Eskapismus pur

Von Ulrich Fischer · 09.10.2011
Die Bilanz der Ruhrtriennale fällt negativ aus. Intendant Willy Decker plante, als er als Intendant begann, einen kühnen dramaturgischen Bogen. Am Ende seiner Zeit als Triennaleleiter vermisste man Realitätsnähe.
Heute geht die Ruhrtriennale zu Ende. Es war die schwächste bislang. Schon die allererste war besser. Gründungsintendant Gérard Mortier begeisterte selbst Skeptiker, weil er Alain Platel gewann. Der Choreograf verband in seinem Abend Musik und Tanz, Schauspiel und Artistik zu "Wolf", einer Kreation, die Kenner wie Laien mitriss. Mortier legte mit diesem Abend Leitlinien: Kunst für alle und Kunst, die sowohl an die Tradition anknüpft als auch vordringt ins Neue.

Etwas Gleichwertiges hatte Willy Decker nicht zu bieten. Decker, dessen drittes Jahr jetzt zu Ende geht und damit seine Zeit als Triennaleleiter, ist von Haus aus Opernregisseur. Er hat in diesem Jahr "Tristan und Isolde" inszeniert. Decker ist Wagnerkenner und einer der besten Opernregisseure Europas. Aber nicht einmal ihm gelang es, "Tristan und Isolde" für Nichtkenner zu öffnen.

Die Oper ist spannungs-, weil handlungsarm, das Libretto unfreiwillig komisch, vor allem wegen der gekünstelten, schwer verständlichen Sprache. Die Wagnerianer sind ein eigenes Völkchen, und sie sind vor allem eines: Sie sind elitär. Abgehobener war nur noch das als Höhepunkt geplante Ende der Triennale. Mönche aus Bhutan legten in tagelanger Arbeit ein Sandmandala, das sie am Ende der Triennale rituell zerstörten. Mit einem "Diamantzepter".

Das Elitäre mied nicht nur Gérard Mortier, sondern auch sein Nachfolger, Jürgen Flimm. Beide öffneten das Festival so weit wie möglich. Die Offenheit für die Arbeitswelt ist eine Säule der Ruhrtriennale, die mit einer ihrer reizvollsten ästhetischen Voraussetzungen zusammenhängt. Es wird nämlich nicht in Theatern, sondern meistens in Industriedenkmälern gespielt, dort, wo der Reichtum des Landes erzeugt wurde, wo Arbeiter malochten. Die Künstler sind angehalten, diese Umgebung in ihre Inszenierungen zu integrieren. Daran hielten sich bei Willy Decker die wenigsten.

Willy Decker plante 2009, als er als Intendant begann, einen kühnen dramaturgischen Bogen. Er wollte spirituelle Konzepte in Verbindung mit Kunst bringen. Im ersten Jahr stand das Judentum im Zentrum, im zweiten der Islam und in diesem Jahr der Buddhismus.

Decker selbst bekannte sich in Aufsätzen und Interviews zum Buddhismus. Seine "Tristan und Isolde"-Inszenierung brachte er in Zusammenhang mit buddhistischen Prinzipien – in der Inszenierung war davon wenig zu erkennen. Decker engagierte einen Glaubensfreund, Luc Perceval, und beauftragte ihn, Shakespeares "Macbeth" zu inszenieren. Perceval beinte Shakespeare aus. Ein Zuschauer, der Shakespeares Original nicht kannte, hätte wohl kaum folgen können – eine Aufführung für Kenner. Elitär. Hochmütig. Exklusiv.

2009 stellte Willy Decker unter das Leitwort "Aufbruch", 2010 unter "Wanderung" und 2011 unter "Ankunft". Diese Ankunft ernüchtert. Je stärker die Krisen in Gesellschaft und Finanzwelt sich zuspitzten, desto verfehlter erschien das dramaturgische Konzept, das sich programmatisch von der Realität ab- und der Spiritualität zuwandte – Eskapismus pur.

Wo Gérard Mortier und Jürgen Flimm Kunst für alle propagierten, die Öffnung fürs Neue und die Verknüpfung von Inszenierungen mit ihrem konkreten Aufführungsort, dem Industriedenkmal, ersetzte Willy Decker diese Orientierungspunkte durch Entgegensetzungen: Kunst für Kenner, die Rückwendung zu uralten Religionen und eine Ablösung vom konkreten Ort zugunsten abstrakter Beliebigkeit. Der Kunst ist das nicht gut bekommen und der Ruhrtriennale schon gar nicht.

Links bei dradio.de:
Riesenhafter Aufbau und gähnende Langeweile
Die neue Choreografie von William Forsythe bei der Ruhrtriennale in Bochum (DLF)
Mehr zum Thema