"Es war unsere Pflicht, Stimme der Toten zu sein"

Von Cornelis Hähnel · 06.03.2011
Das Werk des polnischen Regisseurs Andrzej Wajda ist eng mit der Geschichte des eigenen Landes verknüpft. Immer wieder reflektiert er historische Schicksalsschläge und die Frage nach der nationalen Identität. Trotz der Konzentration auf polnische Themen gelang im der internationale Durchbruch, denn seine Filme sind nicht nur politischer Kommentar, sondern auch geprägt von einem generellen humanistischen Anspruch. Heute wird der Regie-Altmeister 85 Jahre alt.
"Leute, wo wollt ihr denn alle hin? Hinter uns sind die Deutschen, ihr müsst umkehren." "Die Russen, die Russen sind einmarschiert." "Ihr könnt hier nicht weiter, ihr müsst umkehren!" "Die Russen, die Russen sind einmarschiert!"

Es ist ein dramatischer Auftakt eines monumentalen Trauerfilms. In den Wirren des Zweiten Weltkrieges versucht sich die polnische Bevölkerung verzweifelt vor den Besatzern in Sicherheit zu bringen. Mit "Das Massaker von Katyn" hat der polnische Regisseur Andrzej Wajda den Massenmord an Tausenden polnischen Offizieren durch den sowjetischen Geheimdienst NKWD zum ersten Mal auf der Leinwand thematisiert. Wajda, dessen Vater eines der Opfer von Katyn war, stützt sich dabei auf Tagebuchaufzeichnungen und Originaldokumente der Zeit.

"17. September 1939. Die Nachricht über den Einmarsch der Bolschewisten hat sich bestätigt. Von russischen Panzern umzingelt, legen wir unsere Waffen nieder. Ich werde von Zeit zu Zeit schreiben, damit ihr wisst, was mit mir geschah, falls ich sterben und nicht zurückkommen sollte. Vielleicht wird man Euch dieses Notizbuch zuschicken."

Wajda wurde am 6. März 1926 als Sohn einer Lehrerin und eines Leutnants der polnischen Armee in der Garnisonsstadt Suwalki geboren. Bereits während des Zweiten Weltkrieges begann er zu zeichnen und studierte nach Kriegsende drei Jahre Malerei an der Akademie der Künste in Krakau, bevor er zur Staatlichen Filmschule in Lódz wechselte.

"Was konnte ich in der kommunistischen Zeit schon werden? Ich konnte nur Filmregisseur werden. Ich konnte doch kein Bankier werden oder Finanzminister. Mich interessierte nur eine Arbeit unter meinem eigenen Namen. In Polen nach dem Krieg war es so, dass nur der Filmregisseur sein Werk unterschreiben konnte und der ganze Rest war anonym. Und das hat mich nicht interessiert, ein anonymer Politiker zu sein."

"Asche und Diamant" aus dem Jahr 1958, ein bitterer und tragisch inszenierter Blick auf eine Kleinstadt in Polen am 8. Mai 1945, wurde ein internationaler Erfolg. Damit beendete er seine Kriegstrilogie, die er mit "Eine Generation" begonnen hatte.

"Ich mache Filme, die kein anderer machen kann. Ich glaube, dass unser polnisches Kino die ganzen Filme, die erhalten sind und die jetzt auf die Leinwand zurückkehren, dass das alles Filme sind, die niemand anders machen konnte. Wir hatten der Welt sehr viel zu erzählen, weil wir den Krieg besonders erlebt und überlebt haben. Und deshalb war es unsere Pflicht, Stimme der Toten zu sein."

Wajda wurde zu einem der wichtigsten Vertreter der sogenannten Polnischen Filmschule, einer kinematografischen Strömung, die ihre Helden immer in den Kontext der nationalen Geschehnisse stellte. Obwohl zu Zeiten der kommunistischen Herrschaft seine Werke oft der Zensur zum Opfer fielen, drehte der international mehrfach ausgezeichnete Regisseur in den nächsten Jahrzehnten über 30 Filme. Stets bildeten die Schicksalsstunden der polnischen Geschichte, wie zum Beispiel der Kampf der Werftarbeiter in Danzig oder die Entstehung der Gewerkschaft Solidarnosc, das Zentrum seiner Arbeit. Im Jahr 2000 erhielt er auf Empfehlung von Steven Spielberg einen Oscar für sein Lebenswerk.

Von den Ereignissen von Katyn zu erzählen, war ihm zeitlebens ein besonderes Anliegen. Erst 2007 konnte er sein Vorhaben realisieren. Wajda dazu in einem Radiointerview:

"Der Film konnte lange nicht verwirklicht werden und zwar bis zum Zerfall des Kommunismus. Das war das am besten gehütete Geheimnis der Zensur, die Kaytner Morde. Man sagte, das seien Morde der Deutschen gewesen. Deshalb dachte ich nicht, dass ich jemals es erleben würde, diesen Film zu drehen. Dass es die Sowjetunion irgendwann nicht mehr gibt. Ich habe es nicht wirklich geglaubt. Vielleicht gehofft."

"Katyn", so Wajda, sei sein letzter Beitrag der Polnischen Filmschule. Mit ihm wolle er sich von der tragischen Vergangenheit seines Landes verabschieden und jungen Kollegen Platz machen - und dem, was sie über das freie Polen zu erzählen haben.

2009 präsentierte Wajda auf der Berlinale seinen Film "Der Kalmus", ein minimalistisches und poetisches Werk über Tod und Vergänglichkeit. Vielleicht seine intimste Arbeit. Und zugleich der Beweis, dass er bis heute die wichtigste Stimme des polnischen Kinos geblieben ist.

DVD und Blue-ray Disc des Films "Das Massaker von Katyn" werden von Pandastorm Pictures vertrieben.