Esst Fisch! Und stoppt die Überfischung!

Von Udo Pollmer |
Die Fangmengen sinken, die Meere werden immer leerer, die glitschigen Jod-Lieferanten sterben nach und nach aus. Das ist das Horrorszenario. Udo Pollmer lässt sich davon aber nicht beeindrucken. Er zeigt, wohin die Reise auch gehen könnte.
Immer mehr Fischarten gelten in ihrer Existenz als gefährdet, eine Folge der Überfischung. Deshalb gibt es Meeresschützer, die gegen eine erkleckliche Gebühr den Fangflotten „nachhaltige“ Fangmengen zuweisen. Das Meer allerdings hat seine Tücken. Erstens ist es tief und zweitens dunkel. Und darin sind schon viele der schönen Theorien und Vorhersagen abgesoffen, einfach weil sich das hochkomplexe Ökosystem nicht mathematisch auf Jahre hinaus ausrechnen lässt.

Schon zu den Zeiten der Hanse gab es Jahre mit reichlichem Heringsfang, und in anderen Jahren blieben die Netze leer. Noch vor knapp einem Jahrhundert klagte die Branche: „Es gibt wohl kein Gewerbe, das so unzuverlässig ist, wie die Fischerei“.

Heute ist das einzig Zuverlässige, dass die Fangmengen insgesamt sinken. Doch wie sie sich im Einzelfall entwickeln, weiß heute wie damals niemand. Das hat dazu geführt, dass sich die Meeresschützer gegenseitig vorwerfen, sie würden mit ihren Zertifikaten nur die Überfischung besiegeln.

Ohne Zweifel sind die Zertifikate gut gemeint. Weniger gut gemeint ist das Treiben der Piraten auf den Weltmeeren, beispielsweise vor dem Horn von Afrika. Seither ziehen es die meist illegal operierenden ausländischen Fangschiffe vor, dieses Gebiet zu meiden. Das Ergebnis der Piraterie ist im Gegensatz zu den Öko-Siegeln durchschlagend: Die Fische kamen wieder, und zwar so reichlich, dass die Welternährungsorganisation FAO in Somalia eine landesweite Kampagne gestartet hat, um im mangelernährten Hinterland den Bürgern den Fisch schmackhaft zu machen.

Doch es gibt ein Problem, nämlich die Vorstellungen von einer gesunden Ernährung. Je weiter man ins Landesinnere vordringt, desto stärker herrscht die Überzeugung vor, nur Bekloppte äßen Fisch. Man mag darüber lächeln, aber das war in Deutschland früher auch nicht anders. In der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts bedurfte es trotz Nahrungsmangel viel Aufklärung, um die Deutschen im Hinterland zum Kauf von Seefisch zu verleiten. Das funktionierte erst mit dem Hinweis, Fisch sei „gesund“, denn da sei viel Jod drin.

So ist es bis heute geblieben. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung hält zwei Seefisch-Mahlzeiten pro Woche für die erste Bürgerpflicht. Doch aktuell erfüllen die Deutschen ihr Soll nur zur Hälfte. Um den geforderten Bedarf zu decken, müsste natürlich auch mehr Fisch gefangen werden. Wer also seiner Familie nur einmal wöchentlich Fisch serviert, hat gleich zwei Gründe für ein schlechtes Gewissen: Erstens weil einmal Fisch zu wenig ist und zweitens, weil für die eine Fischmahlzeit auch noch die Meere geplündert wurden.

Die Ernährungsexperten ficht das nicht an. Das Max Rubner-Institut in Karlsruhe behauptet, gerade Kinder bräuchten Fisch; 10-Jährigen rät es pro Woche zu 180 Gramm Seefisch. Damit das auch bei störrischen Kindern klappt, verraten spezielle Ratgeber den Müttern Tricks, wie man die glitschigen Grätenträger in Spaghettisoße oder Pfannkuchen verstecken kann; wegen des tollen Jods. Das ganze Theater um den Fisch, egal ob Fang oder Verzehr, ist wie ein Stück aus dem Tollhaus!

Doch nun gibt es neue Hoffnung für Kinder und Fische. Für die Jodversorgung der Zukunft ist nicht mehr der Seefisch zuständig sondern das Gemüse. In Holland wird Jod als Pestizid im Obst- und Gemüseanbau versprüht, es vernichtet auf Erdbeeren oder Tomaten schädliche Pilze! Die EU sträubt sich noch gegen eine allgemeine Zulassung, wegen ungeklärter Rückstände im Boden. Auch sorgt sie sich um die Gefährdung der Wasserlebewesen durch Jod. Dank der Verdünnung im Meer sind die Fische aber außer Gefahr.

Dann dürfen die Kinder endlich statt Fisch zweimal die Woche Erdbeereis naschen oder zu den Pommes und Nudeln eine große Portion Tomatenketchup nehmen. Und die Fische werden die holländischen Treibhäuser über den grünen Hering loben! Mahlzeit!

Literatur:
- Boj/Reuters/AFP: EU will Fischerei beschränken. SpiegelOnline 30. Mai 2013
- Wbr/dpa: Bestände können sich schnell erholen. SpiegelOnline 19. April 2013
- Max Rubner-Institut – Bundesforschungsinstitut für Ernährung und Lebensmittel: Fisch in der Kinderernährung, Hamburg 2008
- FAO: Somalia: FAO in fish eating promotion to fight hunger, May 2012
- Bergleiter S.: Nachhaltiger Fischkonsum. Ernährungsumschau 2012; H.5: 282-285
- EFSA: Conclusion on the peer review of the pesticide risk assessment of the active substance potassium iodide. EFSA Journal 2012; 11: e2923
- Studer BH: Meereswissenschaftler kritisieren MSC. Fair-fish 7.9.2010
- Anon: Kropf und Fisch. Volksernährung 1930; 5: 66-67
- Stahmer M: Aufgaben, Organisation und Arbeitsmethoden der deutschen Fischindustrie.
- Volksernährung 1916; 1: 161-164
- Schweigger EH: Die Versorgung Deutschlands mit Fischen.
- D’Acunto J.: Die 10 besten Tricks, Kinder dazu zu bringen, gesund zu essen
Festnahme von Piraten durch EU-Spezialeinheiten in Somalia
Festnahme von Piraten in Somalia – den Fischen nützt die Piraterie.© picture alliance / dpa
Ein Schwarm Stachelmakrelen schwimmt durch das Great Barrier Reef
Ein Schwarm Stachelmakrelen – mit Jod besprühtes Gemüse könnte den Fisch ersetzen.© picture alliance / dpa / Neil Vincent
Mehr zum Thema