EU-Abgeordnete Doris Pack beklagt andauernde Kosovo-Krise

Grenzposten an der serbisch-kosovarischen Grenze
Grenzposten an der serbisch-kosovarischen Grenze © picture alliance / dpa EPA/VALDRIN XHEMAJ
Doris Pack im Gespräch mit Nana Brink · 16.02.2012
Das Verhältnis von Serben und Kosovo-Albanern im Kosovo ist nach wie vor stark angespannt, wie das jüngste Referendum der Kosovo-Serben zeigt. Die internationale Gemeinschaft sei mitschuld an der Misere, meint die EU-Abgeordnete Doris Pack, denn sie habe 1999 versäumt, das Kosovo in die Unabhängigkeit zu führen.
NanaBrink: Eigentlich dürfte es dieses Referendum gar nicht gegeben haben, und dennoch ist es so typisch für die Situation im Kosovo. Zwei Tage lang stimmten die Serben im Kosovo darüber ab, ob sie von Pristina regiert werden wollen, und das Ergebnis ist wenig überraschend: 99,7 Prozent der rund 35.000 stimmberechtigten Serben stimmten mit einem klaren Nein ab. Wenig überraschend sind auch die Reaktionen aus der Hauptstadt des Kosovo sowie aus der EU, die das Referendum schlicht ignorieren.

In Belgrad hingegen hält man sich mit zustimmenden Kommentaren zurück, man erkennt das Kosovo zwar nicht an, will sich dennoch aber nicht für die Landsleute jenseits der serbischen Grenze stark machen, denn man will ja gerne Beitrittskandidat der EU werden.
Also: Was soll das Ganze? Und das will ich jetzt besprechen mit Doris Pack von der Europäischen Volkspartei. Sie ist die Vorsitzende der Delegation für die Beziehungen des Europaparlaments zu den Ländern Südosteuropas. Schönen guten Morgen, Frau Pack!

Doris Pack: Guten Morgen!

Brink: Was wird diese Abstimmung der kosovarischen Serben bringen?

Pack: Gar nichts! Das war von vornherein klar, das war eine Sache, die auch von Belgrad nicht furchtbar gewünscht wurde, weil sie wussten, sie führt zu nichts. Aber es war eine Willensäußerung der Serben, die nördlich des Flusses Ibar wurden, die ganz das Gegenteil von dem wollen, was die anderen Serben südlich des Ibar im Kosovo tun - sie haben dort Bürgermeister, sie sind Minister in der Regierung. Also, sie verweigern sich ganz dem Staat Kosovo, und das entspricht eigentlich dem Wunsche Belgrads, die ja das Kosovo nicht anerkennen wollen.

Brink: Vier Jahre nach der Unabhängigkeitserklärung des Kosovo von Serbien – morgen jährt sie sich ja – gibt es ja immer noch keine Annäherung, keine sichtbare Annäherung der verfeindeten Nachbarn. Haben denn die Kosovo-Serben mit dieser Showveranstaltung – nenne ich es jetzt mal – nicht den Finger in die Wunde gelegt?

Pack: Ja, sie haben schon im vergangenen Jahr mit ihren schrecklichen Blockaden und den Angriffen auf die KFOR-Soldaten, die wurden da offengelegt. Das heißt, wir haben zu lange zugewartet, und eigentlich ist an dieser ganzen Misere, die wir heute haben, auch die internationale Gemeinschaft schuld, die nicht direkt nach dem Eingriff und Angriff der NATO 1999 das Kosovo in die Unabhängigkeit geführt hat. Das hat dann lange Jahre gedauert, bis die Kosovaren es selbst getan haben.

Und dann ist es natürlich das Erbe des Milosevic, was das Ganze ja ist, nämlich es ist ja seine Schuld, dass die Albaner im Kosovo beziehungsweise dass das ganze Kosovo seit mehr als 20 Jahren nach seiner Unabhängigkeit gestrebt hat. Ich denke also, das ist vergessen, Milosevic war schon tot, als Kosovo seine Unabhängigkeit erklärt hat, und die Serben verstehen es nicht, dass sie angeblich hier so bestraft werden, indem man ihnen ein Stück ihres Landes wegnimmt – was aber letztlich die Folge nur dieses Apartheidregimes war, das der Milosevic im Kosovo installiert hat in den 90er-Jahren.

Brink: Sie haben ganz am Anfang von wir gesprochen, wer ist denn wir?

Pack: Wir ist die internationale Gemeinschaft inklusive der Europäischen Union, denn wir sind ja interessiert daran, dass es auf dem Balkan Frieden gibt, dass es Stabilität gibt und dass endlich das, was Anfang der 90er-Jahre so blutig begonnen hat, zu einem friedlichen Ende führt. Das liegt ja alles mitten in der Europäischen Union, und wir haben selbst ein wirklich großes Interesse daran. Das Problem ist eben, dass wir nicht die richtigen Mittel angewandt haben und auch nicht immer zeitgerecht gehandelt haben. Wir alle.

Brink: Was hat denn der von der EU moderierte Dialog, den es ja angeblich geben soll, bislang gebracht?

Pack: Ja, bislang nichts, weil das, was in einigen Dialogen als Ergebnis herauskam, einige Absprachen zwischen den beiden Ländern, was die grenzüberschreitende Zusammenarbeit betrifft, was den Handel betrifft, was auch die Übergabe von Dokumenten angeht, ohne die ja im Kosovo auch kaum ein Stück Land verkauft werden kann, all diese Dinge sind nicht umgesetzt. Es ist auf dem Papier und es ist nie umgesetzt worden.

Und deswegen ist es in meinen Augen wirklich also sehr viel Augenwischerei, denn Belgrad hat diesem Dialog zugestimmt im letzten Jahr, kurz bevor es sich darauf vorbereiten wollte, dass es Kandidatenstatus für die Europäische Union bekommt. Es ist in meinen Augen wirklich sehr viel Augenwischerei, aber es ist auch nicht verwunderlich, denn wir stehen mitten vor der Wahl in Belgrad, also nicht nur in Belgrad, sondern in Serbien, und da ist natürlich jede Partei bemüht, so wenig Offenheit in dieser Frage zu zeigen wie möglich und so viel nationalistische Töne wie überhaupt möglich.

Brink: Gut, also wir kennen ja nun die Haltung in Belgrad, in Serbien insgesamt, auch im Kosovo, jetzt kommen wir noch mal zu diesem wir zurück. Es muss ja eine Lösung geben. Wie muss die aussehen und wer muss sie durchsetzen?

Pack: Ja, durchsetzen muss es die Europäische Union und internationale Gemeinschaft zusammen mit den beiden, die da nebeneinander als unfriedliche Nachbarn leben müssen. Was wir bis jetzt schon gemacht haben, ist, dass wir den Marti-Ahtisaari-Plan – das war der finnische Präsident, der ehemalige, der einen Plan ausgearbeitet hat, nach dem das Kosovo sich richtet und den das Kosovo sogar in seine Verfassung ganz aufgenommen hat, nämlich, wie man im Kosovo zusammen lebt mit einer Minderheit von Serben, die natürlich glauben, sie seien wichtiger als andere Minderheiten – sie sind ja auch mehr, sind ja zehn Prozent –, dass man Gemeinden gebildet hat, dass man dezentralisiert hat. Alles steht in diesem Plan.

Das gilt auch für den Norden des Kosovo. Da gibt es einen Plan genau wie im Süden, dass also sich serbische Gemeinden bilden, die von serbischen Politikern dann geführt werden, aber alles natürlich in einem unabhängigen Staat Kosovo. Und das läuft wunderbar im Süden, warum soll es nicht im Norden laufen?

Brink: Aber was wäre denn das Druckmittel, also zum Beispiel Bundeskanzlerin Merkel hat ja bei ihrem Besuch letzten August in Serbien schon unmissverständlich klargemacht, es gibt keinen Beitritt Serbiens ohne Lösung des Kosovokonflikts. Also wo ist das Druckmittel?

Pack: Ja, das ist ein Druckmittel. Wenn Belgrad, wenn Serbien in die Europäische Union möchte, dann muss es zunächst einmal, bevor – ich will nicht sagen, die müssen morgen anerkennen, aber sie müssen zumindest das Zusammenleben in dieser Region ermöglichen. Wir können mit niemandem arbeiten, der sich seinem Nachbarn gegenüber so unfreundlich verhält. Ich würde nicht sagen, wir müssen sie jetzt zur Anerkennung zwingen, aber wenn sie beitreten wollen in einigen Jahren, dann muss die Anerkennung vorausgehen. Da hat Angela Merkel ganz klare Schranken gesetzt, und das kann auch kein anderer anders sehen.

Insofern wissen sie genau, die Serben, was sie zu tun haben, und sie müssten eigentlich ihre Brüder und Schwestern im Norden – es geht ja nur um den Norden – im Norden des Kosovo dazu bringen, das zu verstehen. Aber leider Gottes haben sie zu lange das unterstützt, und leider Gottes ist in diesem Norden inzwischen ein richtiges Schmugglernest und ein Korruptionsnest entstanden, das man sich wirklich nur in manchen Filmen vorstellen kann. Und deswegen wird dort oben so schnell wie möglich etwas passieren müssen, oder aber es geht so weiter, dass wir eine Situation haben, die unerträglich ist, die das Land wirklich auch nach außen sehr, sehr schlecht darstellt.

Brink: Die Südosteuropa-Expertin der Europäischen Volkspartei Doris Pack. Schönen Dank, Frau Pack, für das Gespräch!

Pack: Bitte sehr! Wiederhören!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Doris Pack, MdEP (CDU)
Doris Pack, MdEP (CDU)© Europa-Parlament
Mehr zum Thema