäbe, wäre ein WTO-Abschluss heute in Genf auch in Ordnung. Aber ich befürchte, dass die Pressionen, die auf diese Länder zukommen, zu stark sind und ihre Einsicht in diese Pressionen inzwischen so gewachsen ist, dass sie sich zusammengetan haben und sich nicht mehr für ein Ei und ein Butterbrot verkaufen lassen.
March: Der stellvertretende Vorsitzende des Agrarausschusses im Europäischen Parlament Friedrich Wilhelm Graefe zu Baringdorf, vielen Dank für das Gespräch!
Graefe zu Baringdorf: Ich danke auch.