"Es wird immer verrückter"

Karoline Linnert im Gespräch mit Hanns Ostermann |
Die Bremer Finanzsenatorin Karoline Linnert erwartet für ihr Bundesland erhebliche Nachteile wegen der Steuerpolitik der Bundesregierung. Wenn noch mehr gespart werden müsse, bedeute das Kürzungen im Bereich Bildung und Kinderbetreuung, sagte die Grünen-Politikerin.
Hanns Ostermann: Die schwarz-gelbe Koalition hat sicher verschiedenste Probleme. Eins ragt aber heraus: Wie schafft man den Spagat, einerseits die Steuern senken zu wollen, andererseits den Haushalt konsolidieren zu müssen? Die derzeitigen Steuerpläne werden von der Opposition natürlich zerrissen. Erschwerend kommt hinzu, dass die Prognosen der Steuerschätzer auch so manchem Befürworter Bauchschmerzen bereiten dürften, diese Steuerschätzer melden sich heute offiziell zu Wort und stellen ihre Ergebnisse vor.

Welchen Handlungsspielraum haben Städte und Gemeinden überhaupt noch, und welche Konsequenzen müssen sie befürchten, wenn Schwarz-Gelb ernst machen? Ich habe darüber mit der Finanzsenatorin in Bremen, mit Karoline Linnert von den Bündnisgrünen, gesprochen. Meine erste Frage an sie: Auch wenn Not erfinderisch machen soll – wie groß sind die Löcher schon jetzt an der Weser, die Sie nur mithilfe anderer stopfen können?

Karoline Linnert: Ja, wir haben in diesem Haushaltsjahr 2009 900 Millionen Euro Kreditaufnahmebedarf für das Land Bremen und die beiden Stadtgemeinden Bremen und Bremerhaven. Das ist fast ein Viertel des Haushaltes und bereitet uns natürlich große Pein. Das Jahr 2008 war gut, da war der Haushalt in Bremen verfassungskonform, aber die Wirtschaftskrise hat uns schlimm erwischt.

Ostermann: Was bedeuten diese Zahlen für Schulen, Kitas, Sportvereine und vieles andere mehr, Frau Linnert? Denn Sie müssen ja sparen, wo es nur geht.

Linnert: Nein, wir müssen sparen, wo es nur geht, das ist richtig, und Bremen hat auch in allen wichtigen Aufgabenbereichen des Staates ein Niveau erreicht, wo wir unter den vergleichbaren anderen beiden Stadtstaaten liegen. Also, wir geben weniger aus für Schulen pro Kind, wir geben weniger für die Polizei aus pro Einwohner, wir haben niedrige Sozialleistungen pro Fall, wenn man das so sagen darf. Aber das ist natürlich nicht unendlich zu betreiben.

Wir haben nur noch ganz geringe Spielräume im Haushalt und vor allen Dingen haben wir keine Spielräume mehr für Von-heute-auf-morgen-Sparen. Das ist … Vermögensveräußerung, Einrichtungen dichtmachen, das ist alles ausgereizt. Wir begegnen der Wirtschaftskrise genauso wie alle, alle anderen Gebietskörperschaften auch: Wir sparen jetzt nicht in die Eingeweide, das hat keinen Zweck, jetzt bestehende Strukturen kaputtzumachen.

Ostermann: Trotzdem noch mal die Frage: Ist bei Ihnen in Bremen nicht möglicherweise doch der soziale Frieden gefährdet? Das befürchtet zumindest der eine oder andere Ministerpräsident wie Klaus Wowereit in Berlin.

Linnert: Ja, da geht es nur um die Perspektive. Sie haben mich ja nach dem Haushaltsjahr 2009 gefragt. Wenn man aber überlegt, wie geht es weiter, dann spielt natürlich die Frage, ob Deutschland es schafft, auch die anderen Bundesländer so zu stellen, dass sie ihren pflichtgemäßen, gesetzlichen Aufgaben nachkommen können, die spielt da eine große Rolle – und wenn es weitere Steuersenkungen gibt, wie diese Regierung sie verabredet hat.

Ich kann die hier nur bei den Leistungen, die den Bürgerinnen und Bürgern zugute kommen, einsparen. Und die Kommunen haben auch als bewegliche Posten, vor allen Dingen als theoretisch bewegliche Posten, die Kindertagesbetreuung. Also: Das Sparprogramm, das geplante, der schwarz-gelben Bundesregierung bedeutet Kürzungen bei allen Ländern im Bereich Bildung und Kinderbetreuung.

Ostermann: Die Zeche der Steuerreform zahlen also auch die Länder. Was macht das konkret in Bremen aus in puncto Einkommens- oder Mehrwertsteuer zum Beispiel?

Linnert: 163 Millionen Euro ist der Gesamtbetrag, der uns im Jahr 2010 entgehen wird, wenn die Steuerpläne der Regierung umgesetzt werden, wobei man wissen muss, dass weitere 80 Millionen Euro auf schon beschlossene Steuersenkungen, die ja noch nicht mal in Kraft getreten sind, zurückzuführen sind.

Also, da sind wir dann schon bei ungefähr 240, 250 Millionen Euro. Daran kann man sehen: Es wird immer verrückter. Man muss die Steuersenkungen, die beschlossen wurden, die auch für Bremen schon hart genug sind, die muss man jetzt endlich erst mal wirken lassen, und nicht wie ein Betrunkener ständig nach der gleichen Droge gieren.

Ostermann: Sie meinen mit Betrunkener jetzt in diesem Fall konkret die Regierung Schwarz-Gelb, insbesondere auch die Liberalen, die ja Steuersenkungen fordern?

Linnert: Ich meine nicht jemanden als Person, …

Ostermann: Nein, natürlich nicht, die Tendenz.

Linnert: … sondern einen Mechanismus. Ein Mechanismus ist, es hört überhaupt nicht mehr auf. Ich nehme mir zwar vor, irgendwann mal eine Entzugsklinik aufzusuchen, aber bis dahin genehmige ich mir noch diverse Tropfen und in diesem Fall ja auf Kosten der Länder und Gemeinden, was einen ja besonders ärgert.

Ostermann: Es gibt da noch ein weiteres Problem: Ab 2020 gilt für die Länder das Verschuldungsverbot, auch für Bremen, Berlin und das Saarland, um nur drei arme Bundesländer zu nennen. Der Weg dahin ist schwierig genug, auch wenn Sie, wie andere, Konsolidierungshilfen erhalten. Gerät jetzt möglicherweise durch die Absicht der neuen Regierung dieses ganze Konzept in Gefahr?

Linnert: Das Konzept, wie wir das schaffen wollen, bis 2020 einen Haushalt ohne Kreditaufnahmen aufzulegen, das Konzept, das steht noch gar nicht. Es bedarf hier einer Einigung mit dem Bund. Bremen hat vom Verfassungsgericht attestiert bekommen, dass wir unverschuldet in diese Haushaltsnotlage geraten sind. Wir sind in einer strukturschwachen Region und müssen viel Mühe und auch staatliches Geld darauf verwenden, den Strukturwandel zu schaffen.

Und in den Verhandlungen zur Föderalismusreform II sind uns als Hilfe – für 2020 liegt ja ein Haushalt ohne Kreditaufnahmen vor, was ein richtiges, wichtiges Ziel ist, und wir wollen das auch – 300 Millionen Euro pro Jahr versprochen worden. Wenn jetzt Steuersenkungen allein schon 250 Millionen Euro auffressen von diesen 300 Millionen – das ist nur ein schlechter Witz! Unter den Bedingungen kann Bremen das nicht schaffen.

Und ein Bundesland wie Bremen, was sich noch mal richtig aufbäumen will, um sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf zu ziehen, so in die Hoffnungs- und Ausweglosigkeit zu stoßen, das ist schon ein besonderes politisches Bubenstück. Bürgermeister Böhrnsen hat gesagt: Am Ende, wenn es wirklich so kommt und wir es nicht verhindern können, dann werden wir notfalls auch wieder vor das Verfassungsgericht gehen, weil es gar keinen anderen Weg mehr geben wird.

Ostermann: In diesem Fall müsste wieder einmal das Bundesverfassungsgericht klären, was politisch vorher nicht per Kompromiss irgendwie auf die Reihe zu bekommen ist. Besteht nicht doch die Hoffnung bei dem einen oder anderen Bundesland – auch aus Hessen hörte man ja Kritik, Berlin wurde genannt –, dass man sich politisch doch noch möglicherweise mit dem Bund einigt?

Linnert: Ja, natürlich. Es gibt fünf Sanierungsländer, die können das alle nicht, und auch die anderen – es gibt zehn arme Bundesländer in Deutschland, auch bei denen haut das völlig ins Kontor. Die Wirtschaftskrise, die Steuersenkungen der letzten Legislaturperiode und die Steuersenkungen der nächsten Legislaturperiode ergeben einen völlig ruinierten Staatshaushalt. Und man darf das nicht akzeptieren.

Da gibt es ja mehrere, Finanzminister raufen sich alle die Haare, Ministerpräsidenten schütteln ihr weises Haupt. Wir bauen darauf, dass es eine politische Lösung gibt, die der Bundesregierung sagt, so geht es nicht.

Ostermann: Die Finanzsenatorin in Bremen, Karoline Linnert von den Bündnisgrünen. Frau Linnert, danke Ihnen für das Gespräch!

Linnert: Sehr gerne!