"Es war eine verbotene, bewaffnete Aktion"

Moderation: Jörg Degenhardt · 20.03.2013
Vor zehn Jahren begannen die USA und Großbritannien den Krieg gegen den Irak. Gehören George W. Bush und Tony Blair deshalb vor den Internationalen Strafgerichtshof? Politisch seien die zwei Politiker zwar verantwortlich, sagt der Völkerrechtler Christian Tomuschat - juristisch aber kaum zu belangen.
Jörg Degenhardt: Heute vor zehn Jahren begann der Krieg gegen den Irak. Am 20. März 2003 marschierten die USA und ihre Verbündeten in das Land ein. Aus den wenigen Monaten, die die USA bleiben wollten, wurden knapp neun Jahre. Chemiewaffen, Massenvernichtungswaffen – einer der Kriegsgründe – wurden nie gefunden. Die Invasion hinterließ 190.000 tote Iraker, auf amerikanischer Seite starben 4488 Soldaten und 3400 von Washington angestellte Personen. Der Irak heute: Der Diktator ist weg, der Regimewechsel zwar vollzogen, aber stabile Verhältnisse, die sehen anders aus, immer wieder gibt es Tote nach Bombenanschlägen.

Welche Lehren sind aus diesem Konflikt zu ziehen? Wer sollte wofür vielleicht auch gradestehen? Christian Tomuschat ist mein Gesprächspartner, emeritierter Professor für öffentliches Recht, Völker- und Europarecht an der Humboldt-Universität Berlin, außerdem ehemaliges Mitglied des UN-Menschenrechtsausschusses und der UN-Völkerrechtskommission. Guten Morgen, Herr Tomuschat!

Christian Tomuschat: Guten Morgen, Herr Degenhardt!

Degenhardt: Wer trägt den völkerrechtlich die Verantwortung für die Toten dieses Krieges?

Tomuschat: Völkerrechtlich verantwortlich sind zunächst einmal die beiden Staaten, die eine Aggression gegen den Irak begangen haben. Das steht heute ganz eindeutig fest, es gibt kaum jemanden, der behauptet, dass der Angriff seinerzeit rechtmäßig gewesen sei. Die Rechtslage ist ziemlich eindeutig, es war eine verbotene bewaffnete Aktion gegen den Irak, die man eben im juristischen Jargon als eine Aggression bezeichnet.

Degenhardt: Also ein illegaler Angriffskrieg – der wird ja auch im Statut des Strafgerichtshofes geführt, und zwar gleich neben Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

Tomuschat: Ja, aber das war ursprünglich lediglich eine Zählposition, das war noch nicht ausgearbeitet im Detail, und es war dann ausdrücklich vorgesehen, dass später das römische Statut, ergänzt werden sollte, das ist nun geschehen, aber der Tatbestand der Aggression oder des Angriffskrieges ist bisher nicht in Kraft getreten, das muss erst noch ratifiziert werden. Es ist also kein anwendbarer Straftatbestand im Augenblick vorhanden, der es ermöglichen würde, die beiden Staatsmänner, die damals die Angriffshandlung befohlen hatten, vor Gericht zu bringen.

Degenhardt: Der südafrikanische Bischof und Friedensnobelpreisträger Desmond Tutu will gleichwohl George W. Bush und Tony Blair in Den Haag sehen, vor dem Internationalen Strafgerichtshof. Ist das dann nicht mehr als ein frommer Wunsch?

Tomuschat: Ja, es gibt eine politische Verantwortlichkeit, das ist ganz eindeutig, dem können sich die beiden Länder und die führenden Staatsmänner jener Zeit nicht entziehen, aber natürlich, sie tatsächlich vor Gericht zu bringen wegen des Angriffskrieges, das ist in der Tat nur ein frommer Wunsch, und – ja, damit wird an die politische Verantwortlichkeit gedacht und sie in Erinnerung gerufen, aber das führt eigentlich nicht weiter.

Man könnte allenfalls denken, dass es irgendwelche Verhandlungen und dann auch letzten Endes Verurteilungen gibt, zum Beispiel wegen Folter und ähnlichen Dingen, die dann begangen worden sind, aber da sind natürlich die strafrechtlichen Beziehungsstränge sehr viel schwerer festzustellen, bis man das hinaufführt zu den beiden Verantwortlichen – das ist ein sehr langer und sehr schwieriger Weg.

Degenhardt: Die Amerikaner haben ja den Strafgerichtshof ohnehin nicht anerkannt in Den Haag, aber wenn ich Sie richtig verstanden habe, Tony Blair könnte man zur Rechenschaft ziehen wegen Folter, weil er das gewissermaßen gutgeheißen hat beziehungsweise nicht ausgeschlossen hat?

Tomuschat: Also Großbritannien hat jedenfalls das römische Statut ratifiziert. Das bedeutet, dass jedermann verantwortlich gemacht werden kann, der britische die Staatsangehörigkeit besitzt. Und die Stellung als Regierungschef oder als Staatsoberhaupt schützt niemanden davor, vor den Strafgerichtshof gebracht zu werden. Im Augenblick sitzt ja zum Beispiel in Den Haag im Gefängnis der ehemalige Regierungschef der Côte d’Ivoire, Gbagbo, Miloševiæ stand dort vor Gericht, das heißt, es lief ein Verfahren gegen ihn, aber er ist gestorben während des laufenden Verfahrens. Also die Justiz ergreift an sich jedermann, und da gibt es keine Ausnahmen wegen der Amtsstellung.

Degenhardt: Das ist wohl war, Gerechtigkeit muss für alle gelten, das sagt schon der gesunde Menschenverstand. Gleichwohl gibt es immer wieder Kritik, speziell aus Afrika, afrikanische Diktatoren müssen sich in Den Haag für ihr Tun verantworten, aber ein Tony Blair zum Beispiel nicht.

Tomuschat: Ja, das ist schon richtig, und es müsste dann tatsächlich ein Verfahren zunächst einmal eingeleitet werden durch die Anklagebehörde, die dort zunächst einmal die ersten Verfahrensschritte übernehmen muss, so, wie das in jedem Gerichtsverfahren üblich ist. Aber Tatsache ist eben, dass dieser Tatbestand des Angriffskrieges bisher nicht gilt. Das ist nun einmal felsenfest, und daran kommt man nicht vorbei. Also insofern Tony Blair vor Gericht zu bringen, das geht eben nicht, weil es keine Strafbarkeit der Aggression bisher gibt, und insofern ist es in der Tat nur eine politische Verantwortlichkeit, wenn man das nicht an anderen Straftatbeständen festmachen könnte. Das wäre aber sehr schwierig – natürlich, die Verantwortlichkeit für die Einleitung dieses Angriffskrieges liegt eindeutig bei Tony Blair, daran führt kein Weg vorbei.

Degenhardt: Eine vielleicht politische Frage an den Rechtsexperten, an den Völkerrechtler: Was sind eigentlich aus Ihrer Sicht Urteile in Den Haag wert? Haben sie wirklich eine abschreckende Wirkung?

Tomuschat: Ja, wenn ein Urteil gesprochen worden ist, dann ist das ein Urteil, das in der Tat dann auch exekutiert werden wird, allerdings hat der Internationale Strafgerichtshof bisher in zehn Jahren seiner Existenz nur ein einziges Endurteil zustande gebracht, wo jemand verurteilt worden ist, wiederum ein Afrikaner, das geht auf Ostafrika zurück, wegen der Rekrutierung von Kindersoldaten. Aber das ist natürlich sehr wenig, und wenn in zehn Jahren nur ein einziges Endurteil zustande kommt, dann ist die Abschreckungswirkung nicht sehr groß.

Allerdings muss man sagen, das waren die ersten Jahre, die erste Dekade der Funktionstätigkeit dieses Gerichtes, und man kann sich vorstellen, dass, wenn einmal eine gewisse Routine eingekehrt ist, dass dann die Verfahren schneller laufen, und es zeichnet sich schon ab, dass die zweite Dekade sehr viel erfolgreicher werden wird.

Degenhardt: Zehn Jahre nach dem Beginn der Invasion gegen den Irak gehören George W. Bush und Tony Blair vor den Internationalen Strafgerichtshof? Darüber sprach ich mit dem Völkerrechtler Christian Tomuschat. Herr Tomuschat, vielen Dank für das Gespräch!

Tomuschat: Bitte sehr!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.


Das vollständige Gespräch können Sie mindestens bis zum 20.09.2013 als MP3-Audio in unserem Audio-on-Demand-Player nachhören. MP3-Audio
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