Etwas zu kreativ

Von Rolf Cantzen |
Er wurde bereits als Anwärter auf den Nobelpreis gehandelt - der südkoreanische Klonforscher Hwang Woo-Suk. Zunächst klonte er eine Kuh, dann ein Schwein, schließlich publizierte er im renommierten Wissenschaftsmagazin Science, ihm sei es gelungen, aus einem geklonten Menschenembryo Stammzellen herzustellen - Fälschungen, wie er später zugab. Sie sorgten auch in anderen Fällen für Skandale.
"Habe nun, ach! Philosophie,
Juristerei und Medizin
Und leider auch Theologie
Durchaus studiert, mit heißem Bemühn.
Da steh ich nun, ich armer Tor ..."

... und bekomme in einem Laborversuch nicht das Ergebnis, das ich benötige.

Prof. Dr. Dr. Ulrike Beisiegel: "Wenn man in der Forschung arbeitet, dann ist man ja so ein bisschen crazy, man ist ja so ein bißchen getrieben, das ist ja spannend, man möchte das Ergebnis haben und wenn es da so ein bisschen dahinzeigt, dass es sein könnte ..."

.. ja dann, helfen so manche Wissenschaftler schon einmal ein wenig nach, zumal dann, wenn sie ganz sicher sind, dass ihre Theorie richtig ist, wenn sie genau wissen, was bei den Versuchen herauskommen muss. Und wenn dann noch der Geldgeber Ergebnisse sehen will ... Außerdem: Die Konkurrenz schläft nicht. Es ist wichtig zu publizieren, als erster, möglichst in anerkannten Zeitschriften. Das ist die Voraussetzung für die weitere Karriere, für Professuren, Forschungsgelder, Wissenschaftspreise, Macht, Assistenten, vielleicht demnächst eine Publikation in "Nature" oder "Science", und, wer weiß, als Krönung eines Forscherlebens der Nobelpreis.

Ulrike Beisiegel: "Forschung ist schon nicht Blumen verkaufen oder so. Forschung, da ist ganz viel Kreativität drin, viel Innovation, viel Enthusiasmus, viel Vorausdenken, Visionen und das ist dann natürlich leicht mal zu übertreiben, ohne dass es schon eine bewusste Fälschung ist."

Professor Dr. Dr. Ulrike Beisiegel ist Biowissenschaftlerin und zurzeit Sprecherin eines Gremiums von Ombudsleuten, die von der Deutschen Forschungsgemeinschaft eingesetzt wurde, um – wie es vorsichtig heißt – "wissenschaftliches Fehlverhalten" vermeiden zu helfen.

Hubert Rehm: "Es kann schon vorkommen, dass Sie drei Jahre lang jeden Tag 12 Stunden ins Labor gehen und forschen. Forschen ist anstrengend. Das ist wirklich körperlich auch anstrengend, wenn Sie da rumrennen müssen. Wenn Sie ... forschen da 12 Stunden und drei Jahre lang kommt nichts dabei raus, ja, das ist dann nicht wegen Geld, sondern das ist wegen ihrer Selbstachtung, ja, dass Sie da was fälschen, um ein Ergebnis zu kriegen und zu sagen, da, ich habe was."

Dr. Hubert Rehm hat viele Jahre in Labors gearbeitet. Jetzt ist er Redakteur der Zeitschrift Laborjournal und ist so etwas wie ein Detektiv in Sachen Fälschungen.

Hubert Rehm: "Und dann wissen die Leute ganz genau: Das und das und das muss rauskommen und dann muss ich theoretisch das Experiment machen, bei dem und dem Experiment muss ich die und die Zahlen haben, warum also extra noch die teueren Steuermittel für Geräte und Chemikalien verschwenden. Kann ich es doch gleich erfinden, wenn eh klar ist, was dabei herauskommt."

"Zwar bin ich gescheiter als all die Laffen,
Doktoren, Magister, Schreiber und Pfaffen;
Mich plagen keine Skrupel noch Zweifel,
Fürchte mich weder vor Hölle noch Teufel –"

... und einige der heutigen Wissenschaftler scheinen sich nicht allzu sehr davor zu fürchten, mit kleineren und größeren aufzufliegen:

"Die Wissenschaftszeitschrift "Nature" publizierte 2005 eine Umfrage unter US-amerikanischen Wissenschaftlern. Befragt wurden sie anonym, ob sie in den letzten drei Jahren in ihrer Forschungsarbeit mindestens ein "strafwürdiges Vergehen" begangen haben. Jeder dritte Forscher stimmte dieser Frage zu."

Bei anderen, weniger scharf formulierten Fragen, die eher das raffinierte Tricksen, Täuschen, Manipulieren abfragten, gab es noch breitere Zustimmung. Die Autoren schätzen die Ergebnisse ihrer Umfrage eher als "konservativ" ein: Sie vermuten, dass echte "schwarze Schafe" den Fragebogen wohl eher nicht beantwortet haben – aus Angst vor Verlust der Anonymität und Repressalien.

Heinrich Zankl: "Das kommt relativ häufig vor. So dass das so selten nicht ist, wobei das eine enorme Spannbreite ist zwischen einem Messwert, wo man sagt, ja aus diesem oder jenem Grund nehme ich den jetzt raus. Und dann wirklich bewussten Fälschungen in den Fällen, dass hier ganze Patientenkarteien erfunden wurden, die es gar nicht gegeben hat oder bewusst falsche Kurven publiziert werden – da liegt zwar alles dazwischen, aber die ersten Ansätze zu Fälschungen sind sicher nicht sehr selten."

Prof. Dr. Dr. Heinrich Zankl ist Professor für Humanbiologie und Humangenetik an der Universität Kaiserslautern und hat ein ebenso informatives wie amüsantes Buch über Betrug in Forschung und Wissenschaften geschrieben mit dem Titel: "Fälscher, Schwindler, Scharlatane".

Zankl: "Das ist jetzt wohl der neuste Fall aus Norwegen. Da hat John Sudbo 2005 eine große Studie publiziert mit vielen Koautoren aus den USA, dass mit relativ gängigen entzündungshemmenden Mitteln man also die Krebsentstehung im Mundhöhlenbereich gut behandeln könnte und dass das insbesondere auch bei Rauchern, wo das ja ganz besonders oft vorkommt, sehr wirksam wäre. Und das stellte sich jetzt auch als Fälschung heraus."

Im Januar 2006 flog die Sache auf. Die zentrale Aussage der von der angesehenen Zeitschrift "Lancet" publizierten Studie:

"Für Raucher, die längere Zeit das gängige Medikament Paracetamol einnehmen, senkt sich das Risiko, an Kopf-Hals-Tumoren zu erkranken, um die Hälfte."

Zankl: "Aufgefallen ist eben bei einer Kontrolle der Unterlagen, dass also reihenweise die Leute die gleichen Geburtsdaten hatten und erst wie man das genauer untersucht hat, kam heraus, dass also ein Großteil der Patienten einfach frei erfunden waren, die gab es gar nicht."

Gefälscht wurde immer in Wissenschaft und Kunst – mehr oder weniger kreativ, mehr oder weniger sorgfältig.

"Habe nun, ach! Philosophie,
Juristerei und Medizin
Und leider auch: Kunst und Musik ..."

"Das Adagio in g-moll. Jahrelang wurde es dem italienischen Komponisten des frühen 18. Jahrhunderts Tommaso Albinoni zugeschrieben."

Nur die ersten acht Takte sind von Albinoni. Komponiert wurde das bekannte Adagio in den 50er Jahren des vorigen Jahrhunderts vom italienischen Musikwissenschaftler Remo Giazotto. Giazotto legte nahe, er habe die Originalkomposition Albinonis in Archiven gefunden.

"Habe nun, ach! Philosophie,
Kunst und Musik
Und leider auch: Literaturwissenschaft."

"Es ist Nacht; - Ich bin allein, verloren auf dem stürmischen Hügel. Der Wasserfall saust den Felsen hinab ..."

…und so weiter: Die angeblich uralten Ossian Epen – gefälscht vom schottischen Dichter James Macpherson zwischen 1760 und 1763. In 12 Sprachen wurden die Texte übersetzt. Den Dichter Ossian bejubelte man als "nordischen Homer" und schätzte die Kraft und ungekünstelte Natürlichkeit seiner "Gesänge".

Zankl: "Je renommierter die Leute sind, die so etwas in die Welt setzen, um so länger dauert es, bis man dann wirklich dahinter kommt, dass es so nicht stimmt."

Der erste, der sich dieser Betrügereien systematisch annahm, war der Engländer Charles Babbage in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Wie viele Fälschungskritiker beklagte er den – Zitat – "Niedergang der Wissenschaft in England".

Zankl: "Es gibt verschiedene Formen des Betruges, die Sir Charles Babbage schon 1830 beschrieben hat. Er hat das "forging" beschrieben. Darunter versteht man quasi eine totale Fälschung der Ergebnisse; dann das "cooking", das ist die Schönung von Daten beispielsweise durch Weglassen von Ergebnissen; das "trimming", was man ins Deutsche mit Datenmassage eventuell übersetzen kann, dafür wird häufig Statistik eingesetzt; und das "hoaxing", das ist eher ein wissenschaftlicher Schabernack, mit dem man jemanden mehr oder minder aufziehen möchte."

Die Grenzen zwischen den einzelnen Formen des Betrügens sind fließend.

Zankl: "Nicht aufgenommen hatte Sir Babbage das Plagiat, das Abkupfern von Ergebnissen, das spielt bei ihm keine so große Rolle."

Komplette Dissertationen, Habilitationen, wissenschaftliche Artikel werden abgeschrieben.

"Die hoch angesehenen Forscher Friedhelm Hermann und Marion Brach erhielten ein Forschungsprojekt in den 1990er Jahren zur Begutachtung, lehnten es ab und reichten es dann – leicht modifiziert - als eigenes Projekt selber ein."

"Habe nun, ach! Musik und Kunst,
Literaturwissenschaft
Und leider auch – Astronomie."

Astronomische Entdeckungen – kurzerhand abgeschrieben.

Zankl: "Der älteste bekannte ist vermutlich Ptolomäus, der also ziemlich rigoros den Sternenkatalog von Hipparchos benutzte, ohne darauf hinzuweisen, dass er das nicht selber gemacht hat, sondern praktisch abgeschrieben hat."

Der im ägyptischen Alexandria lebende Ptolomäus entwickelte das weit über Antike und Mittelalter hinaus gültige "geozentrische Weltbild", das auch das "ptolomeische Weltbild" genannt wurde. Er fertigte einen umfangreichen Sternenkatalog an, der beweisen sollte, dass die Erde im Mittelpunkt des Alls steht.

"Nähere Überprüfungen ergaben, dass Ptolomäus Planeten beschrieb, die er in Alexandria gar nicht hätte beobachten können, andererseits aber Planeten nicht verzeichnete, die er von Alexandria hätte sehen müssen. Wissenschaftler rekonstruierten den wahren Ort der Beobachtungen."

Dieser Ort ist die Insel Rhodos. Auf Rhodos lebte 200 Jahre vor Ptolomäus der Astronom Hipparch. Kurzum: Ptolomäus hatte beim Griechen Hipparch abgeschrieben.

"Habe nun, ach! - Astronomie, Theologie und so weiter
und leider auch Physik!"

"Forging", "cooking, "trimming" - auch Physiker fälschen – etwa dann, wenn sie ihre Theorie durch Experimente beweisen müssen, die experimentellen Beweise der Theorie aber zu aufwändig sind – oder zu oft fehlschlagen.

Zankl: "Es gibt da einen Fall, der hat das selber nachträglich auch zugegeben. Der hat gesagt: Die Idee war so schön, die hat mich so überzeugt, da war ich felsenfest überzeugt, das muss so sein und er war so verliebt in die Idee, dass er sich gar nicht vorstellen konnte, dass das nicht stimmt."

Auch Galileo Galilei – er lebte von 1564 bis 1642 - war offenbar ebenfalls sehr überzeugt von seinen Ideen und Theorien. Er gilt als "Vater der experimentellen Physik".

"Die Sorgfalt und Genialität, die Galilei bei seinen Messungen an den Tag legte, gehören sicherlich zu den bemerkenswertesten seiner außergewöhnlichen Eigenschaften."

... rühmen ihn Physiklehrbücher. Inzwischen sind sich Wissenschaftstheoretiker sicher. Viele Versuche, die Galilei beschrieb, hat er nie durchgeführt.

"Besonders problematisch sind Galileis Experimente mit der schiefen Ebene. Dazu ließ er, wie er schreibt, 'gut gerundete und polierte Kugeln' eine Rinne herunterrollen. Die Rinne war mit – Zitat – 'äußerst glatt poliertem Schafspergament ausgeschlagen'."

In den 1970er Jahren machte sich ein Physiker daran, dies Experiment zu wiederholen. Der Haken an der Sache. Die Schafe sind zu kurz: So lange glatte Schafspergamente wie notwendig waren, gibt es nicht. Galilei hätte sie aneinander stückeln müssen, was genaue Messungen verhindert hätte.

Zankl: "Galilei, der hat ja von vornherein auch gleich gesagt, man solle ihm gefälligst glauben. Es sei nicht nötig, dass er da noch Experimente macht."

Was die "Väter der Physik" können, können die Enkel allemal – jedenfalls, wenn sie sich für genial halten beziehungsweise für genial gehalten werden. Heinrich Zankel hat sich mit dem Fall eines 1970 geborenen Nachwuchswissenschaftlers beschäftigt:

"Das ist der Jan Hendrik Schön, der sollte ursprünglich von der Max-Planck-Gesellschaft berufen werden an das Max-Planck-Institut für Festkörperphysik."

... als Direktor. Er legte eine steile Karriere hin, publizierte massenhaft, allein 17 Mal in den renommierten Zeitschriften "Science" und "Nature", wurde sogar als Nobelpreiskandidat gehandelt ...

Zankl: "... und bekam dann auch etliche Preise verliehen im Bereich der Mikroelektronenforschung und er war also schon von der Max-Planck-Gesellschaft berufen, da kam ein Kollege und hat gesagt, er hätte da in zwei Arbeiten genau die gleiche Abbildung gefunden bei Herrn Schön und das könnte er sich nicht so recht erklären. Wie man da weiter der Sache nachgegangen ist, ist dann die Abbildung auf einmal noch in mehreren Arbeiten aufgetaucht."

Im September 2002 stellte die Kommission fest: 16 Veröffentlichungen waren entweder frisiert oder frei erfunden. Im Abschlussbericht heißt es:

"Das Beweismaterial, dass eine Manipulation und fehlerhafte Darstellung von Daten stattgefunden hat, ist zwingend. Der Wissenschaftler tat dies absichtlich oder fahrlässig und ohne Wissen seiner Koautoren."

Dass man ihn so großzügig förderte, hatte sicher auch damit zu tun, dass seine Arbeiten zur Mikroelektronik und Informationstechnologie durchaus ökonomischen Nutzen für die Geldgeber versprachen. Dr. Hendrik Schöns Karriere ist zunächst einmal vorbei.

"Habe nun, ach! ... und so weiter ... und leider auch: Psychologie."

Anfang des 20. Jahrhunderts wurden Intelligenztests durchgeführt – in enger Verbindung mit Forderungen nach einer Beschränkung von Zuwanderung und der Fortpflanzung der intelligenzgeminderten Bevölkerungsschichten, vor allem der Schwarzen. Und dann kam der Engländer Cyril Burt, er forschte seit den 30er Jahren ...

Zankl: "... der wurde also sogar geadelt in England, hatte den ersten Psychologielehrstuhl in London inne und sein Forschungsschwerpunkt war die Erblichkeit von Intelligenz. Und da hat er zunächst einen ganz vernünftigen Ansatz gewählt, indem er Zwillingsstudien gemacht hat, eineiige Zwillinge, die ja genetisch identisch sind und hat dann dort geguckt: Getrennt aufgewachsene Zwillinge und zusammen aufgewachsene Zwillinge und hat eine Intelligenzkorrelation dann ausgerechnet, die dann nahe bei eins lag. Und eins wäre sozusagen vollständige Erblichkeit gewesen und seine Ergebnisse lagen so ungefähr bei 0,9."

… was beweisen sollte: Die dummen Armen seien eben dumm und arm, weil ihre Gene sie zu einem dummen und armen Leben verdammten.

Zankl: "Es stellte sich dann aber später – auch erst nach dem Tod von Herrn Burt heraus, dass er eine ganze Reihe dieser Zwillinge erfunden hatte, die gab es gar nicht. Er hatte insgesamt nur etwa 15 Zwillingspärchen untersucht und publiziert hat er etwa 60. Also er muss ein Grossteil davon erfunden haben."

Nicht nur das: In Burts renommierter eigener Zeitschrift publizierten häufig zwei Mitarbeiterinnen ihre wissenschaftlichen Ergebnisse zur Zwillingsforschung. Als Burt 1971 starb, begann man seine Ergebnisse zu kontrollieren. Die überraschende Erkenntnis: Die beiden Mitarbeiterinnen hat es nie gegeben, sämtliche Ergebnisse hat Burt selbst publiziert. Das heißt: Er hat unter den Namen seiner angeblichen Mitarbeiterinnen seine eigenen Forschungen überprüft, ergänzt und - wen wundert es? - in Vergleichsuntersuchungen bestätigt.

Doch nicht nur die Intelligenzforscher fälschten in allen Varianten – "forging", "cooking", "trimming", auch der Vater der Psychoanalyse, Sigmund Freud, "kochte" und "trimmte" seine Forschungen: Aus kurzen Gesprächen mit einem Klienten mit Rattenphobie machte Freud eine elfmonatige erfolgreiche Therapie und von früheren Kollegen "klaute" er Untersuchungsergebnisse und gab sie als eigene aus.

Zankl: "Freud war dann ja so vorsichtig, dass er alle seine Unterlagen verbrannt hat, dass man letztlich echte Fälschungen nicht nachweisen kann."

"Habe nun, ach! Psychologie,
Physik und Astronomie
Und leider auch: Biologie ..."

Georg Mendel, der Begründer der Vererbungslehre "schönte" die Auswertung seiner Kreuzungen ein wenig.

"Der Evolutionsbiologe Ernst Haeckel wollte nachweisen, dass sich in der Embryonalentwicklung die Stammesgeschichte wiederholt. Das heißt, auch im menschlichen Embryo wiederholt sich die biologische Entwicklung der Menschheit. Dazu retouchierte er Abbildungen der menschlichen Embryonalstadien: Schwanzanlagen verkürzte oder verlängerte er. Der Schwindel flog 1908 auf, doch konnte es der Karriere Haeckels nicht mehr schaden. Er starb 1919. Seine Theorien gelten als weitgehend korrekt."

Anders war das bei Trofim Lyssenko in der Sowjetunion der 40er und 50er Jahre: Er wollte nachweisen, dass sich die Pflanzen aktiv an veränderte klimatische Bedingungen – die Vererbung erworbener Eigenschaften - anpassten und fälschte systematisch die Ergebnisse seiner Experimente. Kritiker fielen dem stalinistischen Terror zum Opfer. Die Folge: Großversuche mit Weizen in den Sowjetunion scheiterten, der Staatssozialismus später auch.

"Habe nun, ach, Biologie und leider auch Biochemie ...

... Humanbiologie in der kapitalistischen Gesellschaft ..."

Rehm: "Wenn einer in die Forschung geht, geht er nicht des Geldes wegen hin, sondern des Ruhmes wegen. Er will sich selber beweisen, dass er ein guter Forscher ist, ja, und deshalb kommen die meisten Fälschungsfälle daher – die Leute schlittern so rein. Die drücken das Ergebnis so ein bisschen hin, nicht um mehr Geld zu kriegen, sondern um vor sich selber gut dazustehen, als Forscher gut dazustehen."

Was sich dann auch auszahlen kann.

"Ansehen, Bekanntheit und Berühmtheit des Wissenschaftlers sind soziales Kapital in objektivierter Form ..." schreibt Georg Franck in seinem Buch "Mentaler Kapitalismus. Eine politische Ökonomie des Geistes."

"Das professorale Selbstwertgefühl und die Selbstsicherheit der Koryphäe sind soziales Kapital in verinnerlichter Form; ...... es ist nicht länger die Macht, die das Wissen bedeutet, wofür Wissenschaftler arbeiten. Es ist auch nicht – jedenfalls nicht in erster Linie – der kommerzielle Gewinn. Wissenschaftler arbeiten von nun an für die Anerkennung."

"Und leider auch: Medizin ..."

... in der Friedhelm Herrmann und Marion Brach als führende Krebsforscher Deutschlands der 90er Jahre galten. Sie waren auch privat ein sehr eng verbundenes Forscherpaar. Sie hatten sich mit Botenstoffen beschäftigt, mit denen das Immunsystem Tumore abwehrt. Das Forscherpaar bekam lukrative Lehrstühle angeboten, doch dann verkrachten sie sich: Herrmann wollte seiner Ex einen Mitarbeiter abspenstig machen und gab ihm den Tipp, dass etwas nicht so ganz koscher sei in ihren Publikationen. Dieser Tipp war etwas unbedacht, da er selbst an einigen dieser Publikationen beteiligt war. Dieser Mitarbeiter deckte nun diverse Fälschungen auf, in die beide verwickelt waren:

"Manipulation von Bildern am Computer, Plagiate aus japanischen Publikationen, freies Erfinden von Daten."

Kommissionen wurden eingesetzt ...

Zankl: " ... und am Schluss kam raus, dass mindestens 65 der über 300 Publikationen, die die beiden gemacht haben, mindestens fälschungsverdächtig waren und 29 sicher gefälscht waren."

Der Skandal war perfekt und ging durch die Fachpresse. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft, die die Forschungen des Forscherpaares großzügig unterstützt hatte, beauftragte eine international zusammengesetzte Kommission ...

"Ursachen von Unredlichkeit im Wissenschaftssystem nachzugehen,
positive Gegenmaßnahmen zu diskutieren,
die existierenden Mechanismen wissenschaftlicher Selbstkontrolle zu überprüfen und Empfehlungen zu ihrer Sicherung zu geben."

Ulrike Beisiegel gehörte dieser Kommission an: "Das Wichtigste ist vielleicht, dass jeder Wissenschaftler aufgerufen ist, seine Ergebnisse kritisch zu hinterfragen, insbesondere dann, wenn seine oder ihre Hypothese stützen. Das kritische Hinterfragen der eigenen Daten ist das allerwichtigste. Aber dann auch ganz schnell das Zitieren anderer, die Nennung, von denen, die beteiligt sind, also Autorenschaften. Konkret: Autoren sind immer nur Personen, die wesentlich zur Publikation beigetragen haben und nicht Ehrenautoren, wie im Fall Herrman/Brach der Herr Mertelsmann. Das heißt, die Autorenfrage ist ein ganz wichtiger Punkt."

Üblich ist es, dass unbekannte Wissenschaftler namhafte Autoren als Koautoren für ihre Publikationen zu gewinnen versuchen. So verpflichtet man sich gegenseitig. Bekannte Namen öffnen Zugang zu den bedeutenden Zeitschriften und vermeiden eine allzu kritische Prüfung des Beitrags durch die Redakteure dieser Zeitschriften. Im Gegenzug können bekannte Wissenschaftler ihre Publikationslisten verlängern. Diesen Missbrauch der Autorenschaften will die Deutsche Forschungsgemeinschaft verhindern, indem genau angegeben wird, wer in welcher Weise an einer Studie beteiligt war.

"Abbau starrer Hierarchien, Etablierung transparenter Forschungszusammenhänge ..."

Auch so können Fälschungen verhindert werden. Beim brisantesten Fälschungsfall der letzten Jahre, beim Koreanischen Klonforscher Hwang konzentrierte sich die gesamte Forschung auf seine Person. Hwang war der Alleinherrscher seines Instituts. Die Fälschungen funktionierten so prächtig, weil jedes Mitglied seines Team persönlich abhängig von ihm war.

Beisiegel: "Weil damit ist ja das Teile-und-Herrsche, also jeder kriegt ein kleines Stückchen der Forschung, übersieht nicht das Ganze und kann auch nicht Unredlichkeiten oder Fälschungen erkennen und insofern ist diese Struktur, diese hierarchische Struktur, die in dem Falle Hwang also da war, die aber ohne weiteres auch in Deutschland in vielen Einrichtungen noch da ist, die führt ja auch dazu, dass es zu Unredlichkeiten kommt."

Der Klonforscher Woo Suk Hwang wurde in Südkorea als eine Art Nationalheld gefeiert. Vielen galt er als Anwärter für den Nobelpreis.

Zankl: "Ja, das ist diese Stammzellenproblematik, die ja überall sehr stark beforscht wird, weil man sich erhofft, dass man mit diesen Stammzellen gezielt dann Zellen herstellen kann, um irgend welche untergegangenen zerstörten Zellen – Herzzellen nach einem Herzinfarkt zum Beispiel – oder auch Alzheimererkrankungen, wo im Gehirn Zellen zu Grunde gehen, dass man diese Zellen ersetzen kann. Und das war bisher von Vornherein deswegen nicht möglich, weil, wenn man irgend welche Fremdzellen genommen hat, werden die immunologisch abgestoßen."

Hwang gab nun an, folgendes Verfahren entwickelt zu haben:

"Wir haben Zellen von Patienten mit unheilbaren Krankheiten entnommen und daraus durch Klonen embryonale Stammzellen gewonnen. Diese haben wir bereits an Tieren gestestet, um die Sicherheit und Effektivität dieser Zellen zu erforschen."

"Parkinson, Alzheimer könnten in Zukunft so geheilt werden. Leberzellen könnten ersetzt werden, Blutzellen, Herzmuskeln könnten neu aufgebaut werden, ausgefallene Bauchspeicheldrüsen könnten aktiviert werden ..."

Zankl: "Aufgefallen ist er ja zunächst dadurch, dass er also behauptet hatte, er hätte diese Eizellen von freiwilligen Spendern bekommen und da stellte sich doch heraus, dass er seine Mitarbeiterinnen unter Druck gesetzt hat, dass die sich mit Hormonen haben behandeln lassen und dass da also mehr Eizellen produziert wurden und das ist dann ja nicht nur ethisch etwas fraglich, sondern auch ein Gesundheitsproblem. Und wie man der Sache dann etwas weiter nachgegangen ist, stellte sich heraus: Das ist alles erfunden."

Im Dezember 2005 und Januar 2006 wurde bekannt, dass Hwang seine Forschungsergebnisse gefälscht hatte.

"33 Millionen Euro erhielt Hwang für seine Forschung, Teile davon landeten auf seinen Privatkonten."

Wegen Betrug und Veruntreuung wird gegen ihn ermittelt.

"Wir sind sehr froh, dass wir diese Arbeit in Science veröffentlichen dürfen. Wie Sie wissen, überprüfen wir derartige Arbeiten in einem strengen Gutachter-Prozess. Und diese Veröffentlichung aus Korea hat dabei sehr gut abgeschnitten."

... das versicherte der Chefredakteur von Science Donald Kennedy bevor der Betrug aufflog.

Beisiegel: "Diese Zeitschriften machen ihr Geld durch tolle Artikel, sonst werden sie nicht gekauft. Das ist der Markt. Und ich glaube, die müssen auch gut nachdenken und überlegen."

Um Fälschungen zu verhindern – oder vorsichtiger formuliert: um ein redliches wissenschaftliches Arbeiten zu ermöglichen - hat die Deutsche Forschungsgemeinschaft Ombudsstellen eingerichtet.

Beisiegel: "Der Ombudsman ist ein Gremium zum Aufspüren, Erkennen, vertraulichen Behandeln dieser Sache bis zu dem Punkt, wo es Konsequenzen hat, die dienstrechtlich sind oder juristisch sind."

Möglichst "niedrigschwellig" soll es für diejenigen sein, die einen Fälschungsverdacht haben. Vertraulichkeit wird zugesichert. Wer den Ruf eines Nestbeschmutzers hat, kann meistens seine wissenschaftliche Karriere vergessen.

Beisiegel: "Eine unserer Hauptaufgaben ist sicherlich, Schutz der Informanten."

Hinweise werden vertraulich geprüft, die Beschuldigten hinzu gezogen, die Konsequenzen erschöpfen sich meistens darin, in den Zeitschriften auf diese Fehler und übergangene Autoren hinzuweisen. Bei schwerwiegenden Fällen erhalten die Betroffenen keine Forschungsgelder mehr von der Deutschen Forschungsgemeinschaft oder es drohen dienstrechtliche oder strafrechtliche Konsequenzen. Letzteres kommt äußerst selten vor, Betrügereien jedoch immer wieder, so der Fälschungsdetektiv Hubert Rehm:

"Ich ertrinke förmlich in diesen Geschichten. Nicht nur so Forschungsfälschungsgeschichte, sonder auch so was, dass ... da macht einer Ergebnisse, der Professor nimmt ihm die Ergebnisse weg, tut die in eine Publikation von seiner Geliebten, damit die habilitieren kann und so was."

Als Gründe für Fälschungen und Unkorrektheiten kommen in Frage:

"Erstens: Persönlicher Erfolgsdruck, also Ruhm und Ehre.
Zweitens: Die finanzielle Abhängigkeit der Forschung von sogenannten Drittmitteln, also von Geldern von Industrie oder staatlich finanzierten Einrichtungen. Nicht zu vergessen ist: Die Industrie kann etwa mit neuen Medikamenten viel Geld verdienen.
Drittens: Der Druck, dass Stellen nicht verlängert oder bewilligt werden, wenn nicht rechtzeitig Ergebnisse vorliegen.
Viertens: Man umgeht die Blamage, Fehler eingestehen zu müssen, mit Verfälschungen der Ergebnisse."

Hinzu kommt – das Verhalten von Galilei, Freud, Hwang und anderen Wissenschaftlern macht das deutlich – die feste Überzeugung, dass die eigene Idee richtig ist.

"Heiße Magister, heiße Doktor gar,
Und zeihe schon an die zehn Jahr
Herauf, herab und quer und krumm
Meine Schüler an der Nase herum ..."