Etikettenschwindel

Skandal! Die AfD ist nicht mehr rechtspopulistisch

Ein AfD-Fähnchen auf einem Landesparteitag der AfD
"Rechtspopulistisch" - dieses Adjektiv meidet die Tagesschau zukünftig im Zusammenhang mit der Nennung der AfD. © picture alliance / dpa / Klaus-Dietmar Gabbert
Von Bodo Morshäuser · 01.11.2016
Ist die AfD rechtsradikal? Rechtspopulistisch? Völkisch orientiert? Vor lauter Diskussionen um das passende Etikett werde eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den Forderungen der AfD versäumt, mahnt der Schriftsteller Bodo Morshäuser. Außerdem lebe die Partei von der Skandalisierung.
Bis vor kurzem wurde die AfD in der Tagesschau "rechtspopulistische AfD" genannt. In vielen Radiosendern und Zeitungen ist das immer noch so. Die Tagesschau erklärte, "dass es der permanenten Einordnung durch dieses Attribut nicht mehr bedarf". Man müsse lernen, "die AfD als eine demokratisch legitimierte Partei zu behandeln".
Wer Wahlergebnisse lesen kann, hatte schon länger die Vermutung, dass die AfD demokratisch legitimiert ist. Aber was meint der Chefredakteur der Tagesschau wohl mit diesem Gegensatz? Da sie "demokratisch legitimiert" sei, nenne man sie nicht mehr "rechtspopulistisch". Natürlich kann eine demokratisch legitimierte Partei rechtspopulistisch sein.
Wollte man der AfD ein Attribut zuweisen, so stünden schon einige zur Verfügung: Man kann sie "nationalistisch" nennen, oder "rechtsradikal", was zwar unscharf, aber nicht unschärfer als "rechtspopulistisch" ist. Man kann sie "ethnozentristisch" oder "völkisch orientiert" nennen und läge mit keiner Bezeichnung falsch. Selbstverständlich ist sie fremdenfeindlich.
Das Programm der AfD verbreitet den Anschein, sie wolle mal richtig aufräumen. Das Grundrecht der freien Meinungsäußerung sei außer Kraft, und die AfD wolle es wieder schützen. Das hält sie nicht davon ab, ihrerseits Forderungen aufzustellen, die verfassungswidrig sind, etwa die, Religionen ungleich zu behandeln.

Die Angst vor "importierten kulturellen Strömungen"

Im Abschnitt über Kultur wird behauptet, "importierte kulturelle Strömungen" seien eine "ernste Bedrohung für den sozialen Frieden und für den Fortbestand der Nation". Kein Mensch in Deutschland lebt ohne kulturelle Strömungen von anderswo, seien es Hollywood-Filme, französisches Essen oder italienische Opern. Sie müssen nicht mal importiert werden. Sie sind einfach da, weil Deutschland keine Insel ist. In neun Zehnteln des Abschnitts über Kultur werden Restriktionen für gläubige Muslime gefordert.
In den sehr ausführlich geratenen Abschnitten zur Begrenzung von Einwanderung und Asyl gibt es ein paar Sätze über Integration. In ihnen werden ausschließlich Forderungen an Zugezogene aufgestellt. Mit keinem Wort werden Integrationsangebote erwähnt.
Energiepolitik? Kernkraftwerke wieder ans Netz, erneuerbare Energien nicht mehr fördern, Ausgaben für Klimaschutz streichen, Ausbau der Windenergie stoppen. Der Autoverkehr? Dürfe nicht mehr behindert werden. Wörtlich steht da der alte Hut drin: "Freie Fahrt für freie Bürger". Soweit die AfD.
Die Bezeichnung "rechtspopulistische AfD" vermittelt mir nie den Eindruck einer Markierung der Partei als rechts. Für mich klingt das eher wie "volkstümlich rechts", also nicht rechtsextrem. Für mich klingt das wie eine Verharmlosung. In dieser Tradition der Verharmlosung ist es folgerichtig, nach einer Übergangszeit auch das Attribut "rechtspopulistisch" noch zu streichen, wie die Tagesschau es getan hat.

Die AfD lebte lange von ihrer Skandalisierung

Diese Normalisierung der AfD passt seitenverkehrt zu ihrer Skandalisierung. Jeder hat noch die Talkshows und Diskussionsrunden vor Augen oder in den Ohren, wo die AfD mal so richtig vorgeführt werden sollte. Und jeder merkte, so einfach geht das nicht. Denn die AfD lebte lange von ihrer Skandalisierung.
Solange abwechselnd skandalisiert oder verharmlost wird, wird eines immer versäumt: sich mit den Forderungen der AfD inhaltlich auseinanderzusetzen. Aber ich bezweifle, dass im Fernsehen mal ein AfD-Politiker erklären muss, warum "importierte kulturelle Strömungen", warum Samba und Sushi, warum Fado und Falafel den Fortbestand des sozialen Friedens gefährden.
Bodo Morshäuser wurde 1953 in Berlin geboren und lebt dort als Schriftsteller. Er hat etliche Romane, Gedichte und Erzählungen veröffentlicht, beispielsweise: "Und die Sonne scheint" (Hanani-Verlag) und "In seinen Armen das Kind" (Suhrkamp). Zudem beschäftigt er sich mit dem Thema Rechtsextremismus.
Der Schriftsteller Bodo Morshäuser
Der Schriftsteller Bodo Morshäuser© M. Maurer
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