Essad Bey: "Öl und Blut im Orient"

Literarische Opulenz und kühle Zeitdiagnostik

Cover von "Öl und Blut im Orient" von Essad Bey, im Hintergrund: Blick auf Ölfelder in Aserbaidschan.
Cover von "Öl und Blut im Orient" von Essad Bey, im Hintergrund: Blick auf Ölfelder in Aserbaidschan. © Verlag "Die Andere Bibliothek" / dpa / epa / Nemenov
Von Ingo Arend · 09.07.2018
Essad Beys "autobiografischer Bericht" führt in die Zeit um den Ersten Weltkrieg. Es geht um politische Konflikte und die aufkommende Ölindustrie. Obwohl das Werk fast 90 Jahre alt ist, trägt es eine beklemmende Aktualität mit sich.
"Kein Blut für Öl" war einer der Slogans, mit dem Friedensbewegte 2003 gegen den Irak-Krieg mobilisierten. Wie sehr diese beiden Flüssigkeiten den Nahen Osten prägen, beschrieb schon 1929 Essad Bey in seinem "Autobiographischen Bericht" unter dem Titel "Öl und Blut im Orient".
Dieser Autor scheint selbst einer orientalistischen Fantasie entsprungen zu sein. In seinem Buch lässt er sich in Baku als Sohn eines der Ölbarone zur Welt kommen, die damals Aserbaidschan beherrschten. Geboren wurde der georgische Jude 1905 aber in Kiew als Lew Nussimbaum.
In den 1920ern lebte er in Berlin, wo er mit Vladimir Nabokovs Schwester zur Schule ging. 1922 konvertierte er zum Islam und nahm den Namen Essad Bey an. Er arbeitete unter anderem als Journalist, bevor ihn die Nazis 1936 mit Publikationsverbot belegten – obwohl er selbst mit dem Faschismus liebäugelte. 1942 starb er vereinsamt im Exil im italienischen Positano.
Autobiographische Texte sind grundsätzlich mit Vorsicht zu genießen. Der Untertitel von Beys Buch verheißt Sachlichkeit. Doch nicht alle Fakten stimmen, wie der Literaturwissenschaftler Sebastian Januszewski in seinem kundigen Nachwort anmerkt.
Bey beschreibt seine Flucht aus Baku mit seinem Vater nach der Ankunft der Sowjets. Das Bild der Transformation des alten, feudalen Orients durch das Schwarze Gold und die Oktoberrevolution, das er in seinem damaligen Bestseller zeichnet, grenzt streckenweise ans Märchenhafte, Groteske.

Unendlicher Grausamkeit und zarteste Liebe zur Poesie

Ob er nun den Tanz der Jesiden um einen Goldenen Pfau beschreibt, die Flotte des längst abgesetzten Zaren die beiden Flüchtlinge plötzlich auf dem Kaspischen Meer verhaftet oder ob sie Emissäre eines persischen Khans abpassen, die sie darum bitten, auf ihren Herrn zu warten, der sie hinrichten möchte: Beys Bericht liest sich mitunter wie ein Musterbeispiel des Orientalismus, so wie er den Nahen Osten als Mischung aus unendlicher Grausamkeit und zartester Liebe zur Poesie beschreibt. Trotzdem schlagen seine frische, plastische Erzählweise und die ironische Nonchalance, mit der er selbst die schrecklichsten Erlebnisse schildert, noch heute in Bann.
Obwohl fast 90 Jahre alt, besteht die beklemmende Aktualität seines "Berichts" in dem Bild einer Zeit, die durch genau dieselben Probleme bestimmt ist, wie unsere Welt heute: Der Kampf um Energievorräte und der blutige Austrag nationaler, ethnischer und religiöser Gegensätze.
Wahrscheinlich hat diese faszinierende Kombination aus literarischer Opulenz und kühler Zeitdiagnostik den Autor Marko Martin bewogen, in das zeitgenössische "Land des Feuers" zu reisen, um in dem Reich des Diktators Alijew die "Spuren von Essad Beys damaliger Wirklichkeit zu finden".
In seinem beigegebenen Essay beschreibt Martin, wie er in den endlosen Landschaften von Ölförderkränen die von Bey beschriebenen Galgen zu erkennen meint, die die deutsch-türkische Armee nach ihrer Wiedereroberung Bakus 1918 aufgestellt hatten, um das Blutbad der muslimischen Aserbeidschaner an den Armeniern der Stadt zu beenden – Schimären des ewigen Teufelskreises aus Blut und Öl.

Essad Bey: Öl und Blut im Orient
Autobiografischer Bericht
Mit einem Nachwort zum Leben von Essad Bey von Sebastian Januszewski und
einem Essay von Marko Martin auf Spurensuche im heutigen Baku
Die Andere Bibliothek, Berlin 2018
360 Seiten, 42 Euro

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