"Es wir da kein Wettrennen zum Ausgang geben"

David Petraeus im Gespräch mit Wolfgang Labuhn · 25.11.2010
Der Kommandeur der internationalen Afghanistan-Schutztruppe, Petraeus, sieht die Beschlüsse der NATO zum weiteren Vorgehen am Hindukusch stark abhängig von der Lage im Land. Die Übertragung der Sicherheitsaufgaben an afghanische Kräfte bis Ende 2014 sei ein sehr wichtiges Ziel - die Unterstützung für Afghanistan müsse auch danach weitergehen, so der Vier-Sterne-General.
Gabi Wuttke: Er leitete den Umsturz von Saddam Hussein – David Petraeus, General der US-Armee. Seit vier Monaten befehligt er in Afghanistan nicht nur die eigenen Truppen, sondern auch die ISAF, und er war erbost, als sein Chef das Jahr 2014 als Abzugsdatum verkündete, weil ein Datum nach Ansicht des Vier-Sterne-Generals den Taliban einen taktischen Vorteil verschafft. Als unser Hauptstadtkorrespondent Wolfgang Labuhn ihn nach der Abzugsperspektive fragte, antwortete David Petraeus:

David Petraeus: Auf dem NATO-Gipfeltreffen in Lissabon ist als wichtigstes Ziel beschlossen worden, dass afghanische Kräfte bis Ende 2014 im ganzen Land für die Sicherheitsaufgaben verantwortlich sein sollen. Ursprünglich hatte Präsident Karzai dieses Ziel formuliert. Als Ergebnis des Lissabon-Gipfels haben es sich nun auch die Staats- beziehungsweise Regierungschefs der NATO zu Eigen gemacht. Ich halte dies für ein sehr wichtiges Ziel, ich halte es auch für ein realistisches Ziel. In Lissabon wurde aber auch festgehalten, dass die Unterstützung für Afghanistan danach auf verschiedene Weise weitergehen wird. Doch diese Unterstützung in den kommenden Jahren wird sich sehr deutlich von der jetzigen unterscheiden.

Wolfgang Labuhn: Das deutsche Militärengagement in Afghanistan ist in Deutschland sehr unpopulär. Der deutsche Außenminister spricht nun von der Möglichkeit, 2012 mit ersten Reduzierungen der deutschen Einheiten beginnen zu können. Teilen Sie diese Ansicht?

Petraeus: Zunächst einmal werden wir 2011 den Übergabeprozess einleiten, das heißt, gewisse Aufgaben werden nach und nach den afghanischen Sicherheitskräften und den kommunalen Stellen übertragen. In Lissabon wurde vereinbart, diesen Prozess von der jeweiligen Lage vor Ort abhängig zu machen. Dabei werden unsere Truppen aber nicht komplett abgezogen, sondern zunächst nur ausgedünnt. Es wird da kein Wettrennen zum Ausgang geben. Vielleicht werden einige der freiwerdenden Einheiten quasi reinvestiert in bereits geräumten, aber neu umkämpften Gebieten. Dieser Prozess könnte aber auch bedeuten, dass einige Truppenteile sich auf den Weg nach Hause machen, das wird alles von der jeweiligen Situation vor Ort abhängen.

Labuhn: Der deutsche Außenminister meint ferner, die Sicherheitsverantwortung für mindestens eine Provinz im Norden bereits im kommenden Jahr den afghanischen Kräften übergeben zu können. Entspricht dies auch Ihrer Planung?

Petraeus: Auch dieser Prozess wird gemeinsam entschieden werden. Es wird letztlich eine politische Entscheidung afghanischer Stellen und der NATO sein. Es gibt eine gemeinsame Übertragungsinstanz beider Seiten, die diesen Prozess leiten wird. Wir haben eine erste Bewertung des Möglichen abgeliefert, und vielleicht wird es dann auch möglich sein. Doch auch hier gilt: Es wird davon abhängen, wie die Lage vor Ort sich zum möglichen Übergabezeitpunkt darstellt.

Labuhn: Sie haben den deutschen Beitrag zur Bekämpfung von Aufständischen in Nordafghanistan gelobt. Dennoch: Könnte das von Deutschland geführte ISAF-Regionalkommando Nord nicht noch mehr zur Verbesserung der Sicherheitslage in Gebieten unternehmen, die weiterhin von Talibankräften kontrolliert werden?

Petraeus: Eigentlich wollen wir ja die afghanischen Sicherheitskräfte in die Lage versetzen, mehr zu tun, ehrlich gesagt. Die deutschen Einheiten leisten bereits erheblich mehr als noch vor wenigen Monaten. Sie sind umgruppiert worden, die Bataillone sind jetzt als Eingreiftruppen aufgestellt worden, die vor allem in den Provinzen Baghlan und Kunduz Operationen gegen Aufständische durchführen. Sie tun dies in einer sehr beeindruckenden Weise, wie ich gesehen habe, als ich die Einheiten vor Ort besucht und an Patrouillen teilnahm. Unsere gemeinsame Anstrengung ist darauf gerichtet, die Zahl der afghanischen Truppen zu erhöhen, damit sie einige jener Aufgaben übernehmen können.

Labuhn: Die US-Armee setzt jetzt schwere Kampfpanzer in Afghanistan ein, um die Kampfkraft gegen die Talibankräfte zu erhöhen. Deutschland ist stolz auf seinen Leopard-2-Panzer, den man für einen der besten der Welt hält. Sollte dieser Panzer nicht auch im Norden eingesetzt werden, um dort die deutschen Kampffähigkeiten zu verbessern?

Petraeus: Wir setzen diese Panzer – eigentlich ist es nur eine Kompanie mit zwölf Panzern – hauptsächlich wegen ihrer optischen Ausstattung ein, wegen ihrer weitreichenden Wärmebildtechnologie zum Beispiel, aber auch wegen des Schutzes, den sie bieten und wegen ihrer Beweglichkeit, nicht so sehr wegen ihrer Kanonen. Sie sollen in flachen Wüstengebieten eingesetzt werden, um dort Aufständische aufzuspüren, die aus ihren Rückzugsgebieten zurückkehren. Dieses Problem sehe ich nicht in den Gebieten, in denen deutsche Truppen eingesetzt werden. Auch das Gelände dort ist anders. Der Einsatz schwerer Kampfpanzer im Norden ist also nur eine sehr entfernte Möglichkeit.

Labuhn: NATO und ISAF erproben in Afghanistan eine neue Strategie, bei der gemeinsam mit den afghanischen Sicherheitskräften die Kontrolle über Gebiete erlangt und gehalten werden soll, in denen sie vorher nicht waren. Können Sie uns kurz berichten, wie die Aktion verläuft?

Petraeus: Auf dem Gipfeltreffen von Lissabon habe ich die Einschätzung abgegeben, dass wir die Taliban in vielen Landesteilen gestoppt haben, keineswegs überall, aber doch vielerorts, und in einigen wichtigen Gebieten haben wir die Sache auch umgedreht, dazu gehört unter anderem die Provinz Kabul, wo ein Sechstel der afghanischen Bevölkerung lebt. Und dort, abgesehen von einem Bezirk, haben nun die afghanischen Kräfte die Sicherheitsverantwortung, ebenso in einigen wichtigen Bezirken westlich von Kandahar, in der Mitte der Provinz Helmand und an anderen Orten, wo der Prozess umgesetzt wird. Das sind wichtige Erfolge, und die deutschen Truppen sind an ähnlichen Aktivitäten in Baghlan und Kunduz beteiligt, wo es ebenfalls wichtige Bezirke gibt, die von Talibankräften gesäubert wurden, und die nun von einer Kombination aus ISAF-Kräften – darunter deutsche Einheiten – und afghanischen Einheiten gehalten werden.

Labuhn: General, thank you very much!

Petraeus: Bitte schön!

Gabi Wuttke: Der amerikanische General und ISAF-Chef David Petraeus im Interview von Deutschlandradio Kultur, befragt von unserem Hauptstadtkorrespondenten Wolfgang Labuhn.