Konzertmitschnitt aus Tallinn

Sinfonie einer Grande Dame

Tallinn im Schnee: Blick auf die St.-Olaf-Kirche
Tallinn im Schnee: Blick auf die St.-Olaf-Kirche © picture alliance/dpa/TASS
Moderation: Volker Michael · 19.01.2022
Das Konzert des Estnischen Nationalen Symphonie-Orchesters wurde zu einem Akt der Erinnerung. Denn die Komponistin Ester Mägi, deren Sinfonie aufgeführt wurde, ist kürzlich gestorben. Dazu dirigierte Andres Kaljuste Werke von Rachmaninow und Saint-Saëns.
Ester Mägi gilt als Grande Dame der estnischen Musikszene des 20. Jahrhunderts. Sie gehörte nie zur Avantgarde, weder in Estland, in der Sowjetunion noch in Europa. Ihre erste und einzige Sinfonie hat Ester Mägi 1968 geschrieben. Das Stück wirkt insgesamt zeittypisch, von der Form her fast neoklassisch mit den Sätzen Allegro Assai, Andante und Presto.

Der Volksmusik zugeneigt

Ester Mägi hat in Tallinn bei Heino Eller und Maats Saar und in Moskau bei Wissarion Schebalin studiert und kam damit in direkten Kontakt mit den großen Komponisten dieser Zeit, allen voran Dmitrij Schostakowitsch. Ester Mägi hat anders als ihr zwölf Jahre jüngerer Landsmann Arvo Pärt nie eine radikale Stilwende vollzogen. Sie war nie radikal modern und musste folglich auch nicht zur Renegatin werden. Das ersparte ihr auch Ärger mit Vertretern der sowjetischen Kulturdoktrin.

Das Programm:
Ester Mägi: Sinfonie Nr. 1
Camille Saint-Saëns: Cellokonzert Nr. 1 a-Moll op. 33
Sergej Rachmaninow: Sinfonie Nr. 1 d-Moll op. 13

Dass ihr Heimatland Estland voller Gesangskultur und lebendiger Volksmusik steckt, hat ihr die musikalische Inspiration erleichtert. Sie war fast von Anbeginn an selbst auch Hochschullehrerin – das hat ihr den Zwang genommen, allein mit ihren Kompositionen Geld verdienen zu müssen. Dennoch wirkt ihre Musik nie akademisch.

Kaukasisch anmutende Rhythmen

Die Konzerte für Orchester von Béla Bartók und Witold Lutoslawski mögen als Vorbilder ihrer einzigen Sinfonie aufscheinen. Ester Mägis Tonsprache könnte man als sowjetisch verhalten und trauernd bezeichnen. Doch auch Sarkasmus ist zu hören. Zu Beginn des Presto-Satzes erklingen kaukasisch anmutende Rhythmen. Es sind allgemein verständliche Vokabeln und Redewendungen, die die Menschen in der Sowjetunion verstanden und miteinander verbanden.
Ester Mägi wäre dieser Tage 100 Jahre alt geworden. 2021 ist sie gestorben. Das Konzert des Estnischen Nationalen Symphonie-Orchesters am 14. Januar 2022 in der Estonia Konzerthalle ist zu einem Akt der Erinnerung geworden.

Mitwirkende:
Das Estnische Nationale Symphonie-Orchester unter Andres Kaljuste
Indrek Leivategija, Solo-Cello

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