"Etwas altersmilde geworden"

Jörg Buttgereit im Gespräch mit Frank Meyer · 04.05.2011
Im vierten Teil seiner Horrorserie "Scream" ist Regisseur Wes Craven nach Ansicht seines Berliner Amtskollegen Jörg Buttgereit altersmilde geworden. Craven habe einen "sehr behüteten Film" abgeliefert, bei dem man sich keine Sorgen um seine Kinder machen müsse.
Frank Meyer: "Scream 4", der neuste Horrorschocker von Wes Craven kommt morgen in unsere Kinos. Wes Craven war schon in den 70er- und 80er-Jahren ein Meister des Horrorfilms. In den 90er-Jahren hat er dieses Genre dann mit seinen "Scream"-Filmen parodistisch und augenzwinkernd weiterentwickelt. Nach zehn Jahren Pause gibt es jetzt den vierten "Scream"-Film von ihm. Über die Lust am Horror reden wir gleich mit dem Filmemacher Jörg Buttgereit. Vorher stellt Ihnen die Kritikerin Anke Leweke "Scream 4" vor.

Anke Leweke über "Scream 4", den neuen Horrorfilm von Wes Craven. Ein Fachmann für dieses Genre ist der Berliner Jörg Buttgereit. Er hat selbst ziemlich blutige Filme gedreht und immer wieder über den Horrorfilm geschrieben. Seien Sie willkommen, Herr Buttgereit!

Jörg Buttgereit: Hallo!

Meyer: Können Sie erst mal allen zarten Seelen, die Horror im Kino eher nicht vertragen - ich selbst gehöre auch dazu, muss ich zugeben - erklären, was eigentlich Spaß macht daran, im Kino vor Angst zu schreien?

Buttgereit: Das Horrorgenre wird ja vornehmlich von Jugendlichen frequentiert. Ich erinnere mich auch, dass ich schon im Alter von vier bis fünf Jahren immer in den Jugendvorstellungen hier in Berlin-Schöneberg saß, und da liefen in der Regel Horrorfilme. Das heißt, als Jugendlicher ist man ja bestrebt, die Welt zu verstehen, sich selbst zu verstehen und seine eigenen Grenzen auszutesten. Das fängt dann mit Mutproben an.

Meyer: Sie sehen das als eine Art Mutprobe an, sich Horrorfilme anzuschauen?

Buttgereit: Also als Kind ist das zumindest erst mal der erste Impuls: Halte ich das aus? Weil man ja angeben will vor den anderen. Und ich war immer damals jemand, der es ausgehalten hat. Und ich erinnere mich noch, der Sohn meines Patenonkels war irgendwie tagelang traumatisiert, nachdem ich mit ihm einen italienischen Film mit dem Titel "Dracula jagt Frankenstein" gesehen habe. Dabei fand ich schon den damals relativ lächerlich. Aber tatsächlich geht es in Filmen wie "Scream" oder so ja auch um das Verlieren der Unschuld, und diese Messer schwingenden Psychopathen, die da rumrennen, die haben in der Regel auch Waffen, die an Phallussymbole erinnern. Insofern kann man da auch mit Herrn Freud rangehen, sicher.

Meyer: Ja, das wird eben immer, das Messer als Eindringen in den fremden Körper, das sind so diese freudianischen Spielarten. Das heißt, Sie würden auch sagen, Horrorfilme haben eben auch so eine sexuelle Konnotation, man wird zum Voyeur, damit zum Teilnehmer an einem sexuellen Spiel als Zuschauer?

Buttgereit: Ja, das kommt drauf an. In der Regel ist es ja der böse Mann, der die Frau bedroht, penetrieren will, und da hat ja Alfred Hitchcock mit "Psycho" eine Steilvorlage für das ganze Genre geliefert. Es kommt eben ganz drauf an, mit wem man sich identifiziert. Also bei mir war es so, ich glaube, bei vielen meiner Bekannten auch, dass ich damals, als ich eben schon als Kind im Kino saß, mich eher immer mit den Bösen beziehungsweise mit den Monstern identifiziert habe, weil die ja diejenigen waren, die nicht verstanden waren - so, wie man sich von seinen Eltern oder den Lehrern nicht verstanden fühlt, so wird Godzilla auf der Leinwand auch vom japanischen Militär beschossen, weil ihn niemand versteht. Oder das Frankenstein-Monster ist ja auch eher ein tragischer Held, das sind ja eigentlich alles böse Figuren, die aber eigentlich nicht so böse sind, wenn man sie mal versteht erst.

Meyer: Bei den Jugendlichen heute ist ja vor allem, wenn man jetzt auch auf den Sektor Gruselfilm guckt, diese Vampirfilme sind ja wahnsinnig erfolgreich, "Twilight" und so weiter. Haben Sie dafür eine Erklärung, warum diese Sonderform des Horrorfilms gerade so Erfolge feiert?

Buttgereit: Die "Twilight"-Filme, die zielen ja auf ein sehr jugendliches Publikum ab, und der ganze Themenkomplex Vampirismus ist ja eigentlich auch nichts anderes als eine Metapher für den ersten Sex und das Verlieren der Unschuld, insofern macht das für mich totalen Sinn. Das ist eine sehr abgeschwächte Form des Horrors schon, also da gab es ja sehr viel bösere Vampire schon.

Meyer: Der dann auf ein noch jüngeres Publikum abzielt als der klassische Horrorfilm, "Twilight" jetzt?

Buttgereit: Ja, ja, auf jeden Fall.

Meyer: Wenn wir zu den "Scream"-Filmen zurückkommen, da geht es eben - Sie haben es auch schon angesprochen - es geht um das Abschlachten von Teenagern, Teenager Movies heißt dieses Genre ja auch. Hat das unmittelbar damit zu tun, dass eben die Zuschauer Teenager sind, oder was spielt da noch mit rein, dass immer wieder Teenager zu Opfern dieser Filme werden?

Buttgereit: Also natürlich, weil das Zielpublikum für diese Filme sind ja Teenager, und dann müssen natürlich auch Teenager in den Filmen vorkommen beziehungsweise bedroht werden, weil ja sonst eine Identifikation nicht stattfinden kann. Bei uns in Deutschland gibt es halt dieses Missverständnis, dass Horrorfilme meistens hier ab 18 Jahren erst freigegeben sind - das ist eigentlich das Alter, in dem man beginnt, sich nicht mehr für Horrorfilme zu interessieren -, insofern geht da vieles an den Jugendlichen hier vorbei, was sie eigentlich interessiert. Und die sollen hier oft beschützt werden vor Dingen, die sie eigentlich angehen.

Meyer: Ist das in den USA mit den strengen Jugendschutzgesetzen dort anders, mit der Freigabe?

Buttgereit: Ja, also da gibt es in jedem Fall immer so Zwischenregelungen wie, wenn ihr eure Eltern mitbringt, dürft ihr euch im Prinzip alles ansehen. Probleme mit der Gewaltdarstellung gibt es in Amerika nicht so sehr wie hier, dafür gibt es hier weniger Probleme bei dem Darstellen von Sex. Und deswegen ist das natürlich für Amerika wichtig, dass man den Sex sozusagen als stellvertretende oder die Gewalt als stellvertretende Aktion für den Sex ausleben darf.

Meyer: Diese "Scream"-Filme, der erste ist vor 15 Jahren herausgekommen, und es heißt immer, sie würden eigentlich nach dem immer gleichen Muster ablaufen, diese Filme. Können Sie uns das kurz skizzieren, wie läuft dieses Muster immer wieder?

Buttgereit: Wes Craven selbst hat ja - Sie hatten es schon eingangs gesagt - das Slasher-Genre in den 70ern und 80ern selbst miterfunden, und er macht sich eigentlich über dieses selbstreferenzielle Genre jetzt auch lustig. Da gibt es eben jemanden, der mit einem Messer Jugendliche bedroht, und damit hat es sich eigentlich auch schon. Die rennen halt alle weg.

Meyer: Das ist die Idee.

Buttgereit: Genau. Und in "Scream" ist es halt so, dass die durch das Wissen um die Genrekonventionen, also die wissen halt, wie man sich als Opfer zu verhalten hat, um zu überleben. Dieses Wissen hilft ihnen halt beim Überlebenskampf. Was ich ein bisschen komisch fand, war, dass mir dieser Film ein bisschen reaktionärer erschien als die alten, weil sich selbst der Killer gegen neuere Genreausformungen wie den Torture Porn oder all diese Sachen so ein bisschen wehrt und sagt, er hasst diese Art von ..., also er ist selbst auch schon so ein bisschen zurückgeblieben.

Meyer: Aber haben die Filme nicht sowieso einen sehr, sehr konservativen Grundzug? Wenn ich an die Figur des Final Girl denke, das soll es immer geben in diesen Filmen, mehr oder weniger, also eine Mädchen-, Frauenfigur, die überlebt, weil sie noch keine Drogen nimmt, weil sie noch keinen Sex hat, weil sie so was ist wie die unberührte Jungfrau und deswegen am Ende mit dem Leben davonkommt - das ist ja eine heillos konservative Moral dieser Filme.

Buttgereit: Ja, das stimmt, aber es gibt natürlich auch ... Die Filme sind auch konservativ, wenn die nicht überleben. Also die ganzen 125 Teile von "Freitag der 13." leben eigentlich nur davon, dass Teenager dafür bestraft werden, dass sie Sex haben. Die werden dann immer dabei beobachtet und dabei umgebracht. Es ist schon eine konservative Sichtweise. Aber es gibt auch fortschrittliche Sichtweisen, und "Scream" ist schon ein bisschen fortschrittlich, weil Wes Craven einfach weiß, was er tut.

Meyer: Nun kennen Sie schon den vierten Teil, den vierten "Scream"-Film - ohne jetzt zu viel zu verraten, der Anspruch, der dahintersteht, und der Ruhm von Wes Craven dafür ist ja, dass er dieses Genre erneuert hat mit dem ersten "Scream"-Film - gelingt ihm das denn wieder, jetzt mit dem vierten Teil?

Buttgereit: Eigentlich nicht. Außer die Sachen, die mir jetzt aufgefallen sind im Bezug darauf, dass er sich von diesen etwas härteren Horrorfilmen schon abgrenzt, ist er doch etwas altersmilde geworden. Wenn man daran denkt, dass der in den 70ern so böse Filme wie "The Last House on the Left" gemacht hat oder auch Pornos gedreht hat - nicht als Regisseur, aber zumindest in dem Produktionsprozess mitgewirkt hat -, da ist das jetzt schon ein sehr behüteter Film, der auch sagt: Das Internet ist böse, und ja: Man muss sich keine Sorgen machen, wenn man seine Kinder in "Scream" schickt. Ich weiß gar nicht, ob die rein dürfen, ob die auch wieder ab 18 ist, ob es da schon wieder dieses Missverständnis gab, aber ...

Meyer: Das sagt Jörg Buttgereit, und wir müssen uns in Erinnerung rufen, er selbst hat mit vier oder fünf Jahren die ersten Horrorfilme gesehen. Also, ein altersmilder Horrorschocker, "Scream 4" von Wes Craven, kommt morgen in unsere Kinos. Über den Horror im Kino haben wir mit Jörg Buttgereit gesprochen. Herzlichen Dank!

Buttgereit: Bitte!

Infos zum Film

"Scream 4" von Wes Craven startet am 5. Mai 2011 in den deutschen Kinos. Er ist ab 18 Jahren freigegeben.