Ethik

Der Friedensbegriff hinter dem Nobelpreis

Bertha von Suttner (1843-1914), undatierte Aufnahme: Die österreichische Pazifistin und Schriftstellerin regte die Stiftung des Friedensnobelpreises an, mit dem sie selbst 1905 als erste Frau ausgezeichnet wurde.
Strenge Pazifistin: Auch Bertha von Suttner erhielt den Friedensnobelpreis zu ihren Lebzeiten © picture-alliance / dpa
Von Katharina Doebler · 11.10.2015
Schaut man sich an, wer den Friedensnobelpreis bisher erhalten hat, so wird schnell deutlich: Einen einheitlichen Friedensbegriff kann man bisher nicht entdecken - zu unterschiedlich ticken die Preisträger.
Wenn man sich die Liste der Friedensnobelpreisträger einmal ansieht, findet man eine Mischung, die auf den ersten Blick nicht sehr logisch, sogar widersprüchlich scheint: Allein in den Jahren 1904 bis 1906 stehen da nacheinander das Institut für Internationales Recht, eines der ersten seiner Art; der US-Präsident Theodore Roosevelt, der mit einer expansionistischen Außenpolitik die Rolle der USA als Weltpolizist – durchaus im Sinn eigener Interessen – postulierte; und zwischen beiden die radikale Pazifistin Bertha von Suttner, deren programmatischer Roman "Die Waffen nieder" zu dieser Zeit die Bibel der Friedensbewegung war. Suttner soll Alfred Nobel überhaupt erst zur Stiftung seines Friedenspreises inspiriert haben. Ihre Haltung beruhte auf einem Menschenbild, das Frieden als menschlichen Naturzustand, Krieg und Gewalt dagegen als einen, wie sie es nannte, "Irrwahn" definierte.
Im Gegensatz dazu vertrat Roosevelt ganz explizit die Einstellung eines Machtpolitikers, der Waffen einsetzt, um langfristig einen nicht-kriegerischen Zustand herzustellen. Frieden im Sinne einer allgemeinen Abrüstung, wie er Bertha von Suttner vorschwebte, ist das allerdings noch nicht. Sie - wie andere Träger des Friedensnobelpreises, etwa Mutter Teresa und der Dalai Lama – traten aus Prinzip für Gewaltlosigkeit ein; sie ließen sich von einem Idealismus leiten, der im Sinne Kants das moralisch Richtige zum Maßstab des Handelns macht.
Die Prinzipien, aber nicht die Folgen des Handelns im Blick
Ein Zeitgenosse Suttners wie Roosevelts, der Sozialphilosoph Max Weber, bezeichnete solche Idealisten als "Gesinnungsethiker" – und hielt diese Leute für höchst gefährlich, denn sie hätten zwar Prinzipien, aber nicht die Folgen ihres Handelns im Blick. Er plädierte dagegen für eine "Verantwortungsethik", die mit den "durchschnittlichen Defekten" der Menschen rechnet, eine Realpolitik also, die nie dumm genug wäre, etwa einseitig abzurüsten. "Du sollst", so schrieb er wörtlich, "dem Übel gewaltsam widerstehen, sonst bist du für seine Überhandnahme verantwortlich."
Das ist nun die Art von Friedenssicherung, für die Roosevelt stand. Sie beruht auf der Theorie eines positiven Absolutismus, die Thomas Hobbes im 17. Jahrhundert formuliert hat. Für Hobbes ist der menschliche Naturzustand der eines "Krieges aller gegen alle". Seinem bekannten Diktum, der Mensch sei dem Menschen ein Wolf, liegt die Vorstellung zugrunde, dass Menschen stets gegeneinander kämpfen, weil sie um sich selbst und ihren Besitz fürchten. Nur der starke, von allen anerkannte Herrscher könne für sozialen Frieden sorgen: der mächtige Staat, der Leviathan.
Die diesjährige Vergabe des Preises nun an das tunesische Dialog-Quartett anerkannter zivilgesellschaftlicher Institutionen - Gewerkschaftsverband, Arbeitgeberverband, Menschenrechtsliga und Anwaltskammer - zeigt, in welcher Form sich dieses Denken in der politischen Praxis von heute niederschlägt. "Verantwortungsethisch" im Sinne Max Webers taten sich im tunesischen Dialog-Quartett Kräfte mit durchaus widerstreitenden Interessen zusammen, um einen demokratisch legitimierten Leviathan am Leben zu halten – den starken, schützenden Staat.
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