Eschweiler im Braunkohlerevier

Nachhaltig in die Zukunft

07:18 Minuten
Eschweiler: Die Windkraftanlage vor dem Braunkohlengroßkraftwerk Weisweiler im Rheinland.
Eschweiler, 2019 ausgezeichnet mit dem Deutschen Nachhaltigkeitspreis. © imago / Sepp Spiegl
Von Vivien Leue · 19.11.2019
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Mehr als ein Drittel von Eschweiler war einmal von Tagebauen belegt. Umso wichtiger ist den Stadtverantwortlichen heute das Thema Nachhaltigkeit. Die Stadt setzt auf Erneuerbare Energien, es gibt Häuser aus recyceltem Beton – und ausreichend Kita-Plätze.
Wer durch Eschweiler fährt, sieht eine typische mittelgroße Stadt im Westen: Hübsche Gründerzeithäuser stehen neben schmucklosen Nachkriegsbauten, in der Innenstadt nahe des Flüsschens Inde flanieren Menschen zwischen Friseur, Blumenladen, Grill-Imbiss und Mode-Geschäften. Knapp 60.000 Einwohner zählt Eschweiler, viele von ihnen scheinen zufrieden mit ihrer Stadt:

"Schönste Stadt." "Sehr beliebt." "Ich wohne auch gerne da."
"Vor allen Dingen der Rudi, der Bürgermeister, der Bertram ist schon ein kompetenter Kerl, ne?"
Tatsächlich haben Bürgermeister Rudi Bertram und sein Team in letzter Zeit für viele positive Nachrichten gesorgt: Eschweiler bekam den Deutschen Nachhaltigkeitspreis und wurde zuletzt als klimaaktive Kommune ausgezeichnet. Und das, obwohl die Haushaltslage der Stadt angespannt ist und sie - mitten im Rheinischen Revier gelegen - wirtschaftlich noch stark von der klimaschädlichen Braunkohle abhängt. Das RWE-Kraftwerk Weisweiler und der noch aktive Tagebau Inden sind nur gut eine Viertelstunde Autofahrt entfernt.

Eschweiler hat einen Nachhaltigkeitsmanager

Im Rathaus von Eschweiler sitzt Jan Schuster. Er arbeitet erst seit rund eineinhalb Jahren für die Stadt - in einer Funktion, die es bisher nur in wenigen Kommunen gibt: Schuster ist Nachhaltigkeitsmanager. Der studierte Geograf erklärt, dass genau die Nähe zur Braunkohleförderung und der damit zusammenhängende, bevorstehende Strukturwandel dazu geführt haben, dass das Thema Nachhaltigkeit in der Stadt so wichtig geworden ist.
"Man kann da als Verlierer rausgehen oder man kann sagen, wir haben aus der Vergangenheit gelernt, und gehen die Probleme frühzeitig an und schaffen da was Positives. Dass wir da wirklich eine lebenswerte Stadt haben, jetzt haben und zukünftig, für die Kinder."
Mehr als ein Drittel der Fläche Eschweilers war einmal von Tagebauen belegt. Die Stadt weiß also, was es bedeutet, wenn Arbeitsplätze wegfallen, ganze Stadtgebiete neu entwickelt werden müssen.
"Nachhaltigkeit ist eigentlich der einzige Weg, um mit diesen Herausforderungen umzugehen."

Auch das Soziale steht im Vordergrund

Dabei ist Schuster wichtig, dass der Begriff "Nachhaltigkeit" nicht nur im Sinne von Klima- und Umweltschutz verstanden wird.
"Hier in Eschweiler steht auch das Soziale sehr im Vordergrund."
Die Stadt setzt sich unter anderem für ausreichend Kita-Plätze ein, fördert Angebote für Senioren, es gibt günstige oder gar kostenlose Sport- und Freizeitaktivitäten und die Stadt investiert in Bildungseinrichtungen. So wird aktuell ein ehemaliges Fabrikantenhaus in ein "Haus der Geschichte" umgebaut.
"Die Leute sind sehr, sehr stolz auf ihre Eschweiler Kultur, Tradition, auf ihre Stadt."
In den letzten Jahren wurden außerdem alle städtischen Gebäude energetisch saniert – und erhalten jetzt zu 100 Prozent Strom aus Erneuerbaren Energien.

Ressourcen- und klimaschonender Hausbau

Ein besonderes Augenmerk legten die Jurys bei der Vergabe des Nachhaltigkeitspreises und der für "Klimaaktive Kommunen" allerdings auf ein Neubaugebiet außerhalb des Stadtkerns – im grünen Viertel Dürwiß.
Dort, neben Feldern und Pferdekoppeln und mit Blick auf das Kraftwerk Weisweiler, steht der Geologe und Wirtschaftsingenieur Klaus Dosch und zeigt auf mehrere Ein- und Mehrfamilienhäuser. Einige sind schon bewohnt, andere noch im Bau.
"Das Faszinierende an dieser Siedlung ist, dass wir hier zum allerersten Mal in Deutschland versucht haben, Häuser über ihren ganzen Lebenszyklus ressourcen- und klimaschonend zu machen."
Neue Höfe Dürwiß in Eschweiler, die klimafreundlichste Stadt Deutschlands.
Neue Höfe Dürwiß in Eschweiler: Hier wird besonders ressourcen- und klimaschonend gebaut.© Deutschlandradio / Vivien Leue
Dosch leitet die Faktor X-Agentur der Entwicklungsgesellschaft Indeland, die das Konzept dafür mit entwickelt hat.

"Was wir hier machen, wir nennen das Faktor X, was wir hier in diesen Faktor X-Siedlungen machen, ist, Häuser von der Wiege bis zur Bahre, also sozusagen vom ersten Spatenstich der Ressourcengewinnung für die Baustoffe bis hin zum möglichen Wiederabräumen eines Hauses nach 50 Jahren zu untersuchen und zu optimieren."
Deshalb sind viele Gebäude hier im Neubaugebiet "Neue Höfe Dürwiß" als Holzständerhaus gebaut. Es wird also weniger Beton verbraucht. Und wenn, dann wird – wo es möglich ist - Recycling-Beton eingesetzt.
"Beton ist ja eine Mischung aus Kies, Sand und Zement. Und bei diesem Recycling-Beton wird etwa die Hälfte des Kieses ersetzt durch ein Beton-Recyclat. Also das ist ein gebrochener Beton."

Holzhäuser kaum teurer als herkömmliche Gebäude

Die Bauweise hat viele Vorteile im Vergleich zum konventionellen Hausbau: vor allem, wenn man den Verbrauch an fossiler Energie und nicht nachwachsenden Rohstoffen sowie den Ausstoß von Treibhausgasen betrachtet.
"Alle Häuser, die hier stehen, sind mindestens doppelt so gut, brauchen also über einen Lebenszyklus von 50 Jahren höchstens die Hälfte dieser drei Ressourcen."
Dabei seien die Holzhäuser kaum teurer als herkömmliche Gebäude, sagt Dosch. Fünf bis zehn Prozent vielleicht.
Der Wirtschaftsingenieur ist froh, dass er hier in Eschweiler auf Verantwortliche getroffen ist, die seine Idee konsequent unterstützt haben. Das sei anfänglich gar nicht so einfach gewesen, sagt er, weil es diese Art von ressourcenschonendem Bauen in Deutschland bisher noch kaum gab.
"Ich glaube, das Wichtigste ist, dass wir jetzt hier mit Eschweiler Dürwiß tatsächlich mal Beispiele auf den Boden gebracht haben und die Menschen feststellen, auch ganz erstaunt feststellen, Mensch, das sind ja völlig normale Häuser, die hier stehen. Das sind keine Öko-Hütten."
Denn letztlich ist das einer der wichtigsten Faktoren beim Thema Klimaschutz und Nachhaltigkeit: Die Bürger müssen mitmachen. Das weiß auch Eschweilers Nachhaltigkeits-Manager Jan Schuster.
"Im Moment sind wir noch bei der Herausforderung, dass wir die Strategie wirklich umsetzen. Wir müssen es noch schaffen, noch mehr Leute mit einzubeziehen bei der Umsetzung. Da ist in Eschweiler noch viel zu tun, auch wenn wir den Deutschen Nachhaltigkeitspreis gewonnen haben und in der Region eine gewisse Vorreiterrolle einnehmen, ist da noch Nachholbedarf."

Stadtmarketing auf Bierdeckeln

Um das Bewusstsein der Menschen für Nachhaltigkeit zu schärfen, ist die Stadt auch buchstäblich an die Stammtische gegangen. Es wurden Bierdeckel gedruckt, auf denen jeweils eines der 17 Nachhaltigkeitsziele der UNO steht – grafisch bunt umgesetzt und mit einem Spruch auf Eschweiler Platt.
"Was man hört, ist, dass die super ankommen in den Kneipen, dass die Leute sich kaputt lachen… Ich glaube schon, dass das hängen bleibt."
Fragt man die Bürger, so wissen zwar manche mit dem Begriff "Nachhaltigkeit" noch nicht viel anzufangen.
"Ich könnte es nicht sagen, ich habe es noch nicht so gemerkt."
"Könnte ich jetzt nicht sagen."
Aber: Dass die Stadt etwas für die Bürger und die Umwelt tut – das merken die Menschen dann schon.
"Da wird eigentlich sehr viel drauf geachtet, hier in Eschweiler, dass hier jetzt keine Glasflaschen mehr ausgegeben werden. Und die haben Mehrweg… mit Pfand. Das ist ja auf jeden Fall schon mal für Müll zu sparen, ‘ne?"
"Da wird ja auch sehr viel getan, auch für die älteren Leute, es bewegt sich schon."
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