Eskalation am Golf

Die trügerische Ruhe vor dem Sturm

04:13 Minuten
Zwei Schülerinnen mit Kopftüchern laufen an einem Wandbild vorbei. Das Bild zeigt die Freiheitsstatue mit Totenkopf statt Gesicht.
Die politischen Spannungen zwischen den USA und dem Iran nehmen zu. © picture alliance / EPA / Abedin Taherkenareh
Ein Kommentar von Michael Lüders · 29.05.2019
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Die Anzeichen für eine drohende militärische Auseinandersetzung zwischen den USA und dem Iran mehren sich. Europa aber hüllt sich in Schweigen: Das ist gefährlich, meint Nahost-Experte Michael Lüder. Ein Krieg gegen den Iran wäre der sichere Weg in die Katastrophe.
Einmal angenommen, der iranische Präsident Rohani hätte den folgenden Tweet verfasst: "Wenn Israel kämpfen will, wird das das offizielle Ende Israels sein. Drohen Sie niemals mehr der Islamischen Republik Iran." Wäre die Annahme falsch oder überzogen, es würde in dem Fall einen Sturm der Entrüstung in Deutschland, im Westen allgemein geben – verbunden mit der Aufforderung, die Sanktionen gegen den Iran zu verschärfen, um dessen aggressive Politik zu bändigen?
Nun hat der iranische Präsident einen solchen Tweet nicht versendet. Wohl aber Präsident Trump, in Richtung Teheran: "Wenn der Iran kämpfen will, wird das das offizielle Ende des Irans sein. Drohen Sie niemals mehr den Vereinigten Staaten." Was der US-Präsident meinte, als er vom "offiziellen Ende des Irans" sprach, ist nicht bekannt. Interessant aber sind die Reaktionen der europäischen Nato-Partner auf diese Vernichtungsdrohung. Es gab sie faktisch nicht.

Europa schweigt zu Trumps Vernichtungsdrohung

Auch den Medien war Trumps aggressive Rhetorik kaum mehr wert als eine Pflichtmeldung. Keine Bundeskanzlerin, kein Präsident oder Ministerpräsident, kein Außenminister fühlte sich bemüßigt, sich von Trumps Drohung zu distanzieren. Das ist einerseits nachvollziehbar, denn die Europäer sind bestenfalls Juniorpartner Washingtons. Wer mag schon den Zorn der US-Regierung auf sich laden, die sich mit höheren Zöllen oder Handelshemmnissen für europäische Waren oder Dienstleistungen rächen könnte?
Andererseits ist dieses fast schon komplizenhafte Schweigen hochgefährlich. Kaum ein Tag vergeht, an dem die Regierung Trump ihren Konfrontationskurs gegenüber Teheran nicht verschärft. Ob die USA den Iran tatsächlich angreifen, ist vielleicht noch nicht entschieden. Doch ein Missverständnis oder eine absichtlich herbeigeführte Provokation genügen, um einen Krieg auszulösen. Werden sich die Europäer in dem Fall Washington verweigern? Wird diese Bundesregierung "nein" sagen zu einem völkerrechtswidrigen Krieg gegen den Iran, wie es die damalige Bundesregierung 2003 beim völkerrechtswidrigen Angriff auf den Irak getan hat?
Damals bemühte sich die US-Regierung unter George W. Bush noch, den Sturz Saddam Husseins als Voraussetzung für die Demokratisierung Iraks zu verkaufen. Der Regierung Trump sind wohlfeile Worte egal: Ihre Konfrontationspolitik, eingeleitet mit der Aufkündigung des Atomabkommens vor einem Jahr, verfolgt ein einziges, offen benanntes Ziel: den Sturz der iranischen Regierung. Wer oder was danach kommt, ist den Strategen in Washington offenbar gleichgültig. Sie wollen das letzte Regime im weiten Raum zwischen Marokko und Indonesien beseitigen, das eine nicht pro-westliche US-kritische Politik verfolgt.

Kommt es zum Krieg, sind die Folgen unabsehbar

Nun gibt es an Teherans Taten ohne Zweifel viel zu kritisieren. Wer nun aber glaubt, ein Krieg gegen den Iran werde die Verhältnisse im Land verbessern, ist entweder naiv oder ein Propagandist. Für die Menschen dort wäre jede Eskalation ein Desaster. In welchen der zahlreichen Länder, in denen die USA nach 1945 militärisch eingeschritten sind, hätte die einheimische Bevölkerung nicht einen sehr hohen Preis für die jeweilige Intervention gezahlt?
Und wie wäre es eigentlich, wenn das amerikanische Beispiel Schule machte? Beispielsweise China auf die Idee käme, die USA anzugreifen – mit der Begründung, die Amerikaner von der Regierung Trump zu erlösen?
Kommt es zum Krieg gegen den Iran, wird östlich des Suezkanals bis hin nach Indien kein Stein auf dem anderen bleiben. Die Ölpreise würden explodieren, Russland und China sich auf die Seite Teherans stellen. Wohin soll das führen?
Wollen wir Europäer, wollen wir Deutsche diesen Weg tatsächlich gehen?
Es wäre ein sicherer Weg in die Katastrophe.

Michael Lüders lebt als Publizist und Autor in Berlin. Er hat viele Jahre im Nahen Osten gelebt, als Student der arabischen Literatur in Damaskus und als langjähriger Nahostkorrespondent der Wochenzeitung "Die Zeit" in Kairo. Der Politik- und Islamwissenschaftler hatte eine Gastprofessur an der Universität Trier und ist Präsident der Deutsch-Arabischen Gesellschaft. Er berät unter anderem das Auswärtige Amt und andere Bundesministerien. Zuletzt ist von ihm erschienen: Armageddon im Orient. Wie die Saudi-Connection den Iran ins Visier nimmt, München 2018.

Das Foto zeigt den Publizisten und Nahost-Experten Michael Lüders im Januar 2016.
© imago / allefarben-foto
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