Esther Dischereits Briefe aus den USA

Wie geht's Amerika?

US-Präsident Donald Trump läuft hinter seiner Frau Melania auf dem Rasen des Weißen Hauses hinterher.
US-Präsident Donald Trump läuft hinter seiner Frau Melania auf dem Rasen des Weißen Hauses hinterher. © imago/UPI Photo
Von Esther Dischereit · 23.05.2017
Die Schriftstellerin Esther Dischereit hat in den vier Monaten, die sie in Charlottesville, Virginia, verbracht hat, viele politisch aktive Menschen getroffen. Allen gemein sei, dass sie wacher seien als je zuvor. Uns schildert Dischereit in einem Brief ihre Eindrücke.
The First Baptist Church on Main Street: die historisch erste afro-amerikanische Kirchengründung in der Stadt. An den Sonntagen treten die Chöre der Gemeinde auf. Frauen, Männer, die Musiker der Band "Chickenheads", Drums, Keybord, Gitarre. Die musikalische Seele, Angie, arbeitete jahrzehntelang an der UVA, der University of Virginia. In den Siebziger-Jahren gehörte sie zu den ersten Frauen, die die Universität aufnahm und sie gehörte auch zu den ersten Mitgliedern der Black Voices. Der Gründer, Nememiah Brown, hat sie damals gegen Widerstände durchgesetzt.
Erstmals gemeinsam treten die Gospelchöre der Stadt Jefferson Theatre auf, vereinigt zu einem einzigen riesigen Gottesgesang. Aber es ist nicht das Gleiche, nicht die Kraft und überwältigende Hingabe wie in der Baptist Church: Songs, die häufig ihren Ursprung in der Zeit der Sklaverei haben, werden variiert und neu arrangiert.
Angie erzählt mir, dass ein junger Pastor die Frage stellte, wie lange sich Kirche aus jeder aktuellen politischen Stellungnahme heraushalten kann. Hier wird ekstatisch gebetet, eine Art Heils-Séance, und auch ein Ort der Demut.
Kalab gibt die Zettel aus, auf denen die Gebete für den heutigen Tag stehen. Er war ein afro-amerikanischer Military Security-Mann, hat beim Amtsantritt des Präsidenten auf die Frage, ob er gelobe, loyal zu sein, geantwortet: Nein, das kann ich nicht. Man hat ihm nahegelegt, seinen Abschied zu nehmen. Das hat er getan. Jetzt muss er sehen, wie es weitergeht.

Maßlos enttäuscht von der Trump-Regierung

150 Meilen weiter in Maryland nimmt zur gleichen Zeit ein Captain seinen Abschied von den Seabees, den Bautruppen der Navy. Die Zeremonie im prunkvollen historischen Saal der Naval Academy mit Flaggenparade, Kapelle, Ehrengarde, platziert neben einer Art Straße, die durch die säulenhaften Nachbildungen von Gewehr-Patronen markiert wird.
Hier findet das eröffnende und abschließende Abschreiten in Formation statt. Die Soldatinnen und Soldaten tragen die weißen Uniformen der Navy. Kriegshandwerk wie im Operettentheater. Auch hier wird gebetet und der Segen des Herrn für die Familien erteilt.
"Das lindert den Stress enorm", sagt der Militär-Geistliche. Er kam mit elf Jahren als Sohn einer taiwanesischen Familie. In einem ausliegenden Jahrgangsbuch findet sich ein anderer Soldat, offenbar feiert auch er mit Kameraden. Auf seiner Wange ist ein Hakenkreuz aufgemalt.
Nachher gibt es eine Party und der Nachbar Joe sagt zu später Stunde, dass er zwar Republikaner ist, aber hinter dieser Regierung nicht stehen kann. Der neue Gesetzentwurf zur Krankenversicherung ist nur für Reiche gut, sagt er. Joe ist maßlos enttäuscht. Was soll man tun? Er hofft, was auch viele Demokraten sagen, dass das demokratische System das Schlimmste abwenden kann. Dass es eben einen Kongress und ein Repräsentantenhaus kennt, und dass es im Verein mit der Judikative, der Rechtsprechung, stark genug sein würde, um die Auswüchse der Regierungspolitik abzublocken.
Wie viele Demokraten sagt auch er, vielleicht muss es ein Impeachment, eine Amtsenthebung, geben, vielleicht muss man warten, bis die dreieinhalb Jahre vorbei sind und hoffentlich halten die Institutionen und die Gesetze so lange.
Die Leute um die Indivisible, die "Unteilbaren", eine Grassroot-Bewegung, sind weniger duldsam. Beim Marsch für Umweltschutz waren Zehntausende erneut in zahlreichen Städten, ebenso beim Marsch der Wissenschaften.
Einzelne Länder und Städte verweigern ICE, der Behörde, die für Abschiebungen sorgen soll, ihre Unterstützung und wollen keine Bürgerinnen und Bürger namhaft machen. Auch die Anzahl der Gebiete, die sich als unantastbare Schutzzonen für Bedrohte erklärt, wächst.

Alle politischen Aktivisten sind wacher als jemals zuvor

In einem Aufsehen erregenden Akt hat unlängst der Albemarle County-Sheriff Chip Harding dem Governor Terry McAuliffe ein 19-seitiges Papier vorgelegt. Er tritt für die Freilassung des seit 30 Jahren im Gefängnis sitzenden Deutschen Jens Söring ein. Söring, damals ein junger UVA-Student, war verurteilt worden, weil er angeblich den Mord an den Eltern seiner damaligen Freundin Elizabeth Haysom, ebenfalls UVA-Studentin, begangen haben soll.
Sheriff Harding hat die Akten erneut durchgesehen und ist von Sörings Unschuld überzeugt. Die Untersuchung der DNA-Spuren weise auf andere Tatbeteiligte hin. Der Gouverneur hatte gerade ein Gnadengesuch abgelehnt. Jens Söring ist eines von vielen Opfern einer fragwürdigen Strafjustiz.
Das Gefängnis in Dillwyn ist ein grauer Kasten, innen wie außen. Nicht ganz auf dem Weg liegt eine Kommune, die LOTUS-Kommune, Light Of Truth Universal Shrine. Allerdings ist hier die Bewohnerin, die sich ebenfalls um den Fall Jens Söring kümmert, gerade nicht zu Hause. Sie gehört zu Aktivisten, die sich am Kampf gegen den Pipeline-Bau beteiligen ebenso wie Steve, der aus einem Reservat stammt, zur Air Force ging, und 20 Jahre lang die Angelegenheiten der Indian Tribes vertrat.
Sheriff Chip Harding ist Republikaner, Steve ein Vertreter der Native Americans, Angie, Singer und ehemals Black Voice, und die Frau von LOTUS ist Kommunardin. Demokratischer Alltag in Charlottesville, Virginia: So verschieden sie sind - sie alle folgen dem, was sie als ihre Verantwortung ansehen, und sicher wacher als jemals zuvor.

Seit Oktober 2016 ist die Lyrikerin Esther Dischereit in den USA unterwegs. Einmal im Monat schildert sie uns ihre Eindrücke von dort.

© Deutschlandradio / Bettina Straub
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