"Es wird natürlich auch den einen oder anderen geben, auf dessen Arbeit man verzichten muss"

Hans Heinrich Driftmann im Gespräch mit Birgit Kolkmann |
Der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Hans Heinrich Driftmann, glaubt nicht an einen rasanten Anstieg der Arbeitslosigkeit in Folge der Wirtschafts- und Finanzkrise. Ein Anstieg der Arbeitslosenzahlen zum Jahresende sei zwar möglich, allerdings sei dieser Effekt zu erwarten gewesen in Anbetracht des Geschäftsverlaufs im ersten Halbjahr.
Birgit Kolkmann: Die warnenden Stimmen werden immer lauter. Noch ist Ferienzeit, Deutschland pausiert, aber auf dem Arbeitsmarkt werde die trügerische Ruhe bald vorbei sein, prognostizierte gestern der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung. So hören wir es bereits seit Längerem, dass es im Herbst viel schlimmer wird und im nächsten Jahr viereinhalb Millionen Arbeitslose vielleicht zu zählen. Heute wird die Bundesagentur die neuen Arbeitsmarktdaten präsentieren. Wir sind jetzt verbunden mit dem Präsidenten des Deutschen Industrie- und Handelskammertages, guten Morgen, Hans Heinrich Driftmann!

Hans Heinrich Driftmann: Guten Morgen!

Kolkmann: Herr Driftmann, womit rechnen Sie?

Driftmann: Es ist nicht auszuschließen, dass wir gegen Jahresende die Vier-Millionen-Grenze erreichen werden. Das ist ein Effekt, der war zu erwarten. Er resultiert aus den Geschäften, die im ersten Halbjahr stattgefunden haben oder nicht. Es wird eine ganze Zeit dauern, bis die Auftragsvolumina des letzten Jahres wieder verbucht werden können, also haben wir es mit einer relativ leicht prognostizierbaren Entwicklung zu tun, die uns nicht zu sehr beunruhigen sollte.

Kolkmann: Wie sieht es denn aus in den Unternehmen der Industrie? Wirkt das Mittel Kurzarbeit bald dort auch nicht mehr?

Driftmann: Gut, das Instrument der Kurzarbeit hat eine ganze Weile geholfen, hilft auch noch, aber irgendwann läuft natürlich das Kurzarbeitergeld auch einmal aus. Die Unternehmen haben vielfach ihre Stammbelegschaft festgehalten, das war richtig so, das wird auch weiterhin noch funktionieren, aber es wird natürlich auch den einen oder anderen geben, auf dessen Arbeit man verzichten muss. Das ist für die Unternehmen ganz, ganz schwierig und für den Betroffenen natürlich bitter.

Kolkmann: Also, Entlassungen werden durchaus konkret vorbereitet?

Driftmann: Ich gehe davon aus, dass es in einigen Unternehmen notwendig sein wird, auch darüber nachzudenken, aber der Umfang wird nicht so groß sein wie er häufig angegeben wird.

Kolkmann: Wen wird es dann treffen? Vor allen Dingen die Ungelernten, wenn Sie sagen, die Stammbelegschaft soll nach Möglichkeit geschützt werden, weil da natürlich auch viele Fachkräfte dabei sind?

Driftmann: Diejenigen, die die beste Ausbildung haben, sind natürlich am ehesten geschützt davor, ihren Arbeitsplatz zu verlieren. Andere sind leichter austauschbar. Deswegen predigen wir ja auch bei jeder Gelegenheit, sich zu qualifizieren, sich weiterzuqualifizieren und das Instrument der Kurzarbeit auch dafür zu nutzen, um Fort- und Weiterbildung nach vorne zu bringen.

Kolkmann: Wird das von den Unternehmen auch unterstützt?

Driftmann: Ja, das wird natürlich von den Unternehmen unterstützt.

Kolkmann: Ich meine auch finanziell, sich in dieser Zeit weiterzubilden?

Driftmann: Ja, selbstverständlich. Für nichts gibt es auch nichts, und die Unternehmen engagieren sich erheblich, weil sie genau wissen, dass die Bevölkerungsentwicklung so ist, dass wir ganz dringend auf Fachkräfte angewiesen sein werden, wenn wir denn die Krise hinter uns lassen.

Kolkmann: Sie haben eben gesagt, Entlassungen würden in dem einen oder anderen Fall notwendig werden, aber mit welchem Umfang muss man da rechnen?

Driftmann: Das ist ganz schwer abzuschätzen, weil es ganz große Unterschiede gibt in den einzelnen Branchen, bei den verschiedenen Unternehmensgrößen auch in den Regionen. Bedenken Sie bitte, dass der Mittelstand es bisher immer geschafft hat, im Wesentlichen seine Mitarbeiter zu halten, dass das ein Phänomen ist, das ganz naturgegeben - bei Großunternehmen vorrangig - auftritt, und da gibt es selbstverständlich Konzepte, um das Ganze abzumildern.

Kolkmann: Nun hat das Instrument der Kurzarbeit eine Weile überbrückt. Das hört jetzt langsam auf. Braucht Deutschland insgesamt etwas länger als andere, um aus den Zeiten der Krise herauszukommen? Hängt das mit den Absatzmärkten in Mittel- und Osteuropa zusammen?

Driftmann: Wir sind natürlich sehr exportabhängig, wir sind Exportweltmeister gewesen und werden es auf jeden Fall wieder werden, wenn wir es nicht sogar aktuell sind. Das macht uns natürlich sehr stark abhängig von anderen und von Konjunkturen überall auf der Welt. Wir sehen aber am Ende des Tunnels schon eine ganze Reihe von Lichtpunkten. Deswegen sind wir sehr zuversichtlich, dass wir die Krise hinter uns lassen. Die Talsohle dürfte in der Tat erreicht sein. Es wird nur diesmal ein sehr schwieriger, ein sehr anstrengender Weg werden, wieder nach oben zu kommen.

Kolkmann: Gestern hat Arbeitgeberpräsident Hundt vorgeschlagen, die Löhne in den Krisenzeiten zu senken, wenn Unternehmen also Umsatzrückgänge haben, die sehr groß sind. Die Gewerkschaften laufen natürlich Sturm dagegen. Was denken Sie?

Driftmann: Ich kann nur sagen, das ist nicht das Problem der Industrie- und Handelskammern, deren Arbeit ich zu koordinieren habe. Das ist eine Frage der Tarifpartner. Theoretisch kann man solche Dinge natürlich in verschiedener Weise beleuchten. Ich glaube nicht, dass das ein aktuelles Thema ist.

Kolkmann: Das war Hans Heinrich Driftmann, der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages. Ich danke Ihnen für das Gespräch in der Ortszeit!

Driftmann: Dankeschön!