Ethikrat befürwortet stärkere Kontrolle in der Sterbehilfe

Moderation: Hanns Ostermann · 02.07.2008
In der Debatte um aktive Sterbehilfe hat sich der Vorsitzende des Deutschen Ethikrates, Edzard Schmidt-Jortzig, gegen eine Verschärfung des Strafrechts ausgesprochen. Es würde ausreichen, Organisationen, die Suizidbeihilfe anbieten, stärker zu kontrollieren. Es müsse sichergestellt werden, dass dort keine kommerziellen Ziele verfolgt würden, sagte der ehemalige Bundesjustizminister.
Hanns Ostermann: Ein ehemaliger Hamburger Justizsenator sorgt bundesweit für Schlagzeilen und für leidenschaftliche Kontroversen. Roger Kusch half einer lebensmüden Rentnerin beim Sterben. Die Dame war weder todkrank, noch litt sie unter starken Schmerzen. Sie wollte nur nicht ins Pflegeheim. Ärzte und Politiker sind empört. Übermorgen soll der Bundesrat über einen Gesetzentwurf mehrerer unionsgeführter Länder zur Sterbehilfe beraten. Danach wäre künftig gewerbliche Sterbehilfe strafbar, ebenso die Gründung und Mitgliedschaft in einer Vereinigung mit dem Zweck, Sterbehilfe anzubieten. Aber ist das die richtige Antwort? – Darüber möchte ich mit Edzard Schmidt-Jortzig sprechen. Der Vorsitzende des Deutschen Ethikrates war früher Bundesjustizminister. Guten Morgen Herr Schmidt-Jortzig.

Edzard Schmidt-Jortzig: Guten Morgen Herr Ostermann.

Ostermann: Brauchen wir eine Regelung, die das Geschäfte machen mit dem Tod verhindert, oder reichen die vorhandenen Gesetze - davon ist der eine oder andere Sozialdemokrat überzeugt – aus?

Schmidt-Jortzig: Ich würde die Frage nicht so stellen, sondern bei der Frage nach einer gesetzlichen Verbotsvorschrift mich an der Strafwürdigkeit orientieren. Offenbar besteht ein gewisser Bedarf in der Bevölkerung, ist vielleicht zu viel gesagt, aber bei den in Not geratenen Personen für eine solche Aktivität und es würde meines Erachtens schon hinreichen, wenn man die betreffenden Einrichtungen, die so etwas dann anbieten – das sind also diese berühmt berüchtigten Dignitas -, stärker kontrollieren würde. Wenn es wirklich sichergestellt ist, dass da keine gewerblichen Dinge, also reines Renditestreben, Kommerzialisierung und so weiter stattfindet, weiß ich nicht, ob wir uns da mit einer Verbotsvorschrift für wirklich dringende Bedarfe in Notfällen aus der Affäre ziehen können.

Ostermann: Darf man einem zur Selbsttötung bereiten Menschen beistehen oder nicht? Ist das auch aus Ihrer Sicht die Kernfrage?

Schmidt-Jortzig: Das ist eine Kernfrage, und zwar nicht nur die Kernfrage für die Juristen. Ich lese ja auch in der Zeitung, dass da die entsprechenden Vorermittlungen zumindest gegen Herrn Kusch ablaufen, und es wird dabei immer darauf ankommen, ob die letzte Entscheidung, die sogenannte Tatherrschaft über das Geschehen, bei dem Lebensmüden, bei dem Suizidenten liegt. Wenn das der Fall ist, sagt unsere Rechtsordnung jedenfalls, dann ist das nicht strafbar, wenn ich dort zur Hand gehe. Es wird nur kritisch, wenn eben Dinge von diesem Helfer getan werden, die der Sterbenswillige nicht mehr selbst steuern kann und nicht mehr selbst steuert. Diese Gratwanderung ist das, an dem sich der Gesetzgeber bislang auch zurückgehalten hat.

Ostermann: Die Frage ist doch auch: Wo fängt Beistand an? Von welchem Punkt an macht sich ein Arzt, ein Pfleger oder auch ein Angehöriger strafbar?

Schmidt-Jortzig: Wir würden natürlich als Menschen, als Mitmenschen von Vornherein von jedem verlangen, der sich mit einem solchen in Not geratenen Lebensmüden beschäftigt und befasst, verlangen, dass wir ihm Mut machen, dass wir ihn also abzubringen versuchen von seinem Entschluss, aus dem Leben zu scheiden. Das muss immer am Anfang stehen und muss vor allen Dingen auch der Leitfaden für alle Aktivitäten in diesem Feld sein. Aber man kann natürlich nicht die Augen davor verschließen, dass es auch unentrinnbare Notsituationen gibt, Ausweglosigkeiten, die jedenfalls so von dem Betroffenen gespürt werden, dass er keinen anderen Ausweg mehr sieht, als aus dem Leben zu scheiden. Wenn man diesen Entschluss des Betreffenden ernst nimmt – und darauf hat er wegen seines Selbstbestimmungsrechtes und seinem Anspruch auf Würde und Achtung ja auch einen Anspruch -, dann wird man ihm möglicherweise manches erleichtern oder mit manchem dabei helfen. Aber man darf nie diesen Entschluss des Sterbenwollenden irgendwie überholen oder abnehmen oder ihn überhaupt in diese Richtung zu bewegen versuchen.

Ostermann: Es ist ein fürchterliches Problem, über das wir da reden. Es gibt in der Tat Menschen, die einfach nicht mehr leben wollen. Und Sie haben gesagt, es gibt das Selbstbestimmungsrecht. Das heißt also, auch mir als Angehörigem bleibt dann eigentlich nichts zu tun, außer dem was Sie gerade gesagt haben: sich umhören, Hilfsangebote machen. Aber danach muss man diesem Menschen dann seinem Schicksal überlassen.

Schmidt-Jortzig: Eigentlich ja und man kann, wie es ja auch bei anderen Sterbenden der Fall ist, ihn natürlich auf diesem letzten Weg begleiten, indem man ihm gewissermaßen die Hand hält und ihn bis zum Schluss spüren lässt, dass er nicht alleine ist. Aber es wird immer dann heikel, wenn eben wirklich aktive Beiträge geleistet werden zum aus dem Leben scheiden, und da ist dann auch der moralische oder ethische Limes erreicht, über den man nicht hinwegsteigen darf, denn die Achtung vor dem Leben des anderen, die Integrität des Lebens des anderen ist eben eines unserer höchsten zivilisatorischen Güter bis hin "Du sollst nicht töten" oder "der Staat darf keine Todesstrafe verhängen" und so weiter. Also das Leben des anderen auf jeden Fall zu achten, aber auch in seinem Würdeanspruch, das ist das schwierige, wo man diese Zone, die dann auch die Mitmenschlichkeit von uns zu beachten verlangt, verlässt.

Ostermann: Eine Mitmenschlichkeit, die ja irgendwann auch mal auf eine Grenze stößt - und das sind Argumente der Unionspolitiker. Wann setzt der Vorwurf ein der unterlassenen Hilfeleistung? – Wir spielen diesen Fall durch. Ein naher Angehöriger möchte sterben. Sie sagen, man kann ihn begleiten, ohne diesen Wunsch sozusagen zu intensivieren. Aber wann taucht der Vorwurf auf, hier hätte Hilfe geleistet werden müssen?

Schmidt-Jortzig: Das ist auch die, wie ich sehe, ungeklärte oder häufig auch sehr widersprüchliche Lage im Strafrecht, denn der Beihelfer zur Selbsttötung, der vom Gesetz her straffrei bleibt, ist in der Sekunde, wo der Sterbenswillige dann das Bewusstsein verliert und in hilfloser Lage ist, verpflichtet, ihm zu helfen. Das ist ja ein Widerspruch in sich, aber diese Grenzüberschreitung kennt das Strafrecht. In dem Moment ist dann also unterlassene Hilfeleistung, auch wenn man es vorher mit dem bis dahin noch bei Sinnen seienden Lebensmüden so abgesprochen hat, strafbar. Diese Widersprüchlichkeit in der geltenden Rechtslage wird man auch, glaube ich, nicht ernsthaft aufheben können, wenn man an strafgesetzlichen Symptomen kuriert, wie das jetzt eben angestrebt wird, indem man es erst gar nicht so weit kommen lassen möchte, also kommerzielle Sterbehilfeeinrichtungen verbietet und überhaupt die Kommerzialisierung der Dinge verbieten will. Das sind ja nicht die Fragen, die wirklich auf den Nägeln brennen. Das sind Auswüchse, die natürlich unterbunden werden müssen. Ob das mit Strafrecht geht, weiß ich nicht. Ich glaube, es wäre besser, wenn man über diese Einrichtungen eine stärkere Kontrolle hätte. Aber das Kernproblem, wann ist tätiges Mittun, Übernahme eigener Handlungsbeiträge zu dem wirklichen Lebensbeenden gegeben und wann ist wirkliches passives oder wenn Sie wollen nur beihelfendes Mitwirken bei dem, was der Lebensmüde selber tut, vorhanden? Diese Grenze kann man theoretisch vielleicht schärfer fassen, aber in der Realität ist das alles fließend. Das ist auch, finde ich, eine der Kritiken an dem Herrn Kusch aus Hamburg, bei dem man ja nicht das Gefühl hat – jedenfalls nach dem, was man so mitbekommt, dass er da mit sich gerungen hat und alles unternommen hat, sondern das ist ja eine große Selbstinszenierung mit Videoaufnahme etc. Das ist schon aus dem Grunde äußerst fragwürdig.

Ostermann: Die Sterbehilfe-Diskussion in Deutschland. Am Telefon war der Vorsitzende des Deutschen Ethikrates Edzard Schmidt-Jortzig. Vielen Dank für das Gespräch.


Das Gespräch mit Edzard Schmidt-Jortzig können Sie bis zum 2. Dezember 2008 in unserem Audio-on-Demand-Angebot nachhören. MP3-Audio