Essay

Wie Trump und die Alt-Right-Bewegung Politik "pornifizieren"

Ein Mann posiert mit seiner Gürtelschalle, auf der der Schriftzug "Pornstar" geschrieben ist. Foto: Ulrich Perrey/dpa
Porno-Bilder in der Politik? Trump und Alt-Right propagieren ein aggressives Männlichkeitsbild. © picture alliance / dpa / Ulrich Perrey
Von Klaus Walter  · 16.01.2019
In ihrem selbsterklärten Kulturkampf gegen alles Linke und Liberale machen Donald Trump und die Alt-Right-Bewegung offenen Sexismus wieder salonfähig. Für den Autor Klaus Walter greifen sie dabei auf Sprachmuster und Inszenierungen aus der Pornografie zurück.
Achtung! Triggerwarnung! Der folgende Beitrag enthält explizite Inhalte, die möglicherweise geeignet sind, Schamgefühl und Geschmacksnerven sensibler Gemüter zu verletzen. Allerdings kann man schlecht über Pornografie und Politik reden, ohne sich den Mund schmutzig zu machen. Wer weiter zuhört, tut das auf eigene Gefahr.
Wer als bedeutender Präsident der USA in die Geschichte eingehen will, der braucht einen Signatursatz.
"Ich bin ein Berliner", sagt John F. Kennedy 1963 vor dem Schöneberger Rathaus.
"Mister Gorbatschow, tear down this wall", verkündet Ronald Reagan 24 Jahre später am Brandenburger Tor.
"Yes we can!", sagt Barack Obama bei jeder Gelegenheit. Und sein Nachfolger?
"You can grab'em by the pussy."
Du kannst ihre Pussy begrapschen. Diesen Satz äußerte Donald Trump schon vor seiner Wahl zum Präsidenten. Gewählt wurde er trotzdem. Trump hat eine rassistische Agenda? Gewählt wurde er trotzdem.
Trotzdem? Ta-Nehisi Coates widerspricht. In seinem gefeierten Buch "We were eight years in power – eine amerikanische Tragödie" weist der afroamerikanische Autor mit viel Zahlenmaterial nach, dass Trump nicht trotz, sondern wegen seiner rassistischen Agenda gewählt wurde.

Trump und die "toxische Männlichkeit"

Ganz ähnlich sieht das Siri Hustvedt. Die Bestseller-Autorin aus den USA beobachtet eine Sexualisierung der Politik von rechts:
"Ich habe mehr über Politik geschrieben als je zuvor in meinem Leben. Ich fürchte aber, dass ich damit niemanden dazu gebracht habe, seine oder ihre Meinung zu ändern. Ich bin mir mit vielen Beobachtern einig, dass Trump das verkörpert, was derzeit als toxische Männlichkeit bezeichnet wird."
Die US-amerikanische Schriftstellerin Siri Hustvedt
Die US-amerikanische Schriftstellerin Siri Hustvedt© picture alliance / dpa / Horst Galuschka
Sexistische Zoten und rassistische Beleidigungen sind in der US-Öffentlichkeit nicht mehr tabuisiert. Wer sich sexistisch oder rassistisch äußert, wird nicht mehr quasi automatisch diskreditiert. Ganz im Gegenteil:
Amerika gewinnt, Amerika wird respektiert, Amerika zuerst. Mit dieser Rhetorik wird Donald Trump zum Präsidenten der USA gewählt. Und damit:
Ein Globalist sorgt sich um den Globus, aber nicht um unser Land. In der Sprache der Neuen Rechten ist "Globalist" ein Kampfbegriff, ein Schimpfwort. Ein Globalist ist ein skrupelloser Agent der Globalisierung, unter der hart arbeitende Amerikaner zu leiden haben. Vor allem hart arbeitende weiße Amerikaner.
Die Polemik gegen "Globalisten" und den "Globalismus" hat auch bei den deutschen Rechten Konjunktur, AfD und Co. denunzieren etwa die verhasste Bundeskanzlerin als "Globalistin", die ihre eigene Nation verrät. Und was ist das Gegenteil eines Globalisten?
Es gibt da dieses altmodische Wort, sagt Donald Trump, ein Wort, das wir eigentlich nicht mehr in den Mund nehmen dürfen. Aber der Präsident nimmt das verbotene Wort dann doch in den Mund: Ich bin ein Nationalist, auch wenn das der Sprachpolizei der politischen Korrektheit nicht passt. So dreht Trump den Spieß um und besetzt den verpönten Begriff des Nationalisten positiv.
Wie kaum ein anderer Präsident vor ihm spricht Trump in der ersten Person Singular. Das staatsmännische "Wir" ersetzt er durch das identitäre "Ich". Trump betreibt Identitätspolitik im engsten Sinn des Wortes. Für den Autor Ta-Nehisi Coates ist Trump "der erste weiße Präsident der USA."

Trump vertritt eine explizit weiße Agenda

Moment mal. Waren nicht bis zum Jahr 2009 alle 43 Präsidenten weiße Männer? Ja, aber bis dahin war der Mann im Weißen Haus selbstverständlich, quasi gottgegeben ein weißer Mann. Nach acht Jahren Obama vertritt Donald Trump eine explizit weiße Agenda.
Um zu verstehen, wie die Neue Rechte Identitätspolitik in den Feldern Sexualität, Gender und Pornografie betreibt, muss man sich diese Ausgangslage vor Augen führen: Donald Trump vertritt eine explizit weiße und eine explizit maskulinistische Agenda.
Ähnlich, wenn auch drastischer, agiert Steve Bannon. Er war ein Drahtzieher im Wahlkampf des Donald Trump, sein Berater im Weißen Haus und ist nach wie vor eine zentrale Figur der sogenannten Alt-Right, der Neuen Rechten in den USA. Steve Bannon ist stolz darauf, Rassist zu sein:
"Let them call you racist. Let them call you xenophobes. Wear it as badge of honor."
"Sie nennen dich Rassist? Sie nennen dich xenophob? Dann trag es wie ein Ehrenabzeichen", so Steve Bannon 2018 vor der Rassemblement National in Frankreich, der ehemaligen Front National. Der Stratege der Alt-Right propagiert die weiße Vorherrschaft, White Supremacy.
Das Bild zeigt Steve Bannon und die Front-National-Vorsitzende Marine Le Pen auf dem Parteitag in Lille.
Das Bild zeigt Steve Bannon und die Front-National-Vorsitzende Marine Le Pen auf dem Parteitag in Lille.© picture-alliance / dpa / MAXPPP / Philippe Pauchet

Internet-Pornografie als Resonanzraum der Politik

Wie die Autorin Siri Hustvedt diagnostiziert auch ihr Kollege Ta-Nehisi Coates eine Sexualisierung der Politik von rechts, ja eine Pornifizierung der Politik. Die massenhaft kursierende und allgemein zugängliche Internet-Pornografie wird zum Resonanzraum der Politik, so Ta-Nehisi Coates:
"White supremacy hatte schon immer eine perverse sexuelle Note. Insofern passt es, dass Trumps Aufstieg von Steven Bannon begleitet wurde, einem Mann, der seine männlichen weißen Kritiker als 'cucks' verhöhnt."
Cucks? Cuck ist die Abkürzung von Cuckold, und das steht für: betrogener Ehemann. Ein Mann, der Gefallen daran findet, wenn seine Frau vor seinen Augen Sex mit einem anderen Mann hat. Oder mit mehreren.
In der Pornografie erfreut sich die Kategorie "Cuckold" großer Beliebtheit. Dabei wird zwischen zwei Varianten unterschieden. Hier die masochistische: der Mann genießt die Demütigung durch einen anderen Mann, der vor seinen Augen mit seiner eigenen Frau Sex hat.
Dort die dominante Variante: der sogenannte "Alpha Cuckold" bestimmt, wann und wie seine Frau mit welchem anderen Mann Sex hat. Was sich hier ziemlich abseitig anhört, ist in den USA längst in die Alltagssprache vorgedrungen. Cuck ist ein geflügeltes Wort. Für Cuck-artiges Verhalten gibt es schon eine eigene Abkürzung.
Von einem "TCM" erzählt der US-Talkmaster Stephen Colbert in seiner populären Show. Dann wird Steve Bannon eingeblendet, der uns erklärt was das ist, ein TCM: "A Total Cuck Move."

Rassistisch aufgeladene Pornografie

Wo aber liegt die politische Dimension des Cuck? Fragen wir Veronika Kracher, die Autorin erforscht die Geschlechterideologien der Neuen Rechten.
"Der Begriff 'Cuck' ist zu einem geflügelten Wort innerhalb der Alt-Right geworden. Ursprünglich bezeichnete er einen Mann, der von seiner Frau betrogen wird. Seine Verwendung speist sich jedoch vor allem aus dem Fetisch des 'Cuckolding', bei dem ein Mann Erregung daran findet, dass seine Frau vor seinen Augen Geschlechtsverkehr mit anderen Männern hat.
In der Mainstream-Pornografie ist dies in der Regel ausgesprochen rassistisch aufgeladen: eine weiße Frau wird von als triebhaft inszenierten schwarzen Männern penetriert, während der ebenfalls weiße Ehemann dies fasziniert verfolgt."
Allerdings schaut der weiße Ehemann manchmal eher beängstigt als fasziniert zu, wie seine weiße Frau von einem BBC befriedigt wird. BBC? Das Kürzel steht für Big Black Cock. Das Porno-Vokabular ist durch und durch von Rassismen durchzogen: weiß ist die Norm, black oder asian die exotische Ausnahme. Unter dem Sammelbegriff "interracial" haben weiße Frauen Sex mit schwarzen Männern, wenn schwarze Frauen es mit weißen Männern treiben, dann ist das keine eigene Kategorie wert.
Die massenhaft zugängliche und verbreitete Internet-Pornografie ist ein Spiegel des kapitalistischen Marktes, in all seiner Drastik. Auf diesem Markt ist jeder Black Cock ein Big Cock, dank der gewissermaßen pornotorischen Angst des Weißen Mannes vor der Potenz des Schwarzen. Der in seiner Männlichkeit verunsicherte weiße Cuck wird von der Alt Right politisch aufgeladen. Im pornifizierten Kulturkampf ist der Cuck der Inbegriff des weißen Schwächlings.

Cucks - das sind für die Alt-Right feministisch-liberale Weicheier

Cuckold-Pornos folgen einer standardisierten Dramaturgie, um die standardisierten Erwartungen der Konsumenten nicht zu enttäuschen. Paula-Irene Villa ist Professorin am Institut für Soziologie der Uni München, Schwerpunkt Gender. Sie schlägt den Bogen von der Pornografie zur Politik.
"Die Figur 'cuck' wird umgangssprachlich verwendet, um einen unrichtigen Mann zu bezeichnen. Einen Mann, der in seiner Männlichkeit sozusagen gescheitert ist - einen jämmerlichen, verweichlichten, einen eben unrichtigen. Die Bezeichnung spricht dem so Bezeichneten richtige, eigentliche Männlichkeit ab. 'Cucks' wie in 'cuckservatives' sind in dieser Rhetorik - etwa bei Bannon - zu sehr an einen vermeintlich feministisch-liberalen Mainstream angepasst. Cucks sind demnach nicht konsequent genug bei der kantigen Formulierung und brachialen Durchsetzung zum Beispiel ultra-konservativer oder nationalistischer Werte."
Proteste in New York gegen sexuelle Gewalt, hier am 9. Dezmeber 2017 vor dem Trump International Hotel am United States Columbus Circle
Proteste in New York gegen sexuelle Gewalt, hier am 9. Dezmeber 2017 vor dem Trump International Hotel am United States Columbus Circle© imago/Pacific Press Agency
Von "cuckservatives" spricht Paula-Irene Villa. Die Wortschöpfung aus cuckold und conservative hat Karriere gemacht in den Kulturkämpfen der Neuen Rechten in den USA.
"Die Alt-Right erachtet heutige Anti-Trump-Konservative als cuckservatives. Die altmodische christliche Rechte wie auch die Neocons sind der Alt-Right insofern verhasst, als sie es angeblich nicht schaffen, die Nation aggressiv genug zu beschützen – sie seien zu höflich, um Feminismus, Islamisierung, Masseneinwanderung und so weiter zu besiegen."
Das schreibt die Autorin Angela Nagle in ihrem vielbeachteten Buch "Die digitale Gegenrevolution. Online-Kulturkämpfe der Neuen Rechten".

Kollektive Erektionsstörung des Weißen Amerika?

Cuck – in diesem Vier-Buchstaben-Wort verdichtet sich die vielbeschworene Krise des weißen Mannes in den USA. Cuck – das ist das Kürzel für den Niedergang des weißen Amerika, gegen den Trump angetreten ist mit seiner Parole "Make America Great Again".
Auch die Männlichkeit will Trump wieder groß machen, das ist die gar nicht so geheime Botschaft. Trump ist angetreten, um die kollektive Erektionsstörung des Weißen Amerika zu beheben.
In dieser Logik fungiert das Wort "Cuck" als Begriffscontainer für alles, was geworden ist aus dem einst so stolzen weißen Mann. Für alles, was die Emanzipationsbewegungen der Sechziger und Siebziger Jahre, der Feminismus und die angebliche Diktatur der politischen Korrektheit angerichtet haben.
Cuck steht für Weicheier, Warmduscher, Schattenparker, Sitzpinkler, Schwanzlutscher. Oder für "Jammerlappen" und "Distanzierungs-Muschi". So bezeichnet der inzwischen ehemalige AfD-Politiker André Poggenburg 2018 parteiinterne Kritiker. Der sexistisch befeuerte Antifeminismus der AfD macht auch vor den eigenen Leuten nicht halt.

Die Angstlust des Mannes, der Schwule hasst

Eine populäre Spielart der Cuckold-Pornografie spielt im sado-masochistischen Dreieck zwischen weißem Mann, schwarzen Mann und weißer Frau. Und sie spielt mit der Angstlust des Mannes, der Schwule hasst. Eigentlich. Wer denkt sich sowas aus? Wer schaut sich sowas an? Was bedeutet das?
Psychoanalytisch betrachtet kommt hier der Begriff des Genießens ins Spiel, das, was Jacques Lacan als "Jouissance" bezeichnet. Lacan stellt das Genießen der Lust gegenüber.
"Das Lustprinzip agiert als Einschränkung des Genusses; es ist ein Gesetz, das dem Subjekt befiehlt, 'so wenig wie möglich zu genießen'. Gleichzeitig versucht das Subjekt stets, sich über die seinem Genuß auferlegten Verbote hinwegzusetzen, 'über sein Lustprinzip hinaus' zu gehen."
So der Autor Dylan Evans in seinem "Wörterbuch der Lacanschen Psychoanalyse".

Homophobe Ängste und heimliches Begehren

In seiner Theorie zur Perversion beschreibt Lacan, wie das Subjekt sich zum Instrument des Genießens des Anderen macht. Auf den Cuckold-Porno bezogen heißt das – nur scheinbar paradox: Der gehörnte, schwache Mann genießt es, die Lust der anderen Protagonisten zu befriedigen, vor allem die der Frau. Der Betrachter des Cuckold-Porno – nennen wir ihn Donald Trump – verachtet den unterwürfigen, wehrlosen Schwächling. Trump will nicht mehr der Erfüllungsgehilfe des Genießens anderer sein.
Gehen wir davon aus, dass der wichtigste Konsument der standardisierten Massenpornografie ein weißer, eindeutig heterosexueller Mann ist. Warum schaut sich dieser Mann ein Cuckold-Video an? Eine Antwort: Im Cuckold-Szenario darf er Dinge betrachten, die für ihn eigentlich tabu sind. Er darf schwulen Sex besichtigen, auch heimlich genießen, ohne sich ein mögliches homosexuelles Begehren eingestehen zu müssen.
Der weiße Mann im sadomasochistischen Cuckold-Dreieck ist ja eine lächerliche Figur, mit der sich der Betrachter nicht identifizieren kann. Oder muss. Ohne sich identifizieren zu müssen, betrachtet unser Mann schwulen Sex, der obendrein markiert ist als "interracial". Für konservative weiße Männer eine Horrorvison, ein Sodom und Gomorrha der genderwahnsinnigen Libertinage.
Auf vertrackte Weise verschränken sich beim Konsum von Cuckold-Pornos homophobe Ängste und heimliches Begehren. Aber: Durch den immer gleichen Plot wird der Zuschauer entlastet. Der konservative, weiße, eindeutig heterosexuelle Mann kann sich über den jämmerlichen Cuck erheben. Sexuell wie politisch.

Jay Wimp und der Hengst Mickey Mod

"Wenn Steve Bannon den Begriff 'Cuck' verwendet, möchte er seine politischen Gegner entmannen und der Lächerlichkeit preisgeben. Der Begriff impliziert, die sogenannten 'Cucks' seien außerstande, mit der Virilität und dem Chauvinismus von Donald Trump und seinen Anhängern mitzuhalten", sagt die Alt-Right-Expertin Veronika Kracher.
Die Cucks im Porno sind das Gegenteil von Virilität und Chauvinismus. Die Darsteller werden nach Stereotyp gecastet: kleiner Schwanz, schwabblig, unbehaart, unsicher, unsportlich, gerne etwas älter, verschwulte, verweichlichte, verweiblichte, entmannte Lachnummern. Typen wie Jay Wimp. Auf den stößt man im Porno-Segment "Interracial Cuckold Hipster".
"Der Hipster Jay Wimp ist nicht Mann genug für Edyn Blair. Deswegen bringt sie den Hengst Mickey Mod ins Spiel."
So steht es in der Kurzbeschreibung des Videoclips. Das Wort Wimp heißt so viel wie:
Niete, Versager, Schlappschwanz, Feigling, Schwächling, Weichei, Warmduscher, Waschlappen, Schlaffi, Lauch, Nulpe, Versager, Schwachmatiker, Schattenparker, Knalltüte…
Im Video trägt der blasse Jay Wimp Hipster-Uniform im Karstadt-Style. Wollmütze, Vollbart, Karohemd. In diesem Setting wird die unter Neurechten verhasste Figur des urbanen, sensiblen, gebildeten Hipsters als Cuck entlarvt und dem Spott preisgegeben.
"So this idea that the mainstream is some sentimental feminized space and then this masculine transgressive unsentimental rulebreaking counterculture comes in and smashes it."

Neuer Maskulinismus von Rechts

Der sentimental-feminisierte Mainstream muss zerschlagen werden. Dazu braucht es eine männliche, grenzüberschreitende, unsentimentale Gegenkultur. So charakterisiert Angela Nagle den neuen Maskulinismus von rechts. Ihr Buch über die digitale Gegenrevolution trägt den Untertitel:
"Online-Kulturkämpfe der Neuen Rechten von 4chan und tumblr bis zur Alt-Right und Trump."
In ihrem Buch beschreibt Nagle detailliert die medialen Strategien der Alt-Right und macht deutlich, wie grundlegend sich diese Neue Rechte von ihren Vorläufern unterscheidet:
"Der Aufstieg von Trump und der Alt-Right ist kein Indiz für eine Rückkehr des Konservatismus, sondern für die absolute Vorherrschaft der Kultur des Nonkonformismus, der Selbstdarstellung, der Transgression und der Respektlosigkeit als Selbstzweck – eine Ästhetik, die jenen nützt, die an nichts außer der Entfaltung des Individuums und des Es glauben, ob sie sich nun links oder rechts verorten. Die prinzipienfreie Idee der Gegenkultur ist nicht verschwunden; sie ist bloß zum neuen Stil der Rechten geworden."

Ekelerregender Hass auf Minderheiten

Transgression und Respektlosigkeit sind kein Privileg der Linken mehr, wenn sie das denn je waren.
"The white race is cucked by black men". Eine Parole aus den Online-Kulturkämpfen der Neuen Rechten, frei übersetzt:
"Die weiße Rasse wird von schwarzen Männern auf die Hörner genommen."
"Der Satz stammt aus dem Imageboard 4chan. In den letzten Jahren ist das Forum zu einem virtuellen Treffpunkt der Alt-Right geworden und war maßgeblich für den Wahlerfolg von Donald Trump mitverantwortlich, beispielsweise durch das Verbreiten von Fake News oder das Bedrohen und Outen von linken Aktivistinnen oder JournalistInnen", sagt die Alt-Right-Expertin Veronika Kracher.
"4chan ist ein Ort, an dem man unter dem Label der 'Free Speech' einem ekelerregenden Hass auf Minderheiten wie auch einem zynischen Selbsthass frönt. Die in dem Satz vermittelte Einstellung wird jedoch flächenübergreifend in der Neuen Rechten, sowohl in den USA als auch in Europa vertreten. Er ist Ausdruck einer Verschwörungstheorie, in der Antisemitismus, Rassismus und Misogynie eng miteinander verwoben sind.
In der Vorstellung der amerikanischen Neuen Rechten arbeiten nicht näher bestimmte, aber jüdisch und liberal konnotierte 'Eliten' daran, das weiße Amerika zu vernichten. Die Alt-Right plädiert so für eine Rückkehr zu einer ursprünglichen Männlichkeit, um die Nation, die Rasse und die weiße Frau zu verteidigen."

Steht dahinter innerer Widerstand gegen die Abhängigkeit von der Mutter?

Die Alt-Right und wie sie die Welt sieht. Was Veronika Kracher da erzählt, klingt abstrus, krude und eher welt-fremd. Aber wer hätte vor drei Jahren gedacht, dass ein Mann Präsident der USA werden könnte, der Sätze sagt wie diesen:
"You can grab'em by the pussy."
Wenn der republikanische Präsident Sex mit einem Pornostar hat, dann tut das seiner Popularität keinen Abbruch – im Gegenteil. Wenn er diesem Pornostar öffentlich ein "Pferdegesicht" bescheinigt, dann lachen seine Fans.
Die Schriftstellerin Siri Hustvedt: "Der innere Widerstand gegen die Abhängigkeit von der Mutter treibt meiner Meinung nach ganz massiv die Frauenfeindlichkeit in unserem Land an. Das tritt in der Person Donald Trump ganz unverblümt zutage. Trump nennt Frauen Schweine und Hündinnen, er gibt sich gar keine Mühe, sich zu verstellen. Und wenn du eine schwarze Frau bist, dann bekommst du die doppelte Faust, sexistisch und rassistisch. Natürlich sind wir immer und überall von Frauenfeindlichkeit umgeben, aber Trump versucht gar nicht erst, sich zu verstellen."
In dem Demonstrationszug hält ein Mann ein Plakat mit dem Kopf Kavanaughs und der Aufschrift "Kava - Nope" in der Hand. Im Hintergrund sieht man das Kapitol. 
04.10.2018, USA, Washington: Demonstranten prosterieren gegen den Kandidaten des Obersten Gerichtshofs Brett Kavanaugh.© Manuel Balce Ceneta / AP / dpa
Im Sommer 2018 wird der stramm konservative Jurist Brett Kavanaugh von Donald Trump für den Obersten Gerichtshof nominiert. Daraufhin werfen ihm mehrere Frauen vor, sie sexuell bedrängt zu haben, bis hin zur versuchten Vergewaltigung. Die folgenden Anhörungen Kavanaughs im Senat führen zu einem erbitterten Kulturkampf. Im Oktober wird Kavanaugh als Richter am Obersten Gerichtshof vereidigt.
"Ein Kulminationspunkt der Me-Too-Bewegung". So der Journalist Sebastian Moll in einem Interview mit Siri Hustvedt in der Frankfurter Rundschau im Oktober 2018. Da sagt die US-Autorin:
"Das Spektakel war ein klarer Beleg für die Brutalität der patriarchalischen Strukturen in unserem Land. Die Furcht der Republikaner vor einer FBI-Untersuchung und ihre erbitterte Verteidigung von Kavanaugh hatten die verzweifelte, enthemmte Qualität männlicher Macht, die unter Beschuss geraten ist.
Hier wird Unterdrückung durch das untermauert, was Bourdieu 'symbolische Gewalt' nennt - unsichtbare und scheinbar legitime Arten und Weisen der Machterhaltung. Diese Anhörungen haben die symbolische Gewalt, die zur Erhaltung des Patriarchats eingesetzt wird, auf eine groteske Art und Weise offen gelegt."

"No means yes"

Im Zuge der Anhörungen werden Geschichten aus der Highschoolzeit von Kavanaugh bekannt. So zum Beispiel ein Slogan, der sich unter Kavanaughs Männerfreunden großer Beliebtheit erfreut haben soll: "No means yes, yes means anal."
"Nein heißt ja und ja heißt anal." Der Spruch ist eine Verballhornung von: "No means No."
Nein heißt nein. Mit dieser Parole wehren sich Frauen seit den siebziger Jahren gegen sexuelle Übergriffe. Wenn Männer daraus "Nein heißt ja und ja heißt anal" machen, dann hat das hohen Symbolwert, unabhängig davon, ob Kavanaugh und seine Freunde diesen Satz tatsächlich in den Mund genommen haben.
Im Mainstream-Porno ist die Kategorie "Anal" eine Königsdisziplin. Darstellerinnen, die Analsex verweigern, müssen finanzielle Einbußen in Kauf nehmen. Zwischen Pornografie und testosterongetriebenem HipHop gibt es viele Schnittstellen, nicht nur in den USA.
"Dein Chick is ne broke ass bitch, denn ich fick sie, bis ihr Steißbein bricht."
Dieser Reim stammt aus einem Song von Kollegah & Farid Bang. Genau, das sind die beiden deutschen Rapper, die 2018 bei der Echo-Verleihung für einen Eklat gesorgt haben, als eine erschütterte deutsche Öffentlichkeit plötzlich und völlig unerwartet feststellen musste, dass es im deutschsprachigen Rap tatsächlich Spurenelemente von Antisemitismus geben soll.
Die Sexualisierung und die Pornifizierung der Politik, kein rein amerikanisches Phänomen, meint die Gender-Forscherin Paula-Irene Villa.
"Ja, ich würde das nicht auf die USA beschränken, sondern als internationales, womöglich globales Phänomen sehen. Auch an Putin, Berlusconi oder Bolsonaro ließ bzw. lässt sich eine Pornifizierung beobachten, die ihrerseits aus der Populärkultur kommt und sich sehr eng mit der Ökonomie verbindet.
Im Kern geht es um die Logik des Fickens/Gefickt-Werdens. Wer also ist der Verfügende einerseits und wer wird genommen, wer wird zum Objekt der Interessen des Anderen andererseits? Diese Form der Ausbeutung und der ja nicht ganz neuen Herr-Knecht-Logik wird nun - auch nicht erstmals, aber derzeit besonders auffällig - sexualisiert. Pussy grabbin’ und die obszöne Diffamierung z.B. von LGBTQI*-Menschen, die Bagatellisierung sexualisierter Gewalt und die politische Inszenierung körperlicher Stärke - das sind Formen einer zunehmend antagonistisch verfassten politischen (Un-)Kultur, die eben nicht auf Verständigung, sondern auf Eroberung, Sieg und auf Erniedrigung des Gegenübers aus ist.
Das Gegenüber ist nicht auf Augenhöhe, sondern muss beständig durch Beschämung und willkürliche Kontrolle an seinem untergebenen Platz gehalten werden. Wird diese politische Logik sexualisiert, wirkt das rasch wie ein handelsüblicher schlechter Porno."

Proll-TV und Porno als Opium fürs Volk

Hier kommt ein Klassenaspekt ins Spiel.
"When they go low, we go high!"
"Wenn sie im Niveau runtergehen, dann gehen wir hoch." Für dieses Credo bekommt Michelle Obama viel Applaus von aufgeklärten Liberalen und Linken. Der Signatursatz der ehemaligen First Lady reklamiert die moralische Überlegenheit der Obama-Demokraten gegenüber Alt-Right und Trump.
Wie kaum ein Präsidenten-Paar vor ihnen propagieren und praktizieren die Obamas politisch korrekte Lebensführung. Die schwarze First Lady legt im Weißen Haus einen Gemüsegarten an und predigt ihren Landsleuten gesunde Ernährung, wie einst die Grünen mit ihrem Veggie Day.
Aber aus high wird schnell Hochmut und die Rechten ziehen sich den Schuh seitenverkehrt an.
"When they go high, we go low!"
Wenn die hochgehen, dann gehen wir runter. Das ist ein unausgesprochenes Leitmotiv der Neuen Rechten. Gegen die angebliche Diktatur der politischen Korrektheit inszenieren sich die Aktivisten der Alt-Right als Grenzverletzer, Tabubrecher und Rebellen. In linksliberalen Kreisen wird über Pornografie kaum gesprochen, und wenn, dann höchstens als Problem. Anders bei der Neuen Rechten. Da dient Pornografie als Resonanzraum, als Folie. Männer wie Trump oder Bannon tun nicht verschämt so, als wüssten sie von nichts. Sie wissen um Porno und teilen dieses Wissen mit ihrer Klientel, von White Trash bis gediegenes Patriarchat.
So tut sich eine Kluft auf: Die einen gehen mit den Obamas high und geben Geld aus für gesunde Ernährung, edle Spirituosen und anspruchsvolle Netflix-Serien, die anderen, die niederen Stände trinken Bier, rauchen Zigaretten und essen Hamburger. Und gucken dabei Proll-TV und Porno. Gratis-Opium fürs Volk.
Fazit: Der Politisierung von Sexualität durch feministische Bewegungen setzt die Neue Rechte eine Sexualisierung der Politik entgegen, die wir aus autoritären und faschistischen Regimes kennen. Oder eine Pornifizierung der Politik. Tanz den Mussolini, Berlusconi, Adolf Hitler und den Putin. Sie wissen, was sie tun.
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