"Musik ist der wundervollste Teil meines Lebens"
Ethan Hawke ist fasziniert vom amerikanischen Jazz-Musiker Chet Baker. Seit Jahren schon wollte er ihn unbedingt spielen, nun verkörpert er ihn in "Born to be Blue" - und erzählt im Interview was er hinter der coolen Fassade des Stars entdeckte.
In dem Film "Born to be Blue" spielt Ethan Hawke den "Prince of Cool" Chet Baker. Der ist gerade am Tiefpunkt seiner Karriere angelangt, aus dem Gefängnis entlassen, heroinabhängig und mit eingeschlagenem Kiefer im Krankenhaus.
Chet Baker versucht, seine Dämonen zu bändigen und sich als Künstler neu zu erfinden. Das Wunderbare an dem Film: Er nimmt dabei das Leben von Chet Baker und die Musik ernst, ohne zu sehr jeden Winkel von Bakers Lebensgeschichte ergründen zu wollen. Nach Rollen in Filmen wie dem "Club der toten Dichter", "Training Day" oder der "Before-Sunrise / Sunset / Midnight"-Reihe spielt Ethan Hawke jetzt also Chet Baker, als nervösen, einsamen, bedürftigen und suchenden Musiker. Vor vielen Jahren wollte Ethan Hawke ihn schon einmal spielen. Was fasziniert ihn an Chet Baker so sehr?
Ethan Hawke: Wenn man Schauspieler ist und Jazz mag, dann gibt es nicht allzu viele Weiße, die man spielen kann. Für die meisten Jazz-Größen wäre ich keine gute Besetzung (lacht)… Chet Baker hat etwas Hypnotisches. Als ich 18 oder 19 war und Jazz für mich entdeckte, war er ein großartiger Jazzmusiker für Einsteiger, weil er sehr zugänglich ist. Er kann genial improvisieren und man erkennt, wie seine Improvisationen funktionieren. Er ist vor allem immer tief im Einklang mit der Melodie und das macht es ein wenig leichter. Miles Davis, Charlie Parker und Dizzie Gillespie erscheinen mir wesentlich anspruchsvoller in dem, was sie machen. Aber Chet Bakers Musik hat etwas so kraftvoll Trauriges, etwas so Melancholisches, dass es fast wie ein Stück von Samuel Beckett wirkt, so als ob man direkt in die Leere blickt. Ein Kritiker hat mal gesagt: "Er singt nicht, das ist die Erinnerung an jemanden, der gesungen hat". Er hat mich einfach immer berührt. Man kann seine Musik nicht hören, ohne sich zu fragen, was wohl seine Geschichte ist. Seine Art zu spielen ist so persönlich, dass er für mich immer eine interessante Figur war, die ich gerne spielen wollte.
"Ich konnte seine Zerbrechlichkeit spüren"
Susanne Burg: Der Film ist halb fiktiv und halb beruht er auf Tatsachen. Nicht alles ist wie in Chet Bakers echten Leben. Seine Freundin Jane zum Beispiel ist eine Kombination aus verschiedenen Frauen, mit denen er zu tun hatte. Und trotzdem wollt der Film aber seinem Charakter treu zu bleiben und ihn wahrhaftig wiedergeben. Was hat das für Ihre Vorbereitung als Schauspieler bedeutet?
Ethan Hawke: Ich habe einfach versucht, es für mich persönlich passend zu gestalten. Ich war mein Leben lang umgeben von Künstlern, Musikern, Verrückten, sehr sensiblen Menschen, Depressiven und Süchtigen. Das, was man immer von Chet Baker kennt, sind diese kultigen, coolen Fotos, er wirkte wie der Prinz der Coolness. Wenn man sich die Fotos genauer ansieht, findet man so viel Unsicherheit. Wenn Leute versuchen, sich als besonders cool zu präsentieren, haben sie häufig auch eine immense Unsicherheit in sich. Diese Zerbrechlichkeit konnte ich bei ihm regelrecht spüren. Das faszinierte mich am meisten, er wurde zu einer wirklich interessanten Figur für mich.
Susanne Burg: Die berühmtesten Fotos, die es von ihm gibt, stammen von William Claxton, der ihn als einen James Dean des Jazz verewigt hat. Wie Sie schon sagten, gibt es auf der einen Seite dieses coole Image von ihm und auf der anderen Seite diese Zerbrechlichkeit – sind das auch die beiden Facetten, die Sie darstellen wollten? Oder anders ausgedrückt, wie nah wollten Sie an dem Bild bleiben, das von ihm existiert?
Ethan Hawke: Zweidimensionale Bilder sind nie wahrheitsgetreu. Ich wollte ihm einerseits Respekt zollen angesichts des Kultes um ihn. Aber wenn man einen Film über Chet Baker machen will, der etwas taugt, dann muss man ins Innere dieser Coolness und auch darüber hinaus blicken. Was ich interessant fand, war, dass viele seiner Freunde immer wieder erwähnten, wie witzig er war. Diese Vorstellung fand ich faszinierend. Wenn man an Chet Baker denkt, fällt einem ja nicht als erstes Scharfsinn oder Witz ein. Das wollte ich im Kopf behalten, als ich ihn gespielt habe.
Susanne Burg: Was ich interessant finde, ist, dass ja seine Heroin-Abhängigkeit einen großen Teil seines Lebens bestimmt hat. Im Film fragt seine zukünftige Freundin Jane ihn in einer Szene "Warum bist du so ein Versager?" Und er antwortet einfach nur: "Weißt du, ich bin halt gerne high." Er redet nicht über seine schwierige Kindheit, der Film erklärt in dieser Hinsicht auch nicht viel, was ich als sehr erfrischend empfinde. Aber wie tief sind Sie in seine Persönlichkeit vorgedrungen, um ihn wirklich verstehen zu können und wie haben Sie das gemacht?
Ethan Hawke: Wir folgen ja alle nur unserem eigenen Instinkt. Ich habe versucht, es auf meine Person zu beziehen. Wenn wir erwachsen werden, orientieren wir uns an dem, was wir interessant finden. Wir sehen bestimmte Persönlichkeiten und folgen ihnen gewissermaßen. Ich glaube, alle Helden von Chet Baker waren Heroin-Abhängige. Und er wollte wie sie sein. Billie Holiday und Charlie Parker – das waren die Jazz-Größen, die er in Ehren hielt und zu denen er aufsah. Er schien selber kein großes Problem damit zu haben, Heroin-abhängig zu sein, er dachte, dass nur der Rest der Welt Probleme damit hatte. Aber das ist leider so bei Süchtigen: Wenn die Sucht dann einmal vollständig Besitz von einem ergreift, ist es schwer, klar zu denken.
Hören Sie hier das Gespräch im Originalton:
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Eine dreidimensionale Person geschaffen
Susanne Burg: Mit Chet Baker haben Sie also eine Figur gespielt, die wirklich gelebt hat. Wenn man sich aber mal die fiktiven Charaktere ansieht, die Sie davor gespielt haben, dann erschienen die auch völlig real. Sie, Ethan Hawke, sind sogar mit ihnen gealtert, wenn man an Boyhood denkt oder an Before Sunrise, Before Sunset und Before Midnight. Ist die Herangehensweise für Sie als Schauspieler letztendlich dieselbe, egal, ob es sich um reale oder fiktive Figuren handelt?
Ethan Hawke: Das ist eine interessante Frage. Ein Vorteil, eine reale Figur zu spielen, liegt darin, dass es viel leichter ist, diese vielseitig und reichhaltig zu gestalten. Ich erinnere mich, dass Peter Weir beim Club der toten Dichter von uns Jugendlichen eine Biographie ihrer jeweiligen Figur haben wollte, wir sollten schreiben, was ihre Lieblingsfarbe ist, wo sie geboren wurde, wie viele Geschwister sie hat, was in ihrer Kindheit wichtig war… Ich habe das seitdem immer so gemacht. Es macht das Schauspielen besser, wenn man sich das Leben dieser Figuren vorstellen kann.
Das Wunderbare daran, jemanden wie Chet Baker zu spielen, ist ja, dass man tatsächlich herausfinden kann, was für Zigaretten er geraucht hat, welche Autos er gerne fuhr oder in welche Frauen er sich verliebte. Das macht es tatsächlich viel einfacher, eine dreidimensionale Person zu schaffen, weil man sich nicht alles ausdenken muss.
Wenn ich eine fiktionale Figur spiele, versuche ich oft, diese trotzdem so reichhaltig wie möglich zu gestalten. Bei allen guten Filmemachern bekommt man den Eindruck, dass sie sich weitreichende Hintergrundgeschichten für all ihre Figuren überlegt haben, nicht nur für die Hauptpersonen. Was einen Film wie "Der Pate" so großartig macht, ist, dass Jimmy Caan und Robert Duvall und alle diese gehaltvollen und lebendigen Figuren verkörpern, nicht nur Marlon Brando.
Susanne Burg: Sie sagten ja, es gibt auch Bilder von Chet Baker und Filmaufnahmen von ihm. Und da ist natürlich auch seine Musik. Sie haben für den Film sogar gelernt Trompete zu spielen, auch wenn jemand anders die Aufnahmen eingespielt hat. Haben Sie Trompete gelernt, damit es echt aussieht, oder auch um ihn als Person besser verstehen zu können?
Zu singen war furchteinflößender als Hamlet zu spielen
Ethan Hawke: Es gab ungefähr sechs oder sieben Songs, bei denen ich vor der Kamera Trompete spielen musste. Die habe ich so gut wie möglich gelernt. Was ziemlich schwierig war. Aber ich hatte ein Jahr zuvor einen Dokumentarfilm gemacht: "Seymour, an introduction", über den Pianisten Seymour Bernstein. Durch diesen Dokumentarfilm ist mir die besondere Beziehung eines Musikers zu seinem Instrument bewusst geworden, wie das Instrument Teil seines Lebens ist, wie sie dieses Instrument fühlen und kennen. Das wollte ich gerne glaubhaft vermitteln. Ich habe mein Leben lang Musik geliebt, manchmal glaube ich, dass Musik der wundervollste Teil meines Lebens ist, der mir am meisten Freude bereitet. Ich versuche, diese Freude und diese Liebe mit in den Film einzubringen. Ich könnte nie ein Meister-Trompeter sein, aber ich kann versuchen, meine Performance mit dieser Liebe zu erfüllen.
Susanne Burg: … und Sie haben auch selber gesungen. "My Funny Valentine" und "I’ve Never Been in Love Before". Wie schwierig war das für Sie?
Ethan Hawke: Das war beängstigend. Furchteinflößender als Hamlet zu spielen. Vor anderen Leuten "My Funny Valentine" zu singen, ist eine der gruseligsten Erfahrungen, die ich je gemacht habe. Aber das gehört wahrscheinlich in die Kategorie der Dinge, bei denen man sich sagt: "Eines Tages wirst du tot sein und es gibt keinen Grund, es nicht zumindest zu versuchen." Es hat mir wirklich auch Spaß gemacht. Ich liebe Chets Aufnahmen dieses Songs. Und ich habe eine Menge über ihn gelernt, dadurch, dass ich versucht habe, diese Lieder zu singen. Er hat an seiner Gesangsstruktur gearbeitet… und man merkt, dass er genauso singt wie er Trompete spielt. Es ist alles etwas traurig, einen Tick neben der Spur, es ist schön, so einzigartig. Ich finde es interessant, dass Millionen von Leuten Gitarre oder Trompete spielen können, aber man hört den Unterschied, wenn Willie Nelson spielt, wenn Miles Davis die Trompete nimmt. Talent ist etwas Unglaubliches. Es hat wirklich Spaß gemacht, Chet so zu studieren.
Susanne Burg: Ethan Hawke, ganz herzlichen Dank!