ESL-Milch

17.03.2007
Seit einiger Zeit wird in Deutschland eine neue Milchsorte angeboten, die ESL-Milch. Nach zaghaften Anfängen vor etwa zehn Jahren, steht heute in vielen Märkten bereits ein breites Angebot an haltbarer Frischmilch. Damit reagierte die Molkereiwirtschaft auf den Verbrauchertrend weg von der pasteurisierten Milch hin zur H-Milch (H = haltbare Milch).
Was ist ESL? ESL steht für "Extended Shelf Live" weil das Produkt zuerst auf dem nordamerikanischen Markt eingeführt wurde. Während die normale Past-Milch gekühlt meist nur eine Woche hält, verdirbt eine ESL-Milch frühestens nach drei Wochen. Das Verfahren verschafft ein wenig eine Vorstellung davon, was alles an Technik hinter einem scheinbar "unverarbeiteten", beziehungsweise "frischen" Lebensmittel steckt.

Wie wird sie hergestellt? Die Herstellung erfordert nicht nur etwas mehr Technik, sondern vor allem mehr Sorgfalt im Umgang mit der Milch. Zunächst ist eine gute Rohmilchqualität erforderlich ("Güteklasse 1" – also keimarme Milch von gesunden Kühen). Dann ist – wie bei jeder Milch – eine effiziente Entgasung gefordert. Eine "normale" Milch frisch vom Euter enthält etwa fünf Prozent Luft. Beim Transport kommt nochmals Luft rein, so dass der Gehalt bei der Annahme in der Molkerei schon bei zehn Prozent liegt. Diese Luft beeinträchtigt die Erhitzungsanlagen, es kommt zur Ansatzbildung (Fouling). Zudem neigt Joghurt, der aus nicht entgaster Milch hergestellt wurde, zur Synärese, also zur Abscheidung von Serum. Der Sauerstoff aus der Luft vermindert die Haltbarkeit und – ganz wichtig: Die Entgasung entfernt zuverlässig den Eigengeschmack der Milch, der entsprechend der Fütterung jahreszeitlichen Schwankungen unterliegt. Genau genommen handelt es sich um eine Entaromatisierung. Und ganz nebenbei erhöht die Entgasung die Haltbarkeit von einigen Vitaminen.
Danach wird die Milch standardisiert (zum Beispiel Fettgehalt einstellen, das heißt reduzieren – auch bei "natürlichem Fettgehalt" wird reduziert, weil die Kühe längst mehr Fett als nur 3,8 Prozent im Stall abliefern – nicht selten bis zu fünf Prozent) und auf 80 Grad vorgewärmt. Das tötet schon ein paar Keime ab und erhöht die Fluidität, was wiederum den Energieverbrauch vermindert.

Das VTIS-Verfahren: Die 80 Grad heiße Milch erhält eine Injektion mit Heißdampf, wobei die Milch in Bruchteilen von Sekunden auf 127 Grad erhitzt wird. Sie verbleibt zwei Sekunden im Heißhalterohr, danach erfolgt eine Entspannungskühlung auf Vorwärmtemperatur. Dabei tritt das überschüssige Wasser des Dampfes wieder aus. Anschließend wird homogenisiert – also die Fettkügelchen der Milch unter hohem Druck (100 bar) zerrissen, damit sie nicht mehr aufrahmen können. Schlussendlich wird mit Eiswasser gekühlt.
Der Geschmack bleibt erhalten, weil hier nur für zwei Sekunden erhitzt wird. Bei der Pasteurisation wird auf 72 bis 75 Grad erhitzt aber für 30 Sekunden. Bei H-Milch mit dem bekannten Kochgeschmack hingegen für drei Sekunden auf 150 Grad (UHT-Verfahren). Der entscheidende Unterschied zur normalen Past-Milch besteht darin, dass durch die hohe Temperatur auch die Sporen von Bacillus cereus oder B.subtilis abgetötet werden, die sonst für den Milchverderb verantwortlich sind.

Die Membranfiltration: gilt als besonders schonend. Mikrofiltrierte Milch macht derzeit allenfalls zwei Prozent des Marktes aus, aber die Methode ist groß im Kommen. Dazu wird die Milch zunächst in einem Separator entrahmt. Dann wird die Magermilch erwärmt und mit 1,4 Mikrometer (1,4 tausendstel Millimeter) filtriert. Dadurch lassen sich die meisten Bazillen, Hefen und Sporen entfernen. Anschließend wird zur weiteren Keimreduktion noch mit traditioneller Technik pasteurisiert. Die abgetrennte Fraktion (circa fünf Prozent der Gesamtmilch) mit den Bazillen und Sporen wird nun mit der UHT-Milchtechnologie keimfrei gemacht, ebenso der abgetrennte Rahm, der nun homogenisiert wird. Die beiden abgetrennten Fraktionen kommen nun wieder ins Filtrat. Da beide mengenmäßig nicht viel ausmachen, übertragen sie ihren H-Milch-Kochgeschmack nicht auf das gesamte Produkt.

Die dritte Technik im Bunde ist die Bactofuge. Da werden die Keime nicht abfiltriert, sondern aus der vorgewärmten Milch abgeschleudert. Auch hier werden das Milchfett und das Bactofugat einer UHT-Behandlung unterzogen und danach wieder zugesetzt. Danach wird bei allen Verfahren keimfrei abgefüllt.

Durch Kombination von Mikrofiltration beziehungsweise Bactofuge mit VTIS lässt sich die Haltbarkeit – bei gleichzeitigem Frischmilchgeschmack – auf zwei Monate verlängern.

Wie verändert sich der Nährwert? Das Problem sind nicht die Verfahren, die Hitzebelastung ist nicht viel höher als bei der klassischen Pasteurisation, sondern die längere Lagerung im Haushalt. Welche Vitamine während der Lagerung im Haushalt zersetzt werden, hängt kurioserweise davon ab, mit welcher Technik die Wärme beim Erhitzen zugeführt wurde – über Dampf oder Platten. Eine ganze Reihe von Vitaminen sind zudem lichtempfindlich. Die Lichtmenge, der eine Milch bei der Gewinnung beim Landwirt, dann bei der Verarbeitung in der Molkerei und später bei der Lagerung in der Küche ausgesetzt ist, hat damit erheblichen Einfluss auf die Produktqualität. Nach wie vor ist das Abfüllen von Milch in Weißglasflaschen ein Kuriosum – sowohl in ökologischer als auch in qualitativer Hinsicht.

Weitere Informationen unter:
Vor- und Nachteile der ESL-Milch
Vitamine in gelagerter hocherhitzter Milch